Gefühlstheater statt Gefühlskino: „Wie im Himmel“ am Schauspielhaus Salzburg setzt auf die Kraft von Musik, Begegnungen und gaaanz viel Inga Lindstörm.
Eine Bühne und viele Menschen. Sehr viele Menschen sogar. Was so gemütlich als Chorprobe am schwedischen Dorfe daherkommt, entpuppt sich bei näherer Betrachtung als turbulenter Mikrokosmos einer gar nicht so durchschnittlichen Gemeinde, die dennoch gar nicht durchschnittlicher ausfallen könnte. Das Leben ist zu kurz für strenge Disziplin, lieber der Kraft der Musik nachfühlen. Robert Pienz inszenierte den schwedischen Filmklassiker „Wie im Himmel“ am Schauspielhaus Salzburg (Dramaturgie: Jérôme Junod, Ausstattung: Ragna Heiny, Sounddesign: David Lipp). Das erklärt dann auch den hohen weiblichen Besucheranteil im Publikum. „Så som i himmelen“, so der Originaltitel, da geraten alle ins Schwärmen, aber vor allem die Damenwelt. So traurig, so schön und wer danach nicht den Wunsch verspürt, selbst einem Chor beizutreten, ist doch eigentlich herzlos. Aber funktioniert das schönste Schweden-Musik-Drama seit ABBA auch auf der Bühne? Ja, tut es.
In aller Plot-Kürze
Der weltberühmte Dirigent Daniel Daréus verabschiedet sich nach einem Zusammenbruch auf der Bühne vom Musikbetrieb und zieht sich zurück ins ländliche Idyll. Dort trifft er auf die unterschiedlichsten Dorfbewohner und einen Chor. Mittels Musik beginnen alle, sich aus ihren Ängsten und Zwängen zu befreien – ok, fast alle. Das lässt auch Daniel nicht unberührt.
Go with the Beleuchtungs-Flow
Die großen Themen von „Wie im Himmel“ sind Harmonie und Begegnungen. Das ist insofern nicht verwunderlich, als der Autor höchstpersönlich auch Verfasser eines Ratgebers für, nun ja, eben genau diese Fragestellungen ist (Kay Pollak, „Durch Begegnungen wachsen – Wege zur achtsamen Kommunikation. Beispiele und Strategien für ein harmonisches Miteinander“, 2007). Dass die dann so musikalisch ausfallen, liegt am Genre, und verstärkt den Charme von „Wie im Himmel“. Regisseur Robert Pienz hält dem dramaturgischen Rahmen des Originals die Treue, macht zugleich aber auch Zugeständnisse betreffend die Form. Die stehen der Inszenierung recht angenehm zu Gesicht und sind auch notwendig. Schließlich verfügt das Theater über keine Kameraführung.
Um das Zuschauerauge zu lenken, bedarf es Scheinwerfer: Der Fokus wird mittels Beleuchtung präzisiert (Licht: Marcel Busá). Dadurch wechseln die Szenen nahtlos oder gehen ineinander über ohne den Fluss zu beeinträchtigen. Was sie nicht können, Daniel (Wolfgang Kandler) am Ende des Stücks aus der räumlich getrennten, aber gleichzeitig stattfindenden Szene in Großaufnahme auf das Zuschauerauge zu projizieren. Als sich der Chor zum großen Finale einfindet, entsteht der Eindruck, Daniel würde sich unbemerkt aus dem Stück schleichen. So groß kann die Figur im fernen Fenster gar nicht gespielt werden – selbst wenn das musikalische Stichwort zu seinem Abgang mit dem Lobpreis von „wie im Himmel und auf Erden“ ziemlich apotheotisch gewählt ist.
Reichhaltiger Mikrokosmos
Der schier unerschöpfliche Fundus an Archetypen ist das eigentlich spannende an „Wie im Himmel“. Hier entfaltet sich ein Panoptikum menschlicher Leidenschaften und Schwächen, Liebenswürdigkeiten und Kuriositäten, wie sie auch im Leben anzutreffen sind. Diese farbenfrohe Figurenansammlung scheint auch das Ensemble fest in Bann zu haben, die den Spleens, Abgründen und Höhenflügen mit so viel Hingabe und Spiellust frönen, dass das Zusehen eine Freude ist. Da ist Siv, die Christiane Warnecke als verschrobene Eigenbrötlerin spielt. Siv ist zwar prinzipiell dagegen, sorgt mit ihrer Unbeholfenheit aber trotzdem für rührend heitere Momente. Oder die lebensfrohe Lena (Johanna Egger), die mit wunderbarer Stimme „Fly Away“ anstimmt, und dann emotional in die Vollen geht. Gänsehautstimmung vom Feinsten – und die schönste musikalische Darbietung des Abends.
Sind wir nicht alle ein bisschen „Wie im Himmel“
Daniela Enzi ist für die Rolle der Olga zurück am Schauspielhaus und begeistert als tüdelige ältere Dame mit kleinen Eigenheiten in den großen Szenen. Freudig schnabuliert sie Kanelbullar und reicht im Anschluss ungeniert die klebrigen Zimtschneckenfinger zum Singkreis oder sucht ihr Handy in der Handtasche. „Wie im Himmel“ als Wimmelbild der liebenswürdigen Skurrilitäten. Diese feinen, wie nebenbei vollzogenen Gestiken beherrscht auch Wolfgang Kandler, der mit Daniel in die Hauptrolle schlüpft. Immer wieder schnippst Daniel gehetzt und ungeduldig in Richtung Chor, als wüsste er bereits, dass seine Lebenszeit begrenzt ist. Sparsam applizierte Hustenanfälle (O-Gedanke: „Ist das jetzt echt, oder gespielt?“) weisen die Richtung. Ein Träumer, der auch vulnerabel kann. Die Begegnung mit dem lauten, raumbeanspruchenden Conny (Pit-Jan Lößer) versetzt den Dirigenten schnurstracks zurück in die Rolle des tyrannisierten Kindes. Zugleich agiert die Figur als Katalysator, der die Gefühle der Einzelnen zum Eruptieren bringt. Vergrabenes, Verstecktes, Verdrängtes gelangt allerorts an die Oberfläche.
Die Dorfgemeinschaft
Konsequenz und Talent beweist die ungemein berührende Darstellung von Tore (Jonathan Zeilner). Immer wieder stapft der geistig zurückgebliebene Junge mit den Füßen und verkrampft die Hände zur Spastik. Emotionalität wird in der Produktion großgeschrieben, genauso wie Stereotypen. Die misshandelte Ehefrau, die durch die Musik langsam Mut gewinnt (ja, klingt kitschig, ist aber ein schöner Gedanke), wird auf reduzierte und stille Weise von Petra Staduan dargestellt. Ihr zur Seite, der ewig pöbelnde, manchmal prügelnde Conny (Pit-Jan Lößer). Harte Szenen, die leitmotivisch durch Heavy Metall eingeleitet werden.
Aber es muss ja nicht alles entweder Inga Lindström oder Dystopie sein. Für heitere, berührende Szenen sorgt Arne (Theo Helm), der immer alles besser weiß – und stets ganz vorne mit dabei ist. Aber auch Holmfried (Marcus Marotte) und Erik (Olaf Salzer) sind starke Sympathieträger mit sehr viel Humor. Mindestens genauso gut ergänzen sich Inger (Susanne Wende) und Stig (Antony Connor). Während der eine Moral predigt, aber sie nicht lebt, lässt die andere ihren Gefühlen freien Lauf – und wird von ihnen überwältigt. Im Hintergrund die Uhr. Auch wenn in der guten Stube des Pastors die Lebenszeit nicht ganz so rasch tickt wie bei Daniel, als Metapher für Spießigkeit macht sich der Klang der Wanduhr dann doch ganz passabel.
Let the People sing
Die vielen Menschen, die dann ab spätestens dem zweiten Akt die Bühne bevölkern, stammen von KlangsCala, dem KammerChor des Musikum Salzburg unter der Leitung von Helmut Zeilner. Musikalische Unterstützung in ganz großem Rahmen also, die für tatsächlich zauberhafte klangliche Momente sorgt. Die Apotheose an die Musik ist gelungen. Schöne Beinote: „Gabriella’s Sång“ und die eine oder andere Melodie dürfen im schwedischen Original verbleiben, was wie eine Verbeugung Richtung „Så som i himmelen“ wirkt. Der Wunsch einem Chor beizutreten, ist aber zumindest diesmal nicht gegeben. Was auch Vorteile hat, wenn man das nichtexistierende gesangliche Talent der Verfasserin bedenkt.
Fotonachweis: Jan Friese
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