Frischer Wind am Schauspielhaus Salzburg. In Koproduktion mit dem Escher Theater inszenierte Stefan Maurer Strindbergs zeitloses Psychodrama “Der Pelikan” – düster, emotional und gelungen im Abgang.
Die Kälte ist ein närrisches Ding. Sie breitet sich ungeniert im Raum aus und nimmt jede noch so kleine Nische ein, bis sie sich selbst in der letzten Ritze heimisch eingerichtet hat. Die Niedrigtemperatur dominiert an diesem Abend im Schauspielhaus Salzburg – auf dem Spielplan steht August Strindberg in Koproduktion mit dem Escher Theater. Das ist schlüssig; der berühmte Schwede fällt unter anderem in die Zeit des Naturalismus und widmete sich den hässlichen, rohen und unbequemen Wirklichkeiten oder – wie in “Der Pelikan”, dem psychologischen Kammerspiel.
In aller Plot-Kürze
Eine Familie im Ausnahmezustand: Der Verlust des Vaters bringt längst schwelende Konflikte an die Oberfläche. Die Mutter macht aus ihrem Groll kein Geheimnis, der Schwiegersohn stürzt sich auf sie statt in die Trauer, und die Töchter verlieren sich zwischen Trotz und Verdrängung. Was bleibt, sind Dekonstruktion und menschliche Abgründe.
Über Hustenattacken und Vampirismus
Zeitlos ist in Stefan Maurers Inszenierung vieles. Von den Kostümen (Jessica Karge) bis zum Bühnenbild (Stefan Maurer) spielt sich diese Produktion frei von etwaigen Erwartungen. Was zählt, ist die omnipräsente Kälte, der mit dem herrischen Tonfall von Mutter Elise (Nora Koenig) gleich zu Beginn Tür und Tor geöffnet werden. Vulgär schnieft sie zuallererst Papierfetzen auf die Bühne. Was für eine Ansage, gefolgt von einem „Bitte, die Tür zu!“, das keine Widerworte duldet.
Und dann geht es los, das inflationäre Geschniefe und Gehuste, das an Thomas Bernhards Erzählungen einer Lungenheilanstalt erinnert. Hier braucht niemand im Publikum ein schlechtes Gewissen zu haben, den selbst die Erkältung plagt. Es wird nicht weiter auffallen.
Johanna Klaushofer prangert als Friederike die Machenschaften der vampirhaften Mutter an. Zuerst leiser, dann lauter. Ihr Spiel ist wunderbar; die Kälte manifestiert sich in und an dieser Tochter, die immerzu friert und der doch kein Pullover vergönnt sein soll. An ihr wird das psychologische Drama greifbar, dem Klaushofer intensiv Ausdruck verleiht. Frei von schlechtem Gewissen fürchtet Friederike nicht den Geist des Vaters, der an der Mutter zu zerren beginnt.
Sag’s mit Musik: “Der Pelikan”
Es ist hilfreich, einen Schritt zurückzutreten. Dem Pelikan wurde in der Antike nachgesagt, seine Jungen mit dem eigenen Blut zu ernähren. Strindberg invertierte diese Mär für sein psychologisches Kammerspiel, das eigentlich eine Studie über das Abgründige im Menschen ist und dabei beinahe absurde Züge annimmt. Personifiziert ist dieses Groteske in der Regie von Stefan Maurer durch Axel, den Schwiegersohn. Adrien Papritz gibt ihn völlig überdreht und schrill, die Schwiegermutter ungebührlich herzend, ehe auch bei ihm die Maske fällt. Aber selbst das Miserable beherrscht Papritz’ Axel, und das Hochgefühl wandelt sich in Niedertracht.
Damit das Publikum nicht depressiv von den Stühlen kippt, greift der Regisseur zu Musik. Neben klassischen Werken darf es auch ABBA sein, live hinter einem semi-transparenten Vorhang auf dem Klavier gespielt. Manisch exzessiv singen sich die beiden Töchter (Christine Tielkes als Gerda, Tochter Nummer zwei) dazu die Seele aus dem Leib, variieren die Tempi auf humorige Weise und treten ganz nebenbei, sehr lapidar, einen bitteren Rachefeldzug an, dem auch der väterliche Haushälter (Germain Wagner) nichts entgegenzusetzen hat. Je weniger Kleidungsstücke Friederike und Gerda am Leib tragen, desto mehr geht es der Mutter an den Kragen.
Selten gespielt, harter Tobak und trotz verträglicher Inszenierung dennoch ein Schauspiel, das man nicht mal eben so im Vorbeigehen konsumiert. “Der Pelikan” am Salzburger Schauspielhaus in Koproduktion mit dem Escher Theater wirkt nach. Es könnte allerdings auch alles nur Imagination von Elise gewesen sein. Wer weiß denn das schon so genau – und was für ein cleverer Clou.
Fotonachweis: Schauspielhaus Salzburg | Patrick Galbats
Artikel zum Download in PDF-Format
by