Zum Leben zu wenig, zum Sterben zu viel
Kapitalismuskritik in Salzburg: »Die Heilige Johanna der Schlachthöfe« tourt in einer Produktion von Cassandra Rühmling und ihrem Team durch die Stadt.
Beim einfachen Volk brodelt es, Hunger und Arbeitslosigkeit, wohin das Auge reicht. Der Lohn rasselt ins Bodenlose, während sich die Reichen die Taschen vollstopfen, und sich die Armen auf der kleinen Bühne des Jazzit stapeln. Durch die Räume des ehemals kommunistischen Volksheims wehen marxistische Töne. Und wer hat’s erfunden? Brecht. Cassandra Rühmling und ihr Salzburger Produktionsteam inszenierten den immer noch topaktuellen Stoff der »Heiligen Johanna der Schlachthöfe« passenderweise u.a. im heutigen Musiklokal.
Ähnlich wie die berühmte Vorgängerin aus Orléans kämpft auch ihre antikapitalistische Schwester gegen die Ungerechtigkeiten dieser Welt. Allerdings ohne den Märtyrstatus, den Johanna Dark, nomen est omen, schlichtweg verweigert. Stattdessen schwingt sich das epische Stück zum Symbol der Arbeiterbewegung und des Klassenkampfes auf.
Hoch leben die Verfremdungsebenen
Cassandra Rühmling nähert sich der politischen Allegorie aus gleich mehreren Positionen. Zum einen schlüpft sie in die Hauptrolle der Produktion, zum anderen hält sie auch das Regiezepter fest in der Hand. Es ist die Vision eines Traums, die das Stück eröffnet, das sich dann mit einem vielseitigen Ensemble, Extrachor und Live-Musiker auf allen Verfremdungsebenen austobt. So viel Brecht muss sein.
Mit feinem Gespür für die Situation führt Rühmlings Leitfigur durch das Stück oder wird geführt. Es ist Johanna selbst, durch die das Publikum seine pädagogische Reise durchläuft und am Ende bestenfalls geläutert hervorgeht. Mit ihr erkundet es die Naivität und den Glauben an Gott und die Moral bis hin zur Erkenntnis, dass gesellschaftliche Befreiung nur durch kollektiven Kampf erreicht werden kann. Zumindest in »Die Heilige Johanna der Schlachthöfe«.
Handzahmer Fleisch-Oligarch: Die Heilige Johanna der Schlachthöfe
Die Handlung selbst bewegt sich dafür teils auf abstrakter Ebene. Mit einem roten Band, das an eine Nabelschnur erinnert, verbindet sich Johanna mit ihren Widersachern und versucht zu vermitteln. Selbst der Großaktionär Pierpont Mauler (sehr gelungen: Henry Arnold) wird plötzlich ganz handzahm, was auch daran liegen könnte, dass er mehr Leben am Fleischmarkt als eine Katze zu besitzen scheint und immer wieder auf den blutverschmierten Pfoten landet.
Die Handlung ist komplex, beinahe könnte man nach diesem Stück vom Fleischglauben abfallen und mit wehenden Fahnen zum Veganertum wechseln. Allerdings ist es die Ökonomie, die hier am Pranger steht. Cridle (sehr gut: Jan Walter) kann seinen Kontrakt mit dem Fleisch-Oligarchen nicht erfüllen und verstrickt sich immer tiefer in Unbill. Als Slift ist Uschi Nocchieri allseits zur Stelle, um die Frage nach den Freunden in Amerika zu stellen, die Mauler mit ihren Tipps ganz oben auf der Wirtschaftsleiter halten.
Den Chor der Arbeiter bilden Mathias Mayerhofer und Florian Friedrich auf erstaunlich harmonische Weise für so ein unharmonisches Thema; sie spielen genauso mit den Worten, wie auch die anderen damit jonglieren. Die gebundene Sprache und antiken Chor-Sentenzen sind gewollt, sie verhindern, dass sich das Publikum zu sehr im Stück verliert und mitzufiebern beginnt. Und weil ein Chor etwas wenig wäre, trumpft Salzburg sogar mit einem Extra-Chor (Sabine Füssl, Kunigunde Eschbacher und Pierre Feitler) sowie einem Live-Musiker (Robert Kainar) auf. Brecht würde es sicherlich freuen, und die Reise der Johanna geht weiter. Bis sie vielleicht irgendwann, in ferner utopischer Zukunft, keine Parallelen zur Gegenwart mehr aufweist.
Fotonachweis: Foto Flausen
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