NICO - SPHINX AUS EIS

Nico. Sphinx aus Eis – Forum1

A (psychedelic) trip down memory lane.

Who the f*** is Nico? Christine Winter holt mit ihrer interdisziplinären Theaterperformance NICO – SPHINX AUS EIS eine Ikone zurück ins Rampenlicht – und mit ihr sehr viel Jim Morrison.

„Yes we can“, skandierten begeisterte Obama-Fans den Wahlslogan des US-Präsidenten. „Yes you can“, verspricht das Forum1 am Bahnhof. Das Shoppingcenter stellt eine temporär leerstehende Ladenfläche für Veranstaltungen zur Verfügung. Wo früher Wohn- und Dekoideen feil geboten wurden, folgt auf Workshops und Start-ups jetzt Kultur. Christine Winter inszenierte ihre interdisziplinäre Theaterperformance NICO – SPHINX AUS EIS auf schlauchförmigen 300m2 und kreierte als Setting eine waschechte Jim-Morrison-Gedächtnisecke.

In aller Plot-Kürze

Who the f*** is Nico? Für alle, die mit der Vita der deutschen Sängerin, Schauspielerin, Komponistin, Model und Freundin zahlreicher Promis nicht so vertraut sind… Nico hieß eigentlich Christa Päffgen. Geboren 1938 in Deutschland, ziemlich verworrene Biografie, was auch daran liegt, dass sie an der eigenen Geschichte drehte. Mit 13 eventuell Vergewaltigung durch amerikanischen GI, der dafür zum Tode verurteilt wurde. Mit 14 beschloss Christa, der „gleichgeschalteten“ Wissensvermittlung – also der Schule – den Rücken zuzukehren und startete stattdessen als Model durch. Sie ging nach Amerika, avancierte zur Schauspielerin, gefolgt von Sängerin. Andy Warhol war gerade auf der Suche nach einer Muse und fand sie in der unverwechselbaren Deutschen mit der prägnanten Stimme.

Christa nannte sich jetzt Nico und wurde Teil der Warhol Factory. Andy Warhol suchte ihr auch eine Band. Sie sang mit Lou Reed – Velvet Underground & Nico. Die beiden hatte eine kurze Affäre. Er war allerdings mäßig erfreut, dass das neue Album an ihre Person geknüpft war. Ihr missfiel, dass sie nur das hübsche Aushängeschild sein durfte. Wie zum Trotz wandte sich Nico den Drogen zu und nahm die äußerlichen Verfallserscheinungen dankend in Kauf. Später fixte sie den eigenen Sohn an – „Sie war eine gute Mutter. Sie hat mir alles gegeben, sogar Drogen.“

Nico-versum

Für ihre interdisziplinäre Theaterperformance schuf Christine Winter mit wenigen Mitteln ein komplettes Nico-versum. Alexandra Pfeifer & Caroline Ruske als NicoVergessen das leerstehende Ladenlokal mit dem Hang zu Deko-Krimskrams (wobei, ein paar Details könnten in die Ausstattung eingeflossen sein). Jim Morrsion wohin das Auge blickt und bereits vor Vorhangfall sehr viel Nico. Letzteres liegt daran, dass die Regisseurin Werner Fritschs Monolog  („Nico – Sphinx aus Eis“), auf dem das Stück basiert, entsprechend adaptierte. Monolog ja, allerdings aus verschiedenen  Perspektiven. Alle drei Nicos spiegeln unterschiedliche Phasen der prominenten Figur, die irgendwo zwischen Glamour und Düsternis pendelte.

Während sich Alexandra Pfeifer als frühe Nico outet, mehr Christa denn Nico scheint und noch sehr viel anmutigen Charme besitzt, wird Caroline Ruske zur späten Nico – voll auf Drogen, lasziv und immer im Rausch. Davor, dazwischen und danach – vielleicht aber auch einfach nur in der Mitte – lässt sich Christine Winters Nico ansiedeln. Das Amoralische wird prominent in den Fokus gerückt und eindeutige Posen und Gestiken provokant liebevoll zelebriert. Transzendent schwebt Nico durch die unterschiedlichen Stadien des Verfalls und oszilliert zur Mittlerin zwischen ihrer selbst(s).

„Der einzige Grund, warum ich mich nicht erschieße, ist, dass ich wirklich einzigartig bin.“

Wenn man die drei Nicos als unterschiedliche Phasen der Andy Warhol Muse begreift, dann wohnt dem nicht nur etwas eminent Tragisches inne, sondern auch gleichzeitig sehr Narzisstisches. Das scheint passend für eine Frau, die Iggy Pop inspirierte, Patti Smith oder Björk zu Songs und Lyrik anregte. Ruhm und Absturz waren bei Nico eng verwoben, was auch in NICO – SPHINX AUS EIS deutlich wird. Die Inszenierung gleicht einem bewusstseinsverändernden Gedankenstrom. Berühmte Zitate (die echte Nico produzierte sie am laufenden Band) vermischen sich mit Erinnerungen. Theorien werden bei NICO eins mit Wünschen, dazwischen anmutige, laszive Performances und nur scheinbar unzusammenhängende Monologe und ein Hang zu Aphorismen-Logorrhö. Die verschmelzen aufgrund der Dreier-Perspektive zu seltsam anmutenden Dialogen. Gemeinsam mit dem musikalischen Arrangement, das wiederum sehr Jim Morrison lastig ist (wer war nochmals Andy Warhol?), entsteht ein psychedelisches Gesamtkunstwerk, das gekommen ist, um zu bleiben.

Hort der Unterwelt

NICO – SPHINX AUS EIS besteht aus starken Einzelbildern basierend auf Erinnerungen. Für diese schlüpft Lisa Moon in eine Doppelrolle aus Tod und Jim Morrison. Psychedelisch erscheint sie als Pilz im Drogenrausch oder als vergewaltigender Sänger. Als allegorische Figur Papa Deutschland sitzt sie wenig später missmutig eingefallen auf der Couch, ehe sie wieder diabolisch und mit großen Gesten ans düstere Werk schreitet. Den Sinn für (berauschte) Dramatik beweist auch das Nico-Trio. Sex, Drugs & Punk? Ja, aber nebenbei darf’s auch ein bisschen griechischer Heldenmythos  sein – das kann schließlich nicht schaden und akzentuiert die Importanz der Figur. Ihr Blut setzt die Triple-Nico vielleicht also gerade deshalb in Analogie mit dem Styx, der munter durch den Hades fließt – der eigene Körper als Hort der Unterwelt. Orpheus und Euridyke kommen ebenso zum Einsatz wie Medea, nur Jason und Aeneas müssen leider draußen bleiben.

Goodbye german rose

Die Bilder der NICO-Performance sind stark, verdoppelt durch das Licht-Arrangement und musikalische Setting (Musik: Marina Razumovskaja). Das Bühnen-Ende Nicos kulminiert in einem Super-Drogenrausch. Der „reale“ Tod fand bereits eingangs statt. Wer hätte das gedacht? Aber die emergente Punk und Gothic-Vorreiterin, das Supermodel, bevor es überhaupt Supermodels gab, hatte mit 49 Jahren einen Fahrradunfall und starb am gleichen Tag an einem nicht entdeckten Aneurysma. Auf Ibiza. Damals war sie schon clean, mal abgesehen von kleinen Cannabis-Eskapaden hin und wieder. Besagter Fahrradunfall fließt auch in die Regiearbeit von Christine Winter ein. Das Besondere daran, die fortan immer präsente Kopfwunde der Nicos, die sich als roter Faden durch das Stück windet und sich auch im Kostüm spiegeln könnte. Psychedelisch schön und sehr spannend.

 

Fotonachweis: Nico. Sphinx aus Eis

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