DER KLEINE GRENZVERKEHR an den Salzburger Kammerspielen
„Es gibt nichts Gutes, außer man tut es“, sagte Erich Kästner. An den Kammerspielen in Salzburg dachte sich das auch Regisseur Volkmar Kamm und machte Kästners DER KLEINE GRENZVERKEHR bühnentauglich.
„In Bad Reichenhall werde ich als Grandseigneur leben, in Salzburg als Habenichts; und jeden Tag werde ich der eine und der andere sein. Welch komödienhafte Situation!“. Was sich wie der Beginn einer Dissoziation anlässt, ist die Ausgangssituation von Erich Kästners „Der kleine Grenzverkehr“. Das schmale Büchlein gilt bis heute als heimlicher Reiseführer Salzburgs und birgt Pointen wie die alten Kaugummiautomaten harte Kugeln. Der Autor mag zwar vor allem für seine Kinderbücher bekannt sein, gleichzeitig schrieb er genauso respektierlich für Erwachsene. Es lohnt sich also, einen Blick ins Œuvre des Dresdners zu werfen – aktuell sogar noch viel einfacher möglich: In den Salzburger Kammerspielen inszenierte Volkmar Kamm Kästners kurzweilige Komödie DER KEINE GRENZVERKEHR.
In aller Plot-Kürze
Der junge Schriftsteller Georg Rentmeister wird zu den Salzburger Festspielen eingeladen. Aufgrund der politischen Situation von 1937 darf er aber nur 10 Reichsmark pro Monat über die Grenze einführen. Das macht 33,3333333 Pfennige pro Tag. Man muss keine promovierte Mathematikerin sein, um zu errechnen, dass diese Formel nicht funktioniert. Deshalb macht sich der bauernschlaue Literat den kleinen Grenzverkehr zunutze, residiert zu günstigen Konditionen in Bad Reichenhall und marschiert täglich zu Fuß ins Nachbarland. In Salzburg lässt er sich von seinem Freund Walter einladen. Ein guter Plan, der bereits am ersten Tag in die Binsen geht, als Walter vorzeitig das Bräu verlässt und Georg auf seiner Bierrechnung sitzen zu bleiben droht. Bevor die peinliche Situation eskaliert, kommt Hilfe in Form von Konstanze; einem angeblichen Stubenmädchen am Nebentisch, die sich im Laufe der Liebesbeziehung aber noch als Komtesse mit Schauspielambitionen und Hang zu Kurt Tucholsky entpuppen wird.
Grenzgänger Kästner
Im originalen Büchlein klappert Kästners fiktiver Freund Georg Rentmeister als Ich-Erzähler minutiös die Attraktionen der Stadt ab und beschreibt sie auf wunderbar poetische und gleichzeitig großartig amüsante Weise. So ein pointierter Reiseführer lässt sich allerdings schwer auf die Bühne bringen. Deshalb adaptierte Regisseur Volkmar Kamm das Stück und verpasste dem KLEINEN GRENZVERKEHR ein szenisches Facelifting (Dramaturgie: Friederike Bernau). Die Rahmenhandlung wurde großzügig von Kamm in Kästner Manier ergänzt, indem er auf die Vermengung von Fiktion mit Realem setzt. Denn tatsächlich war Erich Kästner selbst als Grenzgänger für einige Wochen in der Landeshauptstadt. Gemeinsam mit seinem Freund Walter Trier, der bisweilen seine Bücher illustrierte, wollte er ein Buch über die Stadt schreiben. Die Zeit als Gast in Bad Reichenhall mit täglichem Ausflug nach Salzburg motivierte Kästner zur Entstehung seines kleinen, aber feinen Romans. Dass er jetzt selbst als Figur darin auf der Bühne steht, hätte sich der berühmte Schriftsteller vermutlich auch nicht träumen lassen.
Temporeiche Schlagabtausche
Gregor Schulz und Martin Trippensee sind als Erich Kästner und sein Freund Walter ein wunderbar komödieaffines Bühnen-Duo. Ihre flapsigen Schlagabtausche führen leichtfüßig durch den Abend und sorgen für Schmunzeln in den Reihen. Besonders gelungen die Szene im Zwergen-Rondell, wo sie sich in betrunkenen Weisheiten ergehen, ehe unvermutet ein Zwerg antwortet. Überhaupt besitzen die Dialoge Kästners/Rentmeisters und Walters das Potential, die Eloquenz anderer Männerfreundschaften vor Neid erblassen zu lassen. Außerdem wird rasch deutlich, dass in dieser Inszenierung das Augenmerk auf den kleinen Details liegt. So spricht Schulz‘ Kästner/Rentmeister immer wieder davon, dass sein Freund „malt“, während Trippensees Walter ihn genauso hartnäckig daran erinnert, dass er „zeichne“. Der Lilliputaner im Zwergen-Rondell erhält eine entsprechende Mütze und als Rentmeister bei seiner Konstanze übernachten darf, wackelt subtil die Vase auf dem Beistelltisch (Raum: Volkmar Kamm, Kostüme: Katja Schindowski).
Peter Alexander ist zurück
Im Laufe der Verwechslungskomödie, die auch von Plautus oder Terenz stammen könnte, erinnert Gregor Schulz‘ Kästner/Rentmeister immer häufiger an einen jungen Peter Alexander. Egal ob als Graf Bobby oder als Zahlkellner Leopold. Der Charme sitzt, wackelt und hat Luft. Und singen kann er obendrein. Nicht nur Männerfreundschaftspointen, sondern auch ein Anti-Weihnachtslied. Das ist wieder so eine Besonderheit dieses KLEINEN GRENZVERKEHRS; hier geben sich die Gedichte von Kurt Tucholsky und Erich Kästner in gesungener oder vorgetragener Form die Klinke in die Hand (Bühnenmusik und musikalische Leitung: Alexander Kuchinka, Choreografie: Verena Rendtorff). Dafür geht die Binnenhandlung in die Vollen. Als angebliche Komtesse Konstanze steht Laura Barthel auf der Bühne. Anfangs noch etwas verhalten, redet sie sich in Komödienform und mimt auch gleich den eigenen Bruder. Das rote Band im Haar bleibt ungeklärt, vermutlich aber ein Hinweis darauf, dass die blaublütige Konstanze eigentlich eine Bohémienne ist.
Kompaktes Allround-Paket
Auf so eine überschaubare Kammerspielbühne passt nicht viel, das was im KLEINEN GRENZVEKEHR draufgepackt wurde, ist deshalb kompakt arrangiert. Beispiel gefällig? Konstanzes Motorrad, ein wunderbar gelungener Ausstattungseinfall, der von Alexander Kuchinka akustisch begleitet wird. Apropos Alexander Kuchinka. Der entpuppt sich als echter Tausendsassa. Was anfangs als so „harmloser“ Klavierspieler daherkommt, der vielleicht in die eine oder andere Nebenrolle schlüpft, entwickelt sich zum Hans-Dampf-in-allen-Gassen, der sämtliche Rollen beherrscht – und obendrein noch wunderbar sein Instrument spielt.
Unter Nachbarn: DER KLEINE GRENZVERKEHR
Eine besondere Note kommt mit den Namarras ins Spiel. Der amerikanischen Familie, die vorübergehend im Schloss von Konstanzes Familie residiert. Vermutlich aus genau dem Grund, weil zu viel Personal hier nicht funktionieren würde, lagerte man auf die Kollegen von nebenan aus: Marionetten. Unter die Puppenspieler*innen mischte sich sogar die Dramaturgin höchstpersönlich und es wird einmal mehr deutlich, die Schauspieler*innen aus Holz harmonieren prächtig mit ihren großen Kolleg*innen aus Fleisch und Blut (Friederika Bernau, Marion Mayer, Emanuel Paulus) – auch wenn der Handlungsstrang bei dieser Inszenierung einen redundaten Eindruck hinterlässt, da er zur dramaturgischen Überladung führt.
Das Ende kann man in emanzipierten Zeiten durchaus als gewagt bezeichnen. Was lustig beginnt, endet laut. Konstanze will nicht wahrhaben, dass sie nur eine fiktive Figur ist und stellt es humorig in Frage. Da wird Kästner/Rentmeister laut und Konstanze bockig. Bis hierhin ist das ganz spaßig. Als dann aber die männliche Figur die weibliche anbrüllt und die daraufhin tatsächlich für immer verstummt, stellt sich die Frage, warum, und bleibt die Erkenntnis, entbehrlich, sowie ein schaler Beigeschmack. Der färbt in der Retrospektive dann auch noch vom fiktiven Kästner/Rentmeister auf den realen Autor ab. Kann man machen, sollte man aber nicht – auch ganz ohne Woke Sympathien. Den Rest allerdings schon. Da Kamms Inszenierung des KLEINEN GRENZVERKEHRS einen vergnüglichen, heiteren Abend bietet, der sich eben nicht in seichtem Kitsch verliert.
Fotonachweis: Anna-Maria Löffelberger
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