Angry young man
DORIAN GRAY wurde im Schauspielhaus Salzburg in all seinen düster-schillernden Facetten inszeniert: Spannend, neu und amoralisch, aber ohne Wilde’schen Skandal.
Eigentlich sind Schriftsteller Magier, mit ihren Figuren können sie Unsterblichkeit erlangen. Zumindest dann, wenn sie in den Literatur-Olymp aufsteigen, der sich Kanon nennt. Einer dieser Glückspilze ist Oscar Wilde. Mit seinem ersten und einzigen Roman „Das Bildnis des Dorian Gray“ erlebte er 1890 einen, wie man es heute ausdrücken würde, ‚mega Shitstorm‘ – aber auch die Unsterblichkeit hat eben seinen Preis. Mittlerweile ist dieser „Dorian Gray“ längst zu Tode rezipiert. Seit über einem Jahrhundert kursiert die Kunstfigur in Anspielungen, Bonmots, geistert durch Filmarchive, Theater und sogar Musicals und wird täglich an Universitäten intensiv seziert und wieder zusammengesetzt. Wildes Dorian Gray würde an dieser Stelle vermutlich süffisant gähnen. Vielleicht legte Charlotte Koppenhöfer ihre Inszenierung am Schauspielhaus Salzburg auch gerade deswegen kontrovers und ein kleines bisschen aufmüpfig an – dem gängigen Rezeptionsverhalten werden wir’s schon zeigen (Regie & Fassung: Charlotte Koppenhöfer, Dramaturgie: Theresa Taudes).
In aller Plot-Kürze
Dorian Gray steht seinem Freund Basil Hallward für ein Porträt Modell. Das Bild zeigt den jungen Mann in seiner ganzen Schönheit und begeistert den Porträtierten so sehr, dass er sich spontan in sich selbst verliebt. Er überredet Basil, ihm das Bild zu schenken. Gleichzeitig lernt er Basils Freund Lord Henry kennen, der in ihm den gefährlichen Wunsch nach ewiger Jugend weckt. Ein unbedachtes Wort gesprochen und schon geht der Wunsch in Erfüllung; Dorian bemerkt, dass nur noch das Bild altert, er selbst aber nicht. Der malerische Freifahrschein für dekadentes und rücksichtsloses Verhalten, dem Dorian Gray ausgiebig und mit Hingabe frönt, hat allerdings auch seine Schattenseiten – die ihn schlussendlich einholen werden.
Düsterer Exzess
Charlotte Koppenhöfer kreierte mit DAS BILDNIS DES DORIAN GRAY eine neue Fassung des Wilde’schen Klassiker, die sich ganz der moralische Verderbtheit und Sprachlichkeit ihrer Figuren verschrieben hat. Diese Düsterkeit spiegelt sich sehr ausgeprägt im Bühnenbild wider (Ausstattung Julie Weideli, Licht: Marcel Busa). Als Kulisse dient ein loftartiger Raum, ein Künstleratelier und bei Bedarf Salon, der an einer Wand mit Halogenleuchten tapeziert wurde. Der Boden ist so verdreckt, wie die Seelen der Figuren es früher oder später sein werden. Die moralische Verderbtheit tragen sie als Schmutz an den Säumen ihrer Hosen und Röcke, Schuhe und Füße nach außen; ganz so, als habe die Amoralität längst auch optisch von ihnen Besitz ergriffen. Als Requisiten dienen schwarze Polstermöbel, Mini-Kühlschrank mit reichlich Alkohol und großzügig gestreute, düstere Lichtstimmungen – ziemlich passende Allegorien auf den moralischen Verfall, der aus jedem Bühnenteil um Aufmerksamkeit heischt.
In diesem verlotterten Ambiente hat die Tugend selbstverständlich keine Chance. Vielleicht wurden die Figuren auch deshalb teilweise neu gepolt. Dem eigentlich moralisch recht manierlichen Maler Basil Hallward (Magnus Pflüger) verpasste Charlotte Koppenhöfer eine 180 Grad Wendung. Das mag seltsam anmuten, da damit ein wichtiges Stück Original-„Dorian Gray“ verloren geht, aber Magnus Pflüger merzt diesen Verlust mit seinem Schauspiel aus. Herrlich zynisch kommt sein Basil im Dandy-Dress mit dickem Klunker am Finger und jeder Menge verschüttetem Alkohol daher – Lord Henrys Alter Ego oder treu-zynischer Sidekick. Apropos Lord Henry. Harry (Simon Jaritz) lebt den Zynismus und existiert zugleich nur für ihn. Bonmots und philosophische Diskure in gecker ‚ich bin mir selbst am nächsten‘-Manier in die Welt hinausschleudernd, ist er ein eloquent-abgebrühter Mephisto ohne Faust. Denn obwohl Dorian Gray (Jan Walter) auf der Suche nach dem Übermenschlichen ist, der eigenen Schönheit, fehlt ihm in dieser Inszenierung der Forscherdrang. Stattdessen wird Dorian Gray bei Ch. Koppenhöfer zum düsteren Narziss und Sinnbild für die Verderbtheit der Upperclass – vielleicht aber auch gleich der ganzen Menschheit. Mit der Unschuld ist es bei dem noblen jungen Mann dann natürlich auch nicht sonderlich weit her; die dauert maximal eine Minute, und beschränkt sich auf den ersten Auftritt der Figur, in einem Feuilleton lümmelnd, ehe er Lord Henry und seinem Hedonismus in die Hände fällt.
Erzähl‘ mir die Geschichte vom Tod
DORIAN GRAY wurde stark gerafft und profitiert von dieser Kürze. Zusätzlich ermöglicht die Erzähler-Funktion einiger Figuren einen klugen Brückenschlag in die Gedankenwelt der Charaktere, Ausflüge auf die Metaebene eines Erzählers. Immer wieder währt M. Pflüger Einblick in die Geheimnisse und Eindrücke von Basil oder dem Erzähler und bricht für kurze Zeit mit dem Bühnengeschehen. Unheilvolle Musik begleitet die intensiven Szenen und kündigt die Amoralität und Verderbtheit leitmotivisch mit einem Hauch von ‚Gothic Novel‘ an (Musik: Christian Meschtscherjakov). Als Erzählerin darf auch Lady Narborough fungieren (Juliane Schwabe); lässig drapiert, liegt sie rauchend auf der Bühne und schickt düstere Gleichnisse ins Publikum – vom Zynismus-Level her ganz der Cousin, Lord Henry. Kristina Kahlerts Sibyl Vane hat zwar nur einen kurzen Auftritt, in den legt die Schauspielerin dafür all ihre Energie. Mit Erfolg, von unschuldig und frisch verliebt oszilliert sie zur aufrichtig liebenden Frau und büßt für Dorian, von Henrys hedonistischen Gedanken bereits vollständig infiltriert, gänzlich an Attraktivität ein. Ihr Tod ist schnell, spornt aber Dorian in seiner Wut an. Und wütend ist die Figur seit der zweiten Minute dieser Inszenierung. Jim Vane (Frederic Soltow) wird als emotionaler Bruder mit ungestilltem Rachedurst gleichzeitig zu Dorians Todesengel.
Schmutz lass‘ nach
Charlotte Koppenhöfers Inszenierung des DORIAN GRAY am Schauspielhaus Salzburg führt mit ihrer detaillierten Sprachlichkeit und philosophischen Ambitionen an seelische Abgründe, die sie auch szenisch sehr stark nach außen trägt. Ein spannendes Experiment, das auf kleine Exzesse setzt; es wird gebrüllt, mit Essbarem geworfen, Flaschen werden absichtlich verschüttet und auch ein kleiner Rülpser lässt sich nicht vermeiden. Nur das mit dem Übergeben hat dann nicht ganz so geklappt. Was vielleicht vor einigen Jahren für einen Skandal gesorgt hätte, schockiert heute die wenigsten. Die neue Fassung des Klassikers und die Düsterheit der Inszenierung stellen aber trotz zwanghaftem Drang nach Exzess eine erfrischende Abwechslung dar. Nur die Bühne, die würde verfasserin danach doch nicht aufräumen wollen…
Fotonachweis: Jan Friese
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