DAS (c) Jan Friese

DAS – Schauspielhaus Salzburg

Wartesaal-Reigen: „DAS“ am Schauspielhaus

Uraufführung gelungen, Patientinnen wohlauf: „DAS“ berührt mit Schmunzeln und Augenzwinkern, ohne dabei an Tiefe und Ernsthaftigkeit einzubüßen.

Hell, freundlich und ohne zu werten, zieht das Licht das Theaterpublikum in den Raum – wie sonst die Motten an die Glühbirne. Dort, wo sich üblicherweise die Bühne befindet, trifft es diesmal allerdings auf einen Wartesaal. Irmgard Lübke (Regie) schuf für die Uraufführung von „DAS“ ein besonderes Setting (Ausstattung: Marlene Lübke-Ahrens). Die vierte Wand steht zwar noch, die Besucher:innen erwartet trotzdem eine einzigartige Reise.

In aller Plot-Kürze

„DAS“ ist eine Geschichte, die sich aus vielen speist. Autorin Magdalena Marszałkowska arbeitete jahrelang als Übersetzerin und Beraterin in einer Klinik für Schwangerschaftsabbrüche in Wien. Aus ihren Erfahrungen entstand ein Theaterstück: „DAS“. Die Versalien brüllen es den Betrachter:innen bereits förmlich ins Gesicht. „DAS“ ist laut, „DAS“ ist intensiv, „DAS“ ist das Unaussprechliche – das, was immer die anderen betrifft, bis es dich plötzlich selbst betrifft. Die Rede ist von ungewollten Schwangerschaften und dem gesellschaftlichen Tabu, das damit einhergeht. Statt auf fiktive Charaktere setzt Marszałkowska auf ehemalige Patientinnen. Sie gibt mit „DAS“ denen eine Stimme, die sonst kaum Gehör finden.

Schicksalhaft: Der Wartesaal in „DAS“

Hell, freundlich und ohne zu werten reagieren auch die Assistentin und Ärzt:innen in der Klinik auf die Frauen und ihre Begleitpersonen. Wer hätte es gedacht – aber während Österreicher:innen für Zahntourismus nach Ungarn pendeln oder für Haarimplantate in die Türkei reisen, hat sich eine Wiener Klinik im Osten herumgesprochen. In kleinen Szenen, die ein homogenes Ganzes bilden, geben die Figuren einzelnen Schicksale wieder.

Figuren, die das Leben schreibt

Da ist die sehr religiöse Dreifachmutter (Christiane Warnecke: großartig leidenschaftlich), die mit Kreuzanhänger um den Hals selbstherrlich über den verdorbenen Westen wettert und zugleich selbst auf einen Abort wartet. Oder Sofia (Petra Staduan), die sich schon vor dem Eingriff auf dem Sprung befindet, weil sie ihren Sohn unmöglich mit dessen Vater allein lassen könne.

Leonie Bergers Ingenieurin ist die einsame Seele des Stücks. Intensiv sind die Minuten, in denen sich ihr Schicksal offenbart, an dem selbst die Ärztin (empathisch: Susanne Wende) Anteil nimmt. Auch Aneta (Kerstin Maus als ausgeglichene Feministin) hat eine Odyssee im eigenen Land hinter sich. Abtreibung, so lernt das Publikum, ist niemals einfach und in bestimmten Ländern wie Polen ganz besonders schwierig. Das liegt vor allem an den Männern, an denen kein gutes Haar bleibt. In einem Einspieler wurden Wortspenden von Politikern, Männern aus der Wirtschaft und dem Klerus wiedergegeben – reale Zitate, die mit ihrer Misogynie für nacktes Schaudern sorgen. Toxische Männlichkeit, Patriarchat, wohin das Auge blickt und die Begleitpersonen im Stück gießen fleißig Öl in dieses Feuer.

Männer als Beiwerk

Fast scheint es ausgleichende Gerechtigkeit, dass den Männern in „DAS“ vor allem die Rolle des Accessoires zukommt. Das darf bisweilen für humorige Untertöne sorgen, wenn Adam (herrlich von sich überzeugt: Enrico Riethmüller) mit Geldscheinen wedelt oder erfährt, dass seine Verhütungsmethode auch als „vaginales Roulette“ bekannt ist. Großartig an dieser Stelle auch Jens Ole Schmieder als aufklärender Arzt, dem die Frauen (und Männer) so naja vertrauen. Lenas Verlobter (Noah Löffelberger) sagt prinzipiell immer das Falsche und wird von ihr (Agnieszka Wellenger) ausdauernd gerügt, während Stefan (Benjamin Muth) gerne im Hintergrund verweilt.

Mit Humor lässt sich vieles verdaulicher verpacken – auch die Schwere eines Stücks wie „DAS“. Hier versinkt niemand in Trauer. Irmgard Lübke schafft es mit ihrem Team, eine gewisse Leichtigkeit beizubehalten, die dem Stoff gar nicht zuzutrauen wäre (Musik & Sound: Georg Brenner, Dramaturgie: Julia Thym). Gleichzeitig werden die Abtreibung ganz ohne Voyeurismus im Nebenraum absolviert und nur stimmlich ins Auditorium übertragen. So soll Theater sein: In fremde Welten eintauchen lassen und zum Nachdenken anregen. Währenddessen tickt im Wartezimmer immer wieder die Uhr. Die Zeit läuft.

 

Fotonachweis: Jan Friese // Schauspielhaus Salzburg

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