Tanz mir das Lied von der Zeit
Feierlaune am SEAD: Mit dem SYMPHONIC DANCE findet das jährliche Tanzfestival statt – und darüber freuen sich nicht nur die Studierenden.
Zeitgenössische Themen in modernen Choreografien verpackt. Das ist die Paradedisziplin der Salzburg Experimental Academy of Dance oder auch kurz SEAD genannt. Internationale Lehrer*innen unterrichten internationale Studenten*innen und einmal jährlich versammeln sie sich zum SYMPHONIC DANCE Tanzfestival. Klingt spannend? Ist es auch.
Auf der Bühne bewegt sich ein dunkel gekleideter Mob mit schwarzen… Badekappen. Richtig gelesen. Schon während des Einlasses gleiten die Performer*innen kontrolliert durch den Raum. Kaum hat fällt die Tür ins Schloss, formiert sich das Grüppchen, das aus Studierenden des dritten Jahrgangs besteht, zu einer konzisen Formation. Im Gleichschritt stapfend, scharen sie sich um eine helle Lichtgestalt, die zum Mittelpunkt von Vittoria de Ferrari Sapettos Choreografie wird. Ganz in Weiß gekleidet, sticht der einzelne Performer bereits visuell aus der dunklen Schar hervor.
Vielleicht ist es besagte Kopfbedeckung, vielleicht sind es aber auch die fließenden Bewegungen der Gruppe, die mit großer Leichtigkeit ineinandergreifen; relativ rasch entsteht das Bild eines schwarzen Fischschwarms, das auch nicht mehr weichen möchte. Das Thema von Vittoria de Ferrari Sapettos „Mmmmmmmmm“ ist – man könnte es bereits ahnen – Plastik. Wann entstand es, wann war es nützlich und wie ist das mit den Tieren, die Plastik fressen und grausam daran verenden. Fragestellungen, die greifbar werden, wenn der weiß gekleidete Tänzer die Schnur mit bunten Plastikmessern auswirft und sich immerzu im Kreis dreht, während die anderen munter darüber oder darunter tauchen. Sie kokettieren mit der Schnur, folgen ihr, weichen ihr aus, wollen nur nicht von ihr getroffen werden. Wenig später verwickeln sich die einzelnen Individuen ineinander. Plastikschnüre spannen sich um die paarweise formierten Tänzer*innen und fesseln sie unwiederbringlich aneinander. Es sind beeindruckende Szenen, die mit tänzerischer Begeisterung durch den Plastik-Wahnsinn führen.
Eftychia Stefanou hat sich mit Yvonne Rainers „Trio A“ einer Performance aus dem Jahr 1966 angenommen, die sich mit unterschiedlichen Formen aus Politik und Kunst beschäftigt. Die SEAD Studierende legte für das SYMPHONIC DANCE den Fokus auf „Forward and Forward – with music“. Die Gegenüberstellung der gleichen Choreografie mit und ohne Musik entpuppt sich als spannendes Projekt, das jeweils ganz neue, individuelle Eindrücke evoziert. Ähnliches ist auch bei Yonier Camilo Meijas Interpretation von Ahmed Khemis‘ „Voyage de Poussières“ zu beobachten. Die beschäftigt sich mit dem Verhältnis von Vater und Sohn. Wunderbar plastisch werden die Konflikte dafür ausgetragen. Bereits das lädierte Hemd des Protagonisten zeugt davon, dass die Beziehung nicht immer einfach sein dürfte. Am Ende wird der Schatten des Performers verdoppelt – in der Mitte steht er selbst. Ein harmonisches Zeichen, das für die vergangene und die künftige Generation stehen könnte, mit dem Sohn in der Mitte.
Das Schöne an einem zeitgenössischen Tanzfestival ist die Aktualität der Performances wie „You promised… Fantasy“. Die britischen Zwillinge Kristina und Sadé Alleyne (Alleyne Dance) beschäftigten sich für ihre Arbeit, die einmal mehr der dritte Jahrgang einstudierte, mit Syrien. Männer und Frauen, die alles zurücklassen, um im Heiligen Krieg zu kämpfen, bilden das Sujet. Die Performance ist stark, genau wie die tänzerische Verarbeitung oder der exzessive Einsatz der Nebelmaschine. Zu sakraler Musik bewegen sich Männer und Frauen durch den nunmehr verschwommenen Raum – die Stimmung besticht mit latenter Aggressivität, die das Ensemble zu einem wütenden Mob verschmelzen lässt. Wieder ist da dieser militärischer Gleichschritt, bei gleichzeitigem Loslassen aller Glieder. Bis zum Kampf ist es nicht weit, der wird sehr visuell ausgefochten. Lockend und mit Abweisung reagiert das Gros auf den Einzelnen. Eine spannende Herangehensweise, die aufrüttelnde Bilder auf die Bühne bringt, und einmal mehr demonstriert, wie vielseitig und ambivalent das SYMPHONIC DANCE ist.
Fotonachweis: Chris Rogl
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