AUF DEN PUNKT GEBRACHT.
„Eine Performance aus Sound, Körper, Text, Punkten aus Klebebändern und transparenten klebenden Farbfolien“: Mit AND sind Lisa Hinterreithner, Linda Samaraweerová und Elise Mory Teil des tanz_house festivals in Salzburg.
Mit dem Wörtchen „und“ enden die schönsten Märchen und besten Utopien: „Und sie lebten glücklich bis ans Ende ihrer Tage“. Die gleiche Konjunktion hat im Bedarfsfall aber auch eine andere, dunkle Seite. Dieser kritischen Komponente wenden sich Lisa Hinterreithner, Linda Samaraweerová und Elise Mory in ihrer Performance AND zu. Als Basis dient ein Interview mit Sarah Schulmann zum Thema Konflikte. AND wird zur schonungslosen Politanalyse, deren Verlauf von abstrahierten und unkonkreten Körpern gepflastert ist. Wie das funktioniert? Selbstverständlich mit Kleben wie das Künstler-Trio verrät.
In deiner neuen Performance AND betreibst du gemeinsam mit Linda Samaraweerová und Elise Morys Politanalyse. Die basiert auf einem Text von Sarah Schulman. Wie kommt man eigentlich auf die Idee, Konfliktvermeidungsstrategien in eine Performance umzuwandeln?
Lisa: Nicht wir betreiben im Grunde eine Politanalyse, sondern Sara Schulman. Das Gespräch „true and false victims“ der Historikerin Sarah Schulman mit den Redakteurinnen Anke Dyes und Caroline Busta wurde 2017 in Texte zur Kunst veröffentlicht. In „true and false victims“ geht Schulman systemischen Ursachen von Intoleranz nach und beschreibt das heute verstärkt auftretende Phänomen von falschen und echten Opfern in der Gesellschaft. Das hat mich interessiert. Wir greifen Textstellen daraus auf und bauen damit und anderen performativen Aktionen eine Performance aus Sound, Körper, Text, Punkten aus Klebebändern und transparenten klebenden Farbfolien.
Linda: Ich kann diese Frage natürlich nur aus der Position der Performerin betrachten, da das Konzept von Lisa entwickelt wurde und sie möglicherweise andere Gründe hatte…. aber mir erscheint die Wahl sehr naheliegend. Es handelt sich um einen Text, den ich in seinem Inhalt höchst aktuell finde. Er zeigt, wie sich Verhaltensweisen in privaten und in größeren politischen Strukturen widerspiegeln. Es ist ein spannendes Thema und gleichzeitig aktuell – Konflikte…. Opferhaltungen – wir alle sind damit auf unterschiedlichsten Ebenen konfrontiert und Schulman gibt dazu eine wunderbar spannende und intelligente Analyse. Die Frage dann, wie wir einen analytischen Text in eine Performance umwandeln, löste einen intensiven, kreativen Arbeitsprozess aus und es hat mich sehr gefreut, dabei zu sein. Die Fragestellungen, die während des Prozesses entstanden sind, betrachte ich als sehr inspirierend und sie haben durchaus einen Einfluss darauf, wie ich jetzt Konflikte sehe.
2017 hast du mit Linda und Elise bereits PINK TAPE – YELLOW TAPE – BLACK TAPE – REPEAT! inszeniert. Auch damals stand das Klebeband im Fokus. Jetzt wieder, auch wenn es diesmal klebende Punkte sind. Warum ausgerechnet das Klebeband? Und warum Punkte? Könnten es nicht auch rechteckige Papierschnitzel oder quadratische Plastikfolien sein? Was verbindest du mit dem Material und der Form?
Lisa: In PINK TAPE – YELLOW TAPE – BLACK TAPE – REPEAT!“ habe ich mit der bildenden Künstlerin Lilo Nein zusammengearbeitet. Elise Mory hat die Musik gemacht und Linda Samaraweerová, Olivia Schellander und ich haben performt. Damals ist es, wie in AND auch, um das performative Herstellen von Mustern gegangen. Also ein Klebestreifen wird aufgeklebt, ein zweiter daneben, ein dritter könnte bereits ein Muster ergeben. Auch Punktestrukturen kamen vor und mit denen wollte ich weiterarbeiten. Streifen so kurz wie Punkte. Das Klebeband ist ein praktischer Gegenstand, in verschiedenen Farben zu kaufen und haftet auf Körper und Raum. Es ist für mich ein performatives Material und könnte in diesem Sinne durch nichts ersetzt werden. Darüber hinaus arbeiten wir in AND auch mit transparenten Klebefolien die anders als die Punkte performativ sind und im Vergleich zum Klebeband sehr empfindlich im Handling.
Alles scheint bei AND auf Punkte hinauszulaufen. Selbst die Musik. Wie definiert sich musikalischer Pointillismus?
Elise: Musikalischer Pointillismus zu definieren, widerspricht ein bisschen der Idee, dass dieser Begriff Assoziationen wecken soll und weniger etwas auf den Punkt bringt, sondern in seinem Zusammenspiel mit verschiedenen Elementen ein Bild ergibt. Ich finde, dass der Text auch sehr stark von der Inszenierung von Dramen erzählt, dem wollte ich etwas Zartes entgegenstellen. Abgesehen davon ist es natürlich auch der ganz banale Versuch Punkte in Musik zu übersetzen. Ich versuche mit meinem Sound einerseits eine weitere Ebene einzubringen – Musik wirkt dabei meist auf einer emotionalen Ebene – aber andrerseits die Performance zu unterstützen und die bereits vorhandenen Elemente zu verstärken. In diesem Fall kommen Stimme und Sprache dazu, die ich besonders herausfordernd finde. Der Pointillismus steht für mich dabei für eine Form der Klangmalerei, der diese Elemente miteinander verschmelzen lässt, ohne zu übermalen.
Was ist für euch an dieser Performance besonders wichtig? Warum sollte man sich AND auf keinen Fall entgehen lassen?
Lisa: Ich wollte der performativen Klebebandarbeit, die ja in sich sehr frei assoziativ funktioniert, eine Textebene gegenüberstellen, die keine Assoziationen offen lässt, eindeutig ist und klar benennt. Darüber hinaus beschäftigt sich der Text wie auch die Klebepunkte-Muster mit Themen wie Wiederholung, dem Transformieren von Gewohnheiten und Strukturen. Ich versuche hier auf zwei sehr unterschiedlichen Ebenen Festschreibungen, Strukturen und Transformations-Prozesse zu thematisieren. Diese Kombination hat mich gereizt.
Linda: Ich bin ein großer Fan davon, dass das Stück inhaltlich wirklich in die Tiefe geht. Die Arbeit erfordert ein aktives Zuschauen und bespielt in ihrer Form mehrere narrative Ebenen – die Kommunikation auf der verbalen verbindet sich hier mit einer starken visuellen Form, die eine eigene Sprache entwickelt. Durch Bilder holt sie uns auf einer Stelle ab, wo die verbale Sprache eventuell nicht hinreicht. Die Arbeit ist für mich einfach sehr aktuell – in vielen Richtungen, auf vielen Ebenen und das schätze ich sehr – genauso wie die Musik von Elise Mory, die ich einfach großartig finde.
Elise: Ich persönlich finde das Wagnis, sich mit so einem explizit gesellschaftspolitischen Inhalt performativ auseinanderzusetzen gerade sehr dringlich und würde mich als Zuseher*in genau darauf einlassen.
Was wollt ihr mit AND erreichen, welche Wirkung erzielen?
Lisa: Sara Schulman sagt: Global gesprochen haben wir es heute mit destruktiven Konzepten von Zugehörigkeit, Loyalität und Liebe zu tun. Die Logik entspricht der eines verlassenen Menschen, der sagt: „Ich bin nicht mehr mit meinem Freund zusammen, also sei bitte auch du gemein zu ihm.“ Wie können wir Liebe, Loyalität und Zugehörigkeit leben ohne in alte Muster wie Nationalismen oder Ausgrenzung zu verfallen? In dieser Aussage von Schulman steckt für mich der Kern der Arbeit. Wie weit es gelungen ist, dazu Situationen und Bilder zu genieren, fällt mir schwer zu beurteilen…
Infos zum tanz-house festival
Fotonachweis: Eva Würdinger (Performance-Fotos im Rahmen der Schmiede 18: no plan / Saline Pernerinsel)
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