Die Belagerung © Benjamin Blaikner

Die Belagerung – Theater der Mitte

Kleiner Mann, jetzt erst recht!

500 Jahre und keinen Tag weiser: Peter Blaikners neuester Coup “Die Belagerung” feiert in der Regie von Benjamin Blaikner auf der Festung Hohensalzburg Uraufführung. Pfiffige Dialoge, findige Pointen und eine Brise Troubadour.

Wo der Herrgott wohnt? Na, der hat seine Herrschaft im Himmel und sein Geschäft in der Kirche, antwortet Jogl (Theo Helm) wie aus der Armbrust geschossen. Dass das göttliche Business wie geschmiert laufen muss, steht für den einfachen Mann aus dem Volk außer Frage, und er muss es ja wissen. Schließlich kommen sie, die Bauern, Handwerker und Bergknappen für den dekadenten Lebensstil von Klerus und Adel auf. Ablasshandel und Steuern lassen grüßen.

Das 16. Jahrhundert war kein leichtes Pflaster und auch 500 Jahre später scheint sich die soziale Evolution noch in der gleichen Schockstarre zu befinden. Das Ungleichgewicht dominiert, die Leibeigenschaft ist einer Globalisierung mit ähnlichen Auswirkungen gewichen. Grund genug für Peter und Benjamin Blaikner, das runde Jubeljahr zum Anlass zu nehmen, den Salzburger Bauernaufstand ein bisschen zottig, etwas derb, aber immer lustig und mit dem Finger in der Wunde auf die Bühne zu bringen.

»Die Belagerung« – eine Uraufführung auf der Festung Hohensalzburg

Während Peter Blaikner Konzept, Text und Komposition verantwortet, hält Benjamin Blaikner Konzept und Regie fest in der Hand. Die Musik stammt von Tom Reif und Florian Sighartner. Das Ergebnis ist typisch Blaikner: Dialoge und Songs sind echte Hinhörer, die Spaß machen und dennoch, oder gerade deshalb, berühren. Mit Pointen, die schnell und treffsicher fliegen, und einem Wechselbad an Dialekten. So viel Authentizität muss sein.

Reduktion und Divergenz

Das Ensemble bleibt auf ein Mindestmaß beschränkt, weshalb (fast) alle Schauspieler:innen in mehrere Rollen schlüpfen. Reduktion und Klarheit dominieren auch in Regie, Konzept und Ausstattung (Bühne: Alois Ellmauer, Benjamin Blaikner; Kostüme: Lili Brit Pfeiffer). Kein Requisit zu viel, stattdessen wird mit Schattenspielen und Videoprojektionen der Raum vergrößert. Der allerdings, so viel Zeit muss sein, kein gewöhnlicher Raum ist. »Die Belagerung« wird im Hof der Festung Hohensalzburg aufgeführt und ist damit hautnah dran am Originalschauplatz. 

Hier hatte sich vor 500 Jahren der Fürsterzbischof verschanzt. Mut zählte nicht zu seiner Stärke, Dekadenz allerdings schon, die Raphael Steiner elegant auf den Punkt bringt. Genauso wie die Doppelmoral der Kirche. Fleißig unterstützt wird das religiöse Oberhaupt von bissigen Seitenhieben und ironischen Kommentaren des Pöbels. Sein findiger Ablasshandel scheint wenig hilfreich, Sympathiepunkte zu sammeln, dafür umso mehr Pointen.

Auf Wohlwollen muss auch Thomas Sturm verzichten, der für das Stück in sämtliche Antagonistenrollen schlüpft, die »Die Belagerung« hergibt, und sie mit gelungener Wendigkeit verkörpert. Das einprägsame Spiel, diesmal auf der guten Seite, beherrscht auch Theo Helm zur Perfektion. Als Narrator führt sein Jogl in das Stück ein und übernimmt die Führung beim Aufstand, die er gar nicht haben möchte. Gesanglich wunderbar mit  Chansons, die zwischen Troubadour-Lyrik und Chansons variieren: zotige Kalauer mit Herz und Hirn.

Auf der Festung Hohensalzburg fließt der Gerstensaft zur Belagerung in Strömen

Kess und selbstbewusst ist Julia Rajsps Maria, während Theresia Amstler vor allem als Simmerl amüsiert: Der Bote, der losgeschickt wurde, den Fürsterzbischof zu warnen und vor lauter Bierpausen niemals ankam. Ein Schelm, wer jetzt an »Iwein« denkt. Übrigens: Bei dem angedeuteten Bierkonsum der Figuren wundert es, dass sich keine Brauerei für den Sponsor-Posten von »Die Belagerung« beworben hat. Bessere Produktplatzierung scheint kaum vorstellbar, und auch am Buffet wird der Gerstensaft fleißig gehandelt.

Auch wenn »Die Belagerung« teils auf wahren Fakten basiert, sind andere eben auch rein fiktiv. Aber genau das zeichnet diese Uraufführung aus: Das und die einzigartige Atmosphäre eines lauen Sommerabends mit der Rekonstruktion eines Aufstands für die Grundrechte an einem Originalschauplatz. 500 Jahre und keinen Tag weiser.

 

Fotonachweis: Benjamin Blaikner // Theater der Mitte

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