Im Salzburger Landesstudio ist der Medienzirkus los. Alle Zeichen stehen mit Claus Trögers Inszenierung von NETWORK auf Dystopie. Eine gelungene Kooperation von Landestheater Salzburg und ORF Landesstudio.
Der Quotenkönig schwächelt. Howard Beales erfolgreiche Nachrichtensendung befindet sich im Sinkflug. Deshalb soll der NBS Moderator ausgemustert werden. Als Reaktion kündigt er an, sich vor laufender Kamera das Leben zu nehmen und legt kurz darauf live auf Sendung einen medienwirksamen Wutausbruch hin, der die Quote in so rasantem Tempo nach oben treibt, dass der alte König aus dem Exil zurückgebeten wird. Dort entwickelt sich Howard Beale vom seriösen Nachrichtensprecher zum fanatischen Prediger. Auch das bringt Quote. Die obersten, von Zahlenreihen besessenen Medienköpfe sind begeistert. Bis der Moderator zum Boykott eines wichtigen Deals aufruft und damit dem Sender in die Quere kommt.
Bitterböses mediale Inszenierung im ORF Landesstudio
Entweder hat sich die Welt in den letzten 44 Jahren kaum verändert oder Paddy Chayefskys Mediensatire NETWORK ist der von ihm evozierten Dystopie inzwischen erschreckend nahegekommen. Was 1976 über die Bildschirme flimmerte, sorgt inzwischen auch auf den Theaterbühnen für unangenehmes Wiedererkennen (Dramatisierung: Lee Hall). Regisseur Claus Tröger hat sich die Österreichische Erstaufführung von NETWORK in Salzburg etwas ganz Besonderes einfallen lassen und noch ein Scherflein Realität nachgelegt (Bühne & Kostüme: Katja Schindowski, Dramaturgie: Christina Piegger).
In Kooperation mit dem ORF Landesstudio Salzburg verlegte er das bitterböse mediale Treiben und die Quoten-Diktatur ins ORF Landesstudio. Das Publikum ist also gefühlt live dabei, wenn Howard Beale zum tragischen Crescendo seines Nachrichtensprecherlebens ansetzt. Das vollzieht sich im wuseligen Aufnahmestudio, wo der Wasserständer ständig auf genügend Becher überprüft wird, die Kameras Extrarunden fahren und sich die Maske mit der Warm-Upperin die Studiotür in die Hand gibt, bis es dann endlich losgeht. 3 – 2 – 1 – live.
Messianischer Ehrgeiz in NETWORK
In diesem extrem hibbeligen amerikanischen Newsroom-Setting strahlt Axel Meinhardts Howard Beale eine angenehm stoische Gelassenheit aus. Leicht schusselig, aber sympathisch berichtet er nach seiner Kündigung nostalgisch immer wieder von seiner ersten Live-Sendung. Eine Story, die augenscheinlich schon sehr oft dargeboten wurde. Der Wutbürger-Ausraster wenig später scheint da fast wie ein kleiner Ausrutscher, eine Frustablass-Geste nach 25 loyal gedienten Jahren und vielen privaten Opfern. Allerdings scheint sie auch einen Schalter umzulegen. Über Nacht erfasst den Moderator ein regelrechter Wahn; eine Art Jerusalem-Syndrom ohne religiösen Anker oder Besuch in der Heiligen Stadt. Trotzdem avanciert der Pensionär Widerwillen zum aggressiven Propheten. Der Sprung zum wahnsinnigen Prediger gelingt Axel Meinhardt vorzüglich. Die biblischen Anleihen verdichten sich so stark, dass auch der gekreuzigte Gottessohn seine wenig subtile Anspielung erfahren darf. Der Essigschwamm wird dann zwar nicht gereicht, ein Opfer dennoch dargeboten.
Entmenschlichter Medienzirkus
NETWORK ist stark verdichtet und der Plot rund um Beale nur der Hauptstrang. Daneben existieren zahlreiche Nebenstränge, die es alle zu integrieren gilt. Hier setzte Claus Tröger auch stark auf die Topografie der divergenten Bühne, die ihm das Landesstudio bietet und die an Authentizität schwer zu überbieten sein dürfte. Es ist ein kleines multimediales Spektakel, das sich dem Publikum bietet (Intro & Motion Graphics: Tobias Witzgall, Musikkomposition & Produktion: Julius von Maldeghem). Seitengänge werden genutzt. NBS Mitarbeiter verschwinden in Aufnahmeräumen, werden über davor aufgenommene Videoclips wieder auf die Bühne projiziert und kehren im Anschluss durch die gleiche Aufnahmetür zurück – was die Möglichkeiten des Fernsehens, nämlich immer und überall dabei zu sein, mit der Theater-Realität verschmilzt. Als Netzwerkchefin hat Chris Lohner einen Auftritt. Je nach Klischee mit Mal-Palette oder Prada-Shoppingtasche in der Hand.
Der eigentliche Krimi findet jenseits von Beale statt, wo Quote und die Macht des Geldes noch präsenter sind. Nachrichtenchef Max Schumacher (Georg Clementi) verliert seine Position durch Sex, Charme und Ambitionen an Programmdirektorin Diana Christensen (Britta Bayer). Die beiden bilden durch Invertierung der Rollen ein herrlich kritisches Bild auf die Geschlechterklischees. Stark und maskulin redet Christensen auch beim Geschlechtsakt noch über die Strategien und Konzepte für NBS. Schumacher grunzt am Ende nur einmal kurz auf. Überhaupt ist Clementis Figur eine erstaunlich menschliche Allegorie in diesem sehr entmentschlichten Medienzirkus.
NETWORK: Und so sprach Hackett
Oberster Dompteur des wahnsinnigen Medienzirkustreiben ist Frank Hackett (Christoph Wieschke). Der Manager, der am liebsten das böse F-Wort in allen Morphemvarianten und „it’s not possible? Do it!“ brüllt, könnte ein jüngerer Bruder Trumps sein. Forschen Schrittes eilt er über die Bühne, verteilt Meinungen und Fake-News in alle Richtungen, denen er gerne auch noch etwas auf die Sprünge hilft. Nach seinem Wille geschehe – quasi der oberste NBS Gott, nachdem der andere endlich das Zeitliche segnete. Insofern ist es dann doch wieder biblisch, wenn Hackett ganz in Alte Testament Manier von seiner Programmdirektorin fordert, den eigenen Nachrichtensprecher zu opfern. Der Engel, der Abraham in der Heiligen Schrift davon abhält, tritt hier aber nicht auf.
Unter den Mitarbeiter*innen verbreitet Hackett imposant Angst oder Zorn, je nachdem. Wunderbar die Wortspiele von NETWORK. Beispielsweise wenn Hackett die aufmüpfige Warm-Upperin (gelungen zappelig Mira Huber) zur „Fußbodenmasseuse“ degradiert. Producer Harry Hunter (Alessandro Visentin) macht seinem Nachnamen alle Ehre und jagt persistent durch die Kulisse. Immer etwas hibbelig, immer zu gefallen bemüht. Amüsant, wenn er sich nur einen kleinen Scotch zur Feier des Tages einschenkt, als dann aber Beale einmal mehr die Story seiner ersten Live-Sendung auspackt, beherzt nachfüllt.
Es sind diese und ähnliche kleine Details, die der satirischen Mediensatire NETWORK eine humorige Leichtigkeit verleihen. Fake-News, Quoten-Wirtschaft, Intrigen & Co sind derweil für die unangenehmen Parallelen zum aktuellen Weltgeschehen zuständig. Eines scheint sicher, Paddy Chayefsky bewies 1976 ziemlich viel Weitsicht. In wenigen Jahren wird das Stück vermutlich komplett überarbeitet werden müssen, weil die Realität die Fiktion bereits an Schockierendem überholt haben dürfte.
Fotonachweis: Tobias Witzgall
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