Ich bin verliebt. Und zwar so richtig in ich-schlage-mir-die-Nächte-um-die-Ohren und ich-lese-in-jeder-freien-Minute Fasson. Dieser Zustand setzte kurz nach den ersten Zeilen von Rolando Villazóns Roman KUNSTSTÜCKE ein und ward bis zur letzten Seite nicht mehr zu bremsen. Vielleicht erklärt das den akuten Schlafmangel der letzten Tage. Sehr wahrscheinlich sogar. Allerdings ist die Geschichte des von Kindergeburtstag zu Kindergeburtstag tingelnden Clowns Macolieta, der in seinem kleinen blauen Büchlein den berühmten und erfolgreichen Clown Balancín zum Leben erweckt, viel zu faszinierend und magisch, um sie auch nur für einen kurzen Augenblick aus den Händen zu legen.
Macolieta lebt in einer bunten, chaotischen Wohnung. Auf seinem Schreibtisch haust eine Spinne und eine Sonnenblume, um die er sich fürsorglich kümmert. Wenn Macolieta nicht gerade über Sandrine grübelt, die Frau, die er liebt, der er das aber nie mitteilte, bis sie eines Tages verschwand und ein leeres Loch hinterlässt, führt er mit Max und Claudio zwischen Kindergeburtstagsauftritte philosophische Debatten. Außerdem schreibt Macolieta täglich über Balancín, sein erfolgreiches clownisches Alter Ego. Immer häufiger kreuzen sich dabei ihre Lebenswege. Als Balancín dann eines Tages aus dem Buch hinaus in die Welt tritt, stellt sich die Frage, was ist Wirklichkeit, was Fiktion?
Dieses Geheimnis beschäftigen nicht nur die Protagonisten in Rolando Villazóns phantasievollem Romanerstling. In die bunte, magische Zirkuswelt gehüllt, werden philosophische Diskurse und lebensbejahende Denkanstöße häppchengerecht serviert. Die hinterlassen nicht nur einen positiv optimistischen Nachgeschmack, sonder oszillieren auch scheinbar spielend einfach zu fantasievollen Gedankenkonstrukten. Manege frei für die zauberhaft farbenprächtige Welt des Macolieta. Oder ist es doch die von Balancín? In immer kürzer werdenden Abständen verschränken sich die beiden Erzählstränge und irgendwann gerät selbst der*die Leser*in an den Punkt, die tatsächliche Realität zu hinterfragen. Wer ist Macolieta, wer ist Balancín und wer bin eigentlich ich?
Und dann ist da noch die Sprache. Gleich Macolieta und Balancín mit ihren Bällen jongliert Rolando Villazón ideenreich mit seinem Wortmaterial. Dabei entstehen wunderbar lyrisch angehauchte Sätze, die sich aber gleichzeitig nicht im Abstrakten verlieren. Stattdessen verleihen sie KUNSTSTÜCKE ihren ganz besonderen, eigenen Klang.
Die fantastische Welt, die die Leser*innen erkunden dürfen, ist reich und tief. Am Schluss bleibt auch bei der Verfasserin die Wehmut, mit den letzten Zeilen auch das Ende des Romans erreicht zu haben. Tröstend deshalb das Wissen, KUNSTSTÜCKE jederzeit wieder lesen zu können. Und wieder. Und wieder… und wieder.
Bildnachweis: Rowohlt Verlag & moi
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