ORAKLE SICH, WER KANN.
„Dahoam is Dahoam“ erhält ein heiteres Spin-off. Georg Büttel schneiderte der bayerischen Kultserie mit AKTE LANSING eine waschechte Mystery-Mediensatire voll pfiffiger Pointen und düster-humoriger Intrigen auf den Leib.
Selbstironie wird als höchste Form des Humors gepriesen. Zu Recht, wo kämen wir schließlich hin, wenn wir nicht über uns selbst lachen könnten. Je eleganter, je subtiler, umso besser. Das Praktische an dieser Paradedisziplin ist, sie kennt kein Ablaufdatum und ist beliebter Mediengast. Neuester Clou, Fernsehstationen ziehen sich selbst durch den Kakao. Warum die Kritik-Perlen verschenken? Niemand inszeniert die eigenen Schwächen besser – und wenn die andern dann noch darüber lachen, dann ist das Humor allererster Güte.
Jüngstes Mitglied in der Liga der medialen Selbstverballhornung ist der BR mit seiner Mystery-Mediensatire AKTE LANSING. Eigentlich urbayerisch, trägt das Format durchaus britische Züge. Vielleicht liegt es an der sechsteiligen Form, die auch die Serien der Insel prägt; vielleicht am wunderbar ironisch grauen bis bitterbösen schwarzen Humor. Rule, Bavaria!
In aller Plot-Kürze
Bei der Produktion des BR-Serienhits „Dahoam is Dahoam“ häufen sich die rätselhaften Pannen: Im Kulissendorf Lansing werden Drehs manipuliert, Requisiten vertauscht und die Darstellerinnen und Darsteller verhalten sich noch seltsamer als gewohnt. Zudem gibt es Hinweise auf finanzielle Unregelmäßigkeiten. Um die Vorgänge aufzuklären, setzt der Fernsehchef den schneidigen Dr. Dr. Georg Spiess als internen Sonderermittler ein. Der legt sich allerdings recht zügig mit dem gesamten Team an und stolpert bald über eine Leiche.
Lange lebe die Imperfektion
AKTE LANSING ist der Blick hinter die Kulissen der bayerischen Serie „Dahoam is Dahoam“, den man eigentlich nie wollte und danach nicht mehr missen möchte. Autor und Regisseur Georg Büttel kreierte gemeinsam mit Jochen Müller (Regie) einen spannend-skurrilen Plot, der mit Klischees, Zitaten und Kameraeinstellungen spielt. Beinahe jede Zeile wird zur launigen Punktlandung und erweist sich als stimmig und klug durchdacht. Dafür jongliert AKTE LANSING mit liebevoll arrangierten und nur scheinbar trashigen Spezialeffekten, die alles sind, aber nicht state-of-the-art. Dafür stimmen sie „Dr. Who“ nostalgisch. Die künstlich animierte Fliege surrt konsequent durch die Kulissenwohnung und fällt zu späterer Szene dramatisch der vergifteten Schlagsahne zum Opfer. Weißwürste und Brezeln – Blau-weiß verpflichtet – tanzen durch’s Bild. Gerade mit dem Improvisations-Charakter sammelt das Format aber weitere Humorpunkte und gibt sich so, wie es nun einmal ist: authentisch, überdreht und lange lebe die Imperfektion.
Der liebe Leberkäse
Seiner Liebe zu Sprache und Wort-Sperenzchen lässt Georg Büttel in AKTE LANSING freien Lauf. Da ist die Figur des Pförtners (Michael Grimm), der mit bedächtiger, bedeutungsschwangerer Stimme unheilvolle Weisheiten verkündet, die zwischen Bauernkalender und Medium oszillieren. Gleichzeitig legen seine Bonmots immer – wirklich immer – einen fulminanten Abgang hin. Daran hindern auch die Leberkäsesemmeln nichts, die sich das ‚Orakel von Lansing‘ (danke eh-schon-wissen für diese Gedankenspende!) zwischendurch penibel mit Senf bestreicht. Nebenbei wird das nächste Klischee zelebriert: der exorbitante Leberkäse-Konsum in bayerisch-heimatlichen Kriminalseriengefilden. Selbstverständlich ist auch das wieder eine Anspielung, wie AKTE LANSING überhaupt ein fein ersonnenes und klug erdachtes Dickicht an Allusionen darstellt. Die nächste folgt, wenn Sebastian Bezzel seinen Auftritt hat – natürlich als… Kommissar.
Pfiffige Twists, ironische Wendungen
Weil Sebastian Bezzel dem Gros des Rita-Falk-Krimi sozialisierten Publikums vor allem als Kommissar bekannt ist, kommt die Figur ohne weitere Benennung aus. Es lohnt aber auch ein Blick auf das restliche Ensemble, sprechende Namen dominieren: Revisor Dr. Dr. Spiess (Stefan Murr) könnte kaum spießbürgerlicher ausfallen und ist etwaigen Missständen immer gut gegelt auf den Fersen. Der dubiose Drehbuchautor Freiherr von und zu Dachsbach (Max Pfnür), Dachsi, windet sich eloquent und geheimnisvoll mit den Zitaten weißer toter Dichtermänner durch das Geschehen – Eigenschaften, die man auch dem tierischen Pendant zuschreibt (also das mit dem Sprechen natürlich nicht). Einödinger (Robert Joseph Bartl) zieht seine finstren Fäden maliziös genau dort, in der Einöde, zwischen Bier, Bier und ach ja, Bier.
Die dörfliche Cilli Dörfler (Ina Meling) versucht den Revisor mit ‚weiblichem Charme‘ abzulenken – oder dem, was sich Männer halt so unter weiblichen Argumenten vorstellen. Währenddessen verpassen die Original-Darsteller der „Dahoam is Dahoam“-Cast ihren Alter Egos neue Twists und humorige Wendungen. Als nie um eine Antwort verlegener Frank Kowalski eilt Stefan Lehnen durch die Szenen und lässt sich nicht so einfach festlegen; good bad oder doch bad cop? Zu den Guten zählt unübersehbar die Mutter des doppelten Doktors. Mama Spiess (Monika Manz) wird zur paradigmatischen und höchst humorigen Mutterfigur. Wenn Dr. Dr. Spiess peinlich berührt „geh, Mama!“ ruft, weiß jedes Kind – ob groß oder klein – Bescheid und geniert sich stellvertretend in Grund und Boden. Dass Regisseur Georg Büttel selbst einen Gastauftritt als Regisseur hinlegt, ist ein weiteres Indiz für den leichtfüßigen Satire-Charakter der Miniserie.
Zitate spotting
Goethe oder „Der dritte Mann“ – vor Anspielungen ist in der AKTE LANSING niemand sicher. War vorhin schon von den gelungen skurrilen Spezialeffekten im Stil der 60er Jahre die Rede, dann ist es höchste Zeit, den Fokus auf die Kameraeinstellungen zu legen. Die sorgen mit Fischauge für besonders schräge Einblicke. Immer wieder werden selbst Gegenstände mit Perspektiven aufgeladen und kreieren Effekte, mit denen sich AKTE LANSING gelungen selbst persifliert. Krimis? Gibt es wie Maß am Oktoberfest, egal aus welcher Ecke Deutschlands und mit welchem Lokalkolorit. Da fällt so eine bayerische Mystery-Mediensatire positiv aus dem Rahmen, deren Charme und Stärke gerade das Kokettieren mit einer suggerierten Einfachheit ist, dabei kritisch vorführt und sich auf ihre wesentlichen Stärken besinnt: Sprache, Spiel und Kreativität. Das stößt nicht nur bei eingefleischten „Dahoam is Dahoam“-Fans auf Wohlwollen.
Fotonachweis: BR
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