„Schlag sie tot!“ lässt die Puppen tanzen.
Nikolaus Habjan und Manuela Linshalm lieferten mit ihrer bitterbösen Puppenproduktion „Schlag sie tot!“ einen fulminanten MotzArt Festival Auftakt. So vergnüglich und kurzweilig kann Puppentheater sein.
Wenn man in den letzten Monaten durch die Feuilletons deutschsprachiger Zeitungen blätterte, kam man an einem Namen nicht vorbei: Nikolaus Habjan. Der Grazer Puppenspieler, der lange Zeit als Geheimtipp galt, erfreut sich großer Beliebtheit. Oder sollte man sagen, seine Puppen? Denn mit denen entstaubt Nikolaus Habjan gründlich das bisweilen etwas antiquiert anmutende Marionettentheater-Flair. Als eine Art „Popstar“ unter den Puppenspieler verleiht er dem Puppentheater einen jungen, zeitgenössischen Anstrich und sorgt für Euphorie.
Das Wiener Schubert Theater in Salzburg.
Wer schon immer einmal eine Vorstellung von N. Habjan besuchen wollte, hatte beim MotzArt Festival die Gelegenheit. Denn das unvergleichliche Salzburger Kabarett-Spektakel an der ARGEkultur wurde mit dem bitterbösen Puppenkrimi „Schlag sie tot!“ eröffnet (Regie: Simon Meusburger, Puppenbau: Nikolaus Habjan). Die Produktion, deren Uraufführung mittlerweile bereits ein paar Jährchen zurückliegt, lässt sich nach wie vor hervorragend an. Ehrensache also, dass „Schlag sie tot!“ auch in Salzburg ausverkauft war.
Herr Berni kommt gegen seinen Willen in das „wunderschöne Altersheim Immergrün“. Dabei hasst Herr Berni die Farbe Grün! Überhaupt kann man dem rüstigen Wiener Grantler nichts recht machen. Und dann drängt sich ihm auch noch ein böser Verdacht auf: irgendwer will den Insassen der Seniorenresidenz an den Kragen! Ist das bloß die Verschwörungstheorie eines verwirrten alten Mannes oder droht wirklich Gefahr? Im Verdacht hat der betagte Schnüffler Schwester Sylvie und Oberarzt Dr. Gerd Oberwetz-Schnittke. Als Deutscher in Österreich macht sich letzterer ja bereits per se schuldig. Herr Berni kann nicht untätig zusehen und will seine Mitbewohner retten; den netten senilen Herrn Diletti, die schrille Operndiva Gisela Hering und die Buttercreme-Süchtige Bettina Bunzl.
Alle Macht den Puppen
„Schlag sie tot!“ ist eine liebevoll zelebrierte Hommage an Georg Kreisler. Das übrigens nicht nur aufgrund des Titels – Assoziationen zum gleichnamigen Chanson sind vorprogrammiert. Immer wieder werden Lieder des unvergleichlichen Wiener Sängers mit dem Hang zu schwarzem Humor angestimmt. Die fügen sich harmonisch in das große Ganze oder werden kurzerhand passend gemacht; so philosophiert der ehemalige Eisverkäufer Herr Diletti schwärmerisch von seinem Triangelspieler-Tum – ehe er wieder, ganz sein seniles selbst, nach dem fehlenden Wort im Sudoku sucht. Die Hommage an Georg Kreisler scheint aber weitreichender, als auf den ersten Blick ersichtlich. Herr Berni, der eigentliche Protagonist und Dreh-und-Angelpunkt von „Schlag sie tot!“, fungiert als optisches Kreisler Zitat. Die Ähnlichkeit ist frappant und das nicht nur die Physiognomie betreffend; auch inhaltlich eröffnet sich die eine oder andere Analogie – niemand beleidigt das Publikum so eloquent und mit so viel Charme wie der Neo-Schnüffler aus dem Altersheim Immergrün. Wobei sich in Herrn Bernis Wiener Sprachkolorit liebenswürdig grantelnde Hans Moser-Reminiszenzen einschleichen und mit dem durch und durch schwarzen Humor eines Georg Kreislers vermengen. Die explosive Mischung sorgt für jede Menge Lachmuskel-Zündstoff. Vermutlich erklärt diese Kreisler Nähe des Puppenkrimis auch seinen Hang zu Zyankali und Arsen, das bei der Eliminierung der Heimbewohner eine tragende Rolle spielt. So locker, frei und fröhlich geht damit eigentlich nur der Chansonnier im Frühling die Tauben vergiften.
Magisches Puppenspiel
Rasch wird deutlich, was an „Schlag sie tot“ so besonders ist. Vor den Zuschauer*innen-Augen entfaltet sich ein unvergleichlicher Puppenkrimi. Das Setting ist dezent und mit Sofa und Schminktisch auf das Allernötigste reduziert. Hie und da sorgen Infusionen und Einlaufschläuche für das gewisse Altersheim-Flair. Die einzelnen Klappmaulfiguren, die N. Habjan selbst kreierte und bei denen er sich auch gerne von Egon Schiele inspirieren lässt, sind faszinierend schräg und komplettieren das Schauspieler*innen-Duo hervorragend. Alsbald wächst das Ensemble von zwei Spieler*innen plus Musiker am Klavier auf neun an. Gemeinsam mit den Schauspieler*innen bilden die Klappmaulfiguren eine dichte Einheit. N. Habjan und Manuela Linshalm leihen den Figuren zwar ihre Stimme und den Unterkörper, werden aber zugleich eins mit den Figuren. Im Umkehrschluss verlieren sie die eigene Körperlichkeit. Es sei denn, die Figuren benötigen sie gerade für ihre Zwecke, dann tritt der*die Puppenspieler*in aus dem Schatten hervor. So wendet sich beispielsweise die kokette Schwester Sylvie bei ihren Flirtversuchen mit Herrn Diletti an ihre Puppenfrau. Sie selbst habe ja keinen Hintern, zeigt sich Schwester Sylvie selbstreflexiv, deshalb wäre es sehr freundlich, wenn M. Linshalm eben kurz mit dem ihren für sie wackeln könne.
Die Virtuosität und Kunst der Puppenspieler wird an den einzelnen Figurenwechsel und Dialogen deutlich. Es ist nicht ungewöhnlich, dass N. Habjan und M. Linshalm mehreren Puppen gleichzeitig Leben einhauchen. Durch Stimmveränderung und variablen Sprachduktus entstehen neue Charaktere, die auch in der Puppenführung in absoluter Weise differieren. So grantelt Herr Berni typisch brummig, wienerisch und schwarz auf der linken Seite, während rechts die sanfte, leicht senile und immer freundliche Stimme eines Herrn Diletti erklingt. Auch mit Oberarzt Dr. Gerd Oberwetz-Schnittke disputiert der rüstige Alte gerne. Dessen persistentes „Pillepalle“ kann Herr Berni schon nicht mehr hören, was einmal mehr die wunderbare Wandelbarkeit des Puppenspielers akzentuiert.
Die Damen lässt M. Linshalm aufleben. Dabei ist Frau Gisela, die ausrangierte Operndiva mit Hang zu Richard Wagner, herrlich schrill und unglaublich laut. Bei jeder noch so kleinen Möglichkeit profiliert sich die Diva und stimmt eine Arie an. Die Puppenspielerin lässt die extrovertierte alte Dame aufgeregt durch das Publikum laufen oder kokett mit Männern flirten. Immer wieder schreit sie hysterisch nach dem Klavierspieler. Der mischt sich mit starkem polnischen Akzent in das Stück ein und sorgt mit flapsigen Bemerkungen für Unterhaltung. Schwester Sylvie hingegen ist die berechnend kokette, die ihre weiblichen Reize bewusst platziert.
Puppenmund tut Wahrheit kund.
Die Puppen genießen Narrenfreiheit – „Schlag sie tot“ übt bei aller Puppenspielerei deshalb vor allem Kritik. Ungeniert und pointiert schießt Herr Berni gegen aktuelle politische Verhältnisse und thematisiert Missstände, dass es eine Wohltat ist. Den Puppen und dem kabarettistischen Format ist es gezollt, dass selbstverständlich niemand Anstand daran nimmt. Stattdessen darf aus tiefstem Herzen in das allgemeine Lachen eingestimmt werden.
Schade übrigens, dass Wien nicht näher an Salzburg liegt oder das Schubert Theater an der ARGEkultur. Deshalb wird schnell ein Plan gefasst, der inkludiert Wien und einen Stop im Schubert Theater. Natürlich!
Fotonachweis: Barbara Pálffy
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