Kafka mit einem Hauch von Steampunk
„Als Gregor Samsa eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand er sich in seinem Bett zu einem ungeheuren Ungeziefer verwandelt.“ – Es ist einer dieser Sätze aus Kafkas umfangreichster Erzählung, die Kulturgeschichte schrieben. DIE VERWANDLUNG entstand im November und Dezember 1912 und gelangt nun als Jugendstück auf die Bretter des Schauspielhaus Salzburgs. In modernem Kleid entdeckt die Inszenierung (Regie: Bernadette Heidegger, Bühne: Vincent Mesnaritsch) einen innovativen Zugang zur ungustiösen Familiengeschichte und begrüßt das Publikum mit einer clownesken Episode. Die greift dem eigentlichen Geschehen voraus und thematisiert das Ausgegrenztsein des Einzelnen in heiter-bitterer Manier. Was als Clown-Szene präsentiert wird, hat durchaus Tiefe und harmlos endet düster (auch ohne Coulrophobie). Schon an dieser Stelle vertreten, das, ja, man möchte es gerne „Apfel-Motiv“ nennen. Die runden, saftigen Früchte sind es, mit denen der Vater Gregor in einem Tobsuchtsanfall die schwere Verletzung zufügen wird. Der exorbitante Apfel-Verschleiß während des Stückes deutet demnach, wenn man sich gerade in Interpretier-Laune befindet, auf die Allgegenwart der patriarchalen Aggressivität. Kein Wunder also, dass just die Familie Samsa die Äpfel gar so fleißig konsumiert.
Mit relativ einfachen Mitteln kreierte B. Heidegger ein faszinierendes und originelles Jugendstück, das auch das erwachsene Publikum in seinen Bann schlägt. Gregor Samsa wacht also eines Morgens auf und findet sich als Ungeziefer wieder. Psychisches Ausgegrenztsein wird mittels kluger Schachzüge visuell realisiert. Gregors Stimme wird zu diesem Zweck verstärkt in den Saal geworfen, das garantiert eine etwas andere Perspektive. Hinter dem Vorhang erwacht zur selben Zeit Gregors monströses, bemitleidenswertes tierisches Selbst zum Leben, das „unglaubliche Ungeziefer“. Von den anderen unbeachtet, kann sich Gregor (wunderbar Magnus Pflüger) zwischen seine Familie mischen und doch nicht mit ihnen in direkten Kontakt treten. Seine Sprache ist ihnen fremd, sein Gebaren unverständlich, es fehlt der Blickkontakt zwischen den Figuren, die stattdessen bewusst in die Ferne schweifen. Gleichzeitig ist M. Pflüger in seiner Rolle der Vermittler zum Publikum, der die Zuseher*innen Anteil haben lässt. Verwirrt gesteht Gregor, dass er langsam dabei Genuss empfindet, sich seinen tierischen Impulsen hinzugeben. Am Ende wird er sanft sein trauriges Schicksal akzeptieren.
Es wird rasch deutlich, dass Gregor anders ist. Heideggers Regiearbeit stellt die These in den Theaterraum, dass anders keinesfalls ein Negativum ist. Im Gegenteil, es ist die pathologische Familie, die die Wurzel von Gregors Übel verkörpert. Akribisch wird die etwas andere Familiengeschichte durch spezielle Details herausgearbeitet. Schauspiel und Kostüme greifen ineinander, um die Verwandlung des Vertrauten ins Unheimliche zu suggerieren. Und das gelingt hervorragend. Die fürsorgliche Mutter ist hysterisch besorgt (humorvoll-tragisch Ute Hamm), der autoritäre Vater kränklich und unerbittlich (Nenad Subat), die blasse Tochter voller Mitgefühl (lieblich Kristina Kahlert) und das kokette Hausmädchen 1 (Janna Ambrosy, nun, eben kokett) kündigt. Mit dem Andauern von Gregors Zustand betritt die Mutter das kalte Gefühlsspektrum des Vaters und sogar die treu sorgende Schwester sagt sich irgendwann vom Bruder los. Alle durchlaufen negative Entwicklungen. Alle? Nein, der Vater, Kafkas berühmte Problemfigur, bleibt konstant und stur in den eigenen, bereits ziemlich düsteren Werten verhaftet und pflegt sie mit einiger Hingabe. Seine Grausamkeit fasziniert; anfangs etwas unauffällig, springt er sich wie von Sinnen in Rage, den unglücklichen Sohn verhöhnend und wirft ihm seine angeblichen Schwächen vor, nur um diesen später selbst ungeniert zu frönen (ziemlich lebendig N. Subat). Sein fragwürdiges Naturell ergötzt sich an der Tragödie des Sohnes, aus dessen Resten er wie ein Phönix emporsteigt. Die grausame Entwicklung lässt sich übrigens auch an der Kostümführung ablesen (Kostüme: Elke Gattinger, Maske: Andrea Linse). Von schlichten, unförmigen schwarz/weiß Kombinationen und tristen, fahl geschminkten Gesichtern wandelt sich Gregors Familie in figurbetonte rot/blau/schwarz gewandete Varianten. Kleidung als Seelen-Topographie, wenngleich an dieser Stelle invertiert; auch der Prokurist (Lukas Spinka) weiß davon zu berichten, der als großartige Symbolfigur für die mächtigen Zwänge des Beruflichen überdimensional über die Familie hereinbricht.
Sehr im Fokus die subtil erotischen Momenten, die auf der Bühne an Diskretion einbüßen. So darf Gregor seine Schwester mit eindeutigen Handbewegungen auf Leistenhöhe, begleitet von Lauten der Ekstase, heimlich und mit sichtlichem Genuss beim Umziehen beobachten und die Herren Mieter Schwester und Mutter lüstern mit ihren Händen erkunden. Eindeutig-anzügliche Szenen, die – handelt es sich doch um ein Jugendstück – spätestens bei reinen Schulvorstellung für einige juvenile Unterhaltung sorgen dürften (was froh stimmt, dann eben nicht anwesend zu sein).
Jugendstücke am Schauspielhaus sind meistens kleine Höhepunkte. DIE VERWANDLUNG stellt da keine Ausnahme dar und das vor allem deshalb nicht, weil es so entrückt anders ist und doch sehr stark in der Vorlage verhaftet bleibt. Außerdem ist da noch die Empathie, die den Atem stocken lässt ob der Unmenschlichkeit, die hinter der kleinbürgerlichen Fassade lauert. Da erfreut dann nicht nur der euphorische Applaus die DarstellerInnen, sondern die Verfasserin auch die Tatsache, dass der misshandelte Sohn am Ende wieder ganz untierisch und fidel auf die Bühne zurückkehrt. Phew, hätte ja auch anders sein können… 😉
Fotonachweis: Gregor Hofstätter
by