Ein Volksfeind

Am Ende sitzen Dr. Stockmann und seine Frau Kathrin auf der Bühne im Scheinwerferlicht. „Die Stärke des Mannes,“ verkündet er noch einmal aufbrausend, „ist seine Einsamkeit“. Würde das Stück rückwärts laufen, möchte an dieser Stelle fast so etwas wie Mitleid aufwallen. Aber das Stück läuft eben nicht rückwärts und das Publikum wurde gerade Zeuge einer Wandlung vom idealistischen Volksfreund zum elitären Misanthropen. Die Rede ist von Henrik Ibsens EIN VOLKSFEIND, das fabelhaft inszeniert von Susi Weber im Schauspielhaus Salzburg zur Aufführung gebracht wurde. Entstanden ist ein feingewobenes Drama, das sich immer wieder als Satire zu erkennen gibt und den Menschen im Saal einen erschreckend realen Spiegel präsentiert.

Dr. Stockmann vs. den Rest der Welt. – Webers Inszenierung des gesellschaftskritischen Dramas führt vor, dass die Welt kein Platz eitlen Sonnenscheins ist und Ibsens Stück von 1882 auch heute noch Aktualität besitzt. Im VOLKSFEIND anno 21. Jh. treffen Ikea-Möbel auf Bauhausstil, große Fensterfronten auf gehobene Mittelschicht-Spießbürgerlichkeit. Das reflektiert sich nicht nur im Inventar des gelungenen Bühnenbildes (Ausstattung Luis Graninger), sondern auch in der Kleidung. Die Figuren auf der Bühne sind Archetypen ihrer gesellschaftlichen Position und ja, sie wecken tatsächlich Erinnerungen an die eine oder andere reale Person. Kleine Details akzentuieren diesen Eindruck, wenn Hovstadt (Martin Brunnemann eloquent, nonchalant und selbst im Gestus noch pointiert ironisch), der lässig gekleidete Journalist mit den äußerst wandelbaren Moralvorstellungen, entsprechendes Essverhalten demonstriert und die bürgerlichen Werte auch optisch missachtet. Oder der sich ständig anbiedernde Aslaksen (ziemlich überzeugend und mit entsprechend gellastiger Frisur Herwig Ofner), der immer wieder darauf pocht, der Vertreter der Kleinbürger und der Hausbesitzer – kurzum, der „Majorität“ – zu sein und sein Fähnlein nach dem Wind richtet. (Das sind überhaupt herrliche Momente, diese „Majoritäts“-Ausbrüche; besonders wenn sie von Dr. Stockmann entsprechend ironisch aufgegriffen und beinahe spöttisch persifliert werden). Alle Figuren sind Teil des großen Ganzen und erfüllen ihre optischen Versprechen grandios.

EIN VOLKSFEIND demonstriert ein erschreckendes Gesellschaftsbild und führt die korrumpierende Macht gnadenlos vor, indem sie nonchalant amüsant präsentiert wird. Hovstadt und Aslaksen sichern dem Doktor unaufgefordert ihre Unterstützung zu. Hinter sich wissen sie die viel zitierte „Majorität“. Als laut wird, dass ein erheblicher Schaden mit der Publikation des Skandals einhergehen würde, ist ihr abrupter Meinungswandel absehbar. Sie wollen der „Majorität“ diese finanzielle Probleme nicht zumuten, können dabei aber kaum verhüllen, dass sie sich in erster Linie um sich selbst sorgen. Jetzt wird es unappetitlich und der Doktor bockig. Aus einem Gegner, seinem Bruder dem Bürgermeister (Antony Connor – entsprechend verbissen, jähzornig und überheblich – baut emsig an einer immer größer werdende Antipathie), wurden inzwischen einige. Immerhin darf dem Gemeindevorsteher zugutegehalten werden, dass er beständig an seiner – wenngleich moralisch bedenklichen – Meinung festhält.
Der Wendepunkt naht. Auf der extra einberufenen Volksversammlung geht es heiß her und wird der Volksfreund zum Volksfeind deklariert. Eine energiegeladene Szene, die sich weiter steigert, wenn Hovstadt immer wieder mit dem Blitz seines Fotoapparates aggressiv aus dem Publikum gegen die Redner feuert. Der emotionale Höhepunkt des Stücks kulminiert in einem gelungenen Handgemenge, das schon alleine beim Hinsehen blaue Flecken verursacht und dem sich M. Brunnemann und Th. Helm voller Elan hingeben. Auf der Bühne florierenden Gefühle werden weiterhin persistent mittels Kulisse aufgegriffen.

                                                              Fotonachweis: Marco Riebler

Von der viel gerühmten Volksnähe des Doktor Stockmanns ist am Ende nichts mehr übrig. Er möchte die Gemeinde mittlerweile nicht nur physisch, sondern auch geistig reinigen. Seine Maske fällt und mit präziser Genauigkeit präsentiert sich dahinter eine höchst misanthropisch elitäre Gesinnung, die nebenbei aufzeigt, wie radikaler Fundamentalismus funktioniert.

Ja, ja; Sie können mich zwar überschreien, aber widerlegen können sie mich nicht. Die Mehrheit hat die Macht – leider -, aber das Recht hat sie nicht. Das Recht liegt bei mir und wenigen anderen, bei den einzelnen. Recht hat immer die Minderheit.

Auf die Frage nach Gerechtigkeit hat Dr. Stockmanns seine ganz eigene Lösung gefunden und wird dabei nur noch von seiner Frau unterstützt (Susanne Wende, an der sich wunderbar das Frauenbild des 19. Jh. ablesen lässt); seine früheren Werte sind einem radikalen Humanismus zum Opfer gefallen, den Ibsen vorführt und mit dem er abrechnet. Der rückratlosen und von Egoismus geprägten Gesellschaft ergeht es übrigens keinesfalls besser. Der Spiegel sitzt, der Applaus klingt trotzdem oder gerade deswegen ziemlich begeistert. Und amüsant war es obendrein.

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