Eine hüpfende, tanzende Kirche und die Ambivalenz des Sakralen und Dämonischen.
Das Toihaus hatte eine Vision. Cornelia Böhnisch (Tänzerin und Choreographin) stellte sich deshalb mit dem Ensemble, externen Künstler*innen und Gästen aus „Kunst & Wissenschaft“ ein Jahr lang die interdisziplinäre Frage: „Warum tanzt der Mensch?“. Es wurde getanzt, erforscht und erkundet, ob tanzen göttlich oder teuflisch sei. Die Herangehensweisen waren so heterogen wie die daran partizipierenden Disziplinen und mit ECCLESIA SALTANS erreicht dieses Projekt jetzt seine Klimax.
Die Zahl Drei nimmt im Christentum eine signifikante und besondere Stellung ein. Es ist eine heilige Zahl, die die Dreifaltigkeit symbolisiert (u.a. wurde außerdem Jesus mit 33 gekreuzigt und ist am dritten Tag von den Toten wieder auferstanden). Gleichzeitig findet sich das Motiv der Trinität auch in latent veränderter Form bei ECCLESIA SALTANS; eine heilige Symbiose aus Kirche, Tanz und Musik entsteht vor den Augen der staunenden Betrachter*innen. Dabei setzt Choreographin C. Böhnisch auf bewährte und bereits zur Perfektion vollendete Mittel und Methoden.
Alte Musik, liebevoll zelebriert, führt die Zuschauer*innen sanft in das Geschehen ein, Tempovariationen kreieren neue Klänge, fade in / fade out Schriftzüge sind unauffällig / auffällig auf dem Bühnenboden platziert. Die musikalischen und tänzerischen Überleitungen gleichen diesen sachten Ein- und Ausblendungen, den Annäherungen an das Sujet. Es dominiert die Stille. Mit großer Körperbeherrschung rollen die Tänzerinnen eingangs sanft, später schnell, laut und wild über die Bühne, während jeder Ton in den Zuschauerbereich übertragen wird. Jedes noch so kleine Knirschen und Streifen gewinnt unglaublich an Lautstärke, beinahe ist man versucht, auch das eigene Schlucken zu unterbinden. Das hallt auf einmal seltsam laut in den eigenen Ohren wider. Ob es den Sitznachbarn auch auffällt? Doch ja, drei Plätze weiter schluckt ebenfalls gerade irgendjemand. – Die extreme Stille fördert die sakrale Atmosphäre, es ist schwer, sich ihr zu entziehen. Etwas entsteht auf der Bühne, ist geordnet und gereiht, weiß und rein, bis, ja, bis der selbstproduzierte „Wasserpark“ in Betrieb genommen wird. Die Stille bricht und wird von Tropfgeräuschen und anderen natürlichen Klängen begleitet, die das Geschehen fortan musikalisch untermalen; das teuflische Element bäumt sich auf und ist nass. Sehr nass sogar. Dem wohl beliebtesten Bühnenaccessoire im Toihaus (die Wasserspiele erhalten Konkurrenz) wird an diesem Abend mächtig gefrönt. Gegen fast alle Todsünden verstoßend, tobt das Ensemble unisono in der flüssigen Substanz. Vorher noch rein, züchtig und sich evolutionär langsam vom Boden erhebend, werden die anonymen Figuren – kaum können sie stehen, sich strecken und recken – in Versuchung geführt. Das Dämonische hält Einzug; das Wasser färbt sich rot, Körper suhlen sich in okkulter Manier in scheinbar blutigen Substanzen, mit aus Wasser gewandeltem Wein werden Exzesse gefeiert, denen sich Dionysos an dieser Stelle vermutlich gerne angeschlossen hätte. Und dann ist da dieser Urschrei, „la gloriosa“ (falls sich kein Verhörer eingeschlichen hat: die Ruhmreiche, die Glorreiche), der plötzlich aus dem Nichts von einer blutgetränkten Tänzerin (Pascale Staudenbauer) märtyrerinnenhaft ausgestoßen wird und die Stille so unvermutet bricht, dass die Verfasserin dieser Zeilen der Schreck durch sämtliche Glieder fährt. – Am Ende ist das Gerüst künstlerisch dekoriert und der Kopf stolpert vor lauter Tatendrang über die eigenen Eindrücke.
Das Tableau an Interpretationsmöglichkeiten ist auch für ECCLESIA SALTANS äonenweit und den Zuschauer*innen stehen sämtliche Gedankenkonstrukte offen. Immanuel Kant wäre entzückt (sapere aude, habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen)! Eine fabelhafte Eigenschaft, die den meisten der Toihaus-Produktionen innewohnt.
Fotonachweis: Toihaus Theater / M. Grieshaber
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