Die Abort-Frage wird hitzig diskutiert – und auch sonst geht es in Irmgard Lübkes Inszenierung von Thomas Bernhards „Alte Meister“ pechschwarz, aber herrlich humorvoll zur Sache.
Ein Geistesmensch ist immer unverstanden. Vor allem dann, wenn er aus der Feder des Zitatspenders stammt. Thomas Bernhard besaß ein Händchen dafür, sich über seine Mitmenschen zu echauffieren; und da über die Österreicher im Besonderen und die Wiener (oder wahlweise Salzburger) im Speziellen. Auch wenn heute aus diesen literarischen Perlen des kollektiven Dampfablassens keine erregt hitzigen Diskussionen mehr entstehen, polarisieren, das kann sein tiefschwarze Œuvre bis zu diesem Tag. Thomas Bernhard ist wunderbar in seiner Empörung und schafft es sogar, in seine kunstvoll zelebrierten Hasstiraden fundierten Humor zu packen. Bestes Beispiel, „Alte Meister“, das zur Zeit am Schauspielhaus Salzburg auf dem Spielplan steht.
In aller Plot-Kürze
Der berühmte Musikkritiker Reger geht seit 30 Jahren jeden zweiten Tag ins Kunsthistorische Museum in Wien. Dort sitzt er stundenlang vor dem Bildnis des „Weißbärtigen Mannes“ von Tintoretto. Ihm zur Seite, Museumswärter Irrsiegler und sein Zuhörer Atzbacher, der auch als Erzähler fungiert. Eines Tages bittet er Atzbacher, doch am nächsten Tag zu ihm ins Kunsthistorische zu kommen. Atzbacher erfüllt ihm den Wunsch gerne und trifft etwas früher ein, um den Musikkritiker unbemerkt bei seinen Betrachtungen beobachten zu können.
Sprachgewaltiger Thomas Bernhard
Machen wir es kurz, bei „Alte Meister“ sind es die Kunsthistoriker, die ihr Fett wegbekommen. Damit können sie sich in eine lange Riege anderer von Thomas Bernhard geschmähter Professionen und Geistesrichtungen einreihen. Dass das durchaus humorig daherkommt, ist intendiert; schließlich trägt das Stück den Beinamen „Komödie“ und ergeht sich in einer Szene ausführlichst über die Eigenschaften der Karikatur. Der Text als Spiegel des Dargestellten; großartig subtil in Szene gesetzt von Regisseurin Irmgard Lübke. Tatsächlich kann einer vor so viel opulenter Sprachgewalt ganz anders werden. Demütig möchte man das Haupt vor diesem Schriftsteller neigen. Virtuos verflochten die Dialoge, was zu einer unglaublichen Sprachgewalt führt – die mit ihren Zwischentönen so humorvoll wie musikalisch klingt.
Dass diese feinen Nuancen des Textes so gelungen zur Geltung kommen, dafür ist das Schauspieltrio auf der Bühne verantwortlich. Marcus Marotte als kulturanthropologisch interessierter Freund Atzbacher, der Reger voller Bewunderung zur Seite steht und eloquent stets seine Meinung teilt. Olaf Salzer ist ein dienstbeflissener Museumswärter Irrsiegler, der sich selten irrt, aber mit ländlicher Einfalt das Geschehen steuert. Es ist diese Arroganz des Bildungsbürgers, die Bernhard seinen Figuren angedeihen lässt, die überheblich auf die unter ihnen blickt. Zugleich verdanken sie diesen Unteren alles. Aber auch der Bildungsbürger geht nicht ohne Schelte aus. Goethe hat die Gretchen-Frage, Atzbacher die zum Abort. Köstlich.
Spieglein, Spieglein an der Wand
Tintorettos „Weißbärtiger Mann“ ist natürlich nicht anwesend. Nachdenklich blicken die drei Figuren immer wieder über das Publikum hinweg. Ironischerweise ist es dann aber doch der Weißbärtige höchstpersönlich, der ebenfalls auf der Bühne gespiegelt wird. Es ist ein lustiger Zufall, dass just Reger selbst in Form seines Schauspielers Harald Fröhlich dem Bildnis ähnelt. So gesehen, könnte hier eine Anthropomorphisierung vorliegen und würde die Figur implizit über sich selbst philosophieren. Schließlich sucht Fröhlichs Reger an dem „Weißbärtigen Mann“ das Imperfekte und das wohnt doch bekanntlich allen Menschen inne. Die Schauspieler beherrschen die Sprachtiraden des Autors jedenfalls hervorragend
Ist das Kunst oder kann das weg?
Das Schöne an der Inszenierung von „Alte Meister“ ist aber auch die Redundanz des Bühnenbilds (Ragna Heiny). Lediglich leere Rahmen zieren die Wände. Die Meisterwerke dürfen sich gedacht werden. An Inspiration mangelt es nicht. Die Namen großer Künstler sausen durch die Luft, wie anderswo die Vögel. Das Ende großartig – trocken serviert von Atzbacher und Reger. Anders darf so ein Bernhard gar nicht enden. Übrigens, wer das nächste Mal im Kunsthistorischen Museum ist und nach dem Bordone-Saal Ausschau halten möchte. Vergesst es gleich wieder, den gibt es gar nicht. Schade eigentlich.
Fotonachweis: Jan Friese
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