Frauenpower in MY FAIR LADY
London oder doch Wien? Zumindest auf dialektaler Ebene jongliert Andreas Gergens MY FAIR LADY mit Vokalen und Konsonanten, als gäbe es kein Morgen. Sehr humorig und mit Patina.
Ein größenwahnsinniger Phonetik-Professor und ein armes Blumenmädchen. Was die Basis von MY FAIR LADY bildet, ist gleichzeitig auch Stoff aus dem Ovids „Metamorphosen“ sind. Aber nicht nur die. Die Tradition reicht tiefer. Es war Praxiteles, der die Aphrodite von Knidos in Stein schlug und damit den prominenten Topos schuf. Von Tag 1 soll die für damaligen Zeiten sehr explizite Darstellung der nackten Frau für Furore gesagt haben. Dementsprechend brodelte die Gerüchteküche und spuckte alsbald die Legende von dem Jüngling aus, der sich der steinernen Lady unangemessen genähert haben soll. Als Rache für die Vergewaltigung strafte ihn die Aphrodite mit Halbwahnsinn. Kurz darauf soll der Jüngling verstorben sein. Bei Ovid endet die Liaison zwischen Pygmalion und seiner Statue um einiges beschaulicher. Und in MY FAIR LADY?
In aller Plot-Kürze
In MY FAIR LADY modelliert sich der eingefleischte Junggeselle Professor Henry Higgins eher zufällig seine Traumfrau mittels Phonetik, indem er Blumenmädchen Eliza elegantes Schönsprech lehrt. Binnen sechs Monaten wird aus der kratzbürstigen jungen Frau eine elegante junge Lady mit sehr viel Selbstbewusstsein. Das dürfte jedem außer Henry Higgins selbst aufgefallen sein. Als er sich endlich seine Gefühle für Eliza eingesteht, scheint es bereits zu spät.
Temperamentvolle MY FAIR LADY
Für seine Inszenierung des Musicalklassikers setzt Andreas Gergen ganz auf Wiener Sprachkolorit, bisweilen mischen sich aber auch Tiroler oder Bairische Färbungen in das bunte Potpourri. Hauptsache Österreich die Devise. Das Konzept geht voll auf, das Publikum ist hörbar angetan von den sprachlichen Ergüssen der Figuren.
Ilia Staple schlüpft mit Verve und Esprit in die Rolle der Protagonistin. Sie zelebriert Elizas (Wut)Reden, zieht sie genüsslich in die Länge und kostet die Breiten voll aus. Das funktioniert auch mit Standard Deutsch. „Influenza“ verzerrt sie genauso effektiv wie so manchen dialektalen Kraftausdruck. Gesanglich sitzt jeder Ton. Besonders gelungen, wie sich Eliza quirlig und kämpferisch in Rachefantasien an Professor Higgins ergeht, der sie grundlos zu schikanieren scheint und in dieser Szene als erstarrte Figur, als Pygmalion-Statue, präsent it („Wart’s nur ab!“). Eine sehr gelungene Spiegelung.
Die Geister, die Prof. Higgins rief
Sascha Oskar Weis ist als Henry Higgins die personifizierte Arroganz. Bis zum Anschlag mit Standesdünkel befüllt, bevormundet er seine Schülerin, wo er nur kann. Das frauenverachtende Pygmalion-Update beherrscht Weis wunderbar. Bestes Beispiel, seine Interpretation von „Bin ein Mann wie jeder Mann“. Auch Reue funktioniert, kommt aber zu spät, zumindest für die Figur. Axel Meinhardt oszilliert als Oberst Hugh Picking zum väterlichen Freund Elizas. Wo Higgins ohne Gefühl piesackt, wählt Picking, konträr zu seinem Namen, den diplomatischen Weg. Verschmitzt und charmant spielt sich Meinhardt durch den Abend.
Für Erheiterung sorgt auch Georg Clementis Alfred P. Doolittle. Als Müllkutscher mit leichtem bis starkem Alkoholproblem macht die Farbe seiner Nase jedem Rentier Rudi Konkurrenz und sitzt sein Mundwerk genauso lose wie das der Tochter. Wenn sich Alfred P. Doolittle über seinen unfreiwillig gewonnen Wohlstand erzürnt, bleibt im Saal kein Auge trocken.
Drahdiwaberl
Heiter, das beschreibt auch die Darstellung von Mrs. Higgins. Marco Dott sorgt für Mrs. Doubtfire-Konkurrenz und Slapstick-Momente, die angenehm undramatisch daherkommen. Stattdessen punktet die Figur mit souveränen Spitzen und ironischem Unterton. Oliver Floris überzeugt als ewig schmachtender Freddy Eynsford-Hill. Besonders schön, wenn er am Laternenpfahl hängt, um der Angebeteten näher zu sein. Doch die Drehbühne kennt kein Halten. Als er einige Szenen später wieder auftritt, klebt dieser Freddyr immer noch am Laternenpfahl und schmachtet weiter.
Apropos Bühne. Die setzt auf ordentlich Drehmoment. Praktischerweise muss dazu kein Part des großen Bildes verrückt werden. Die Bücherwand ist in dezentem Grauton gehalten. Vermutlich um als Kulisse für alle Szenen bespielbar zu sein. Die Drehbühne liefert Requisiten und Menschen am laufenden Band, wenn man sie lässt. Das scheint nicht nur ziemlich effektiv, sondern versprüht bisweilen auch Eleganz (Bühne: Stefan Mayer).
MY FAIR LADY mit Patina
Einzig das musikalische Repertoire ist bereits etwas in die Jahre gekommen. Den operettenhaften Unterton kann MY FAIR LADY einfach nicht abschütteln. Dagegen scheint kein Kraut gewachsen, egal wie grün. Das Stück stammt schließlich aus den fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts. Eine gewisse Patina sei also durchaus gestattet. Die Kostüme orientieren sich an der Idee des Klassikers, 1920er Jahre ahoi! Gleichzeitig wurden sie mit modernen Elemente des Hier und Jetzt komplettiert (Kostüme: Regina Schill). Keine Wünsche offen lassen Orchestrierung (Musikalische Leitung: Iwan Davies mit dem Mozarteumorchester) und Choreografie (Dennis Callahan). Das gilt auch für den Chor des Salzburger Landestheater und das hauseigene Ballett.
Fotonachweis: Anna-Maria Löffelberger
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