Tag der Gnade | OFF theater

Tag der Gnade – OFF Theater

Ground Zero als psychologische Folie: Janna Ramos-Violante inszenierte Neil LaButes „Tag der Gnade“ am Salzburger OFF Theater.

Die gemütliche Wohnküche auf der Bühne bildet das optimale Setting. Das war es dann aber auch schon mit dem Wohlgefühl. Schließlich stammt „Tag der Gnade“, das aktuell am OFF Theater in der Eichstraße aufgeführt wird, aus der Feder von Neil LaBute und spielt am Tag nach dem Fall der amerikanischen Twin Towers (Regie: Janna Ramos-Violante, Bühne: Alex Linse). Terroranschlag ist die pittoreske Aussicht vor Abbys (Anja Clementi) Wohnzimmerfenster hinüber – genauso wie die Moral der beiden Protagonisten in Schutt und Asche liegt. Schließlich hat Ben (Jakob Kücher) seiner Abby eben erst verkündet, die Krise als Chance betrachten zu wollen und gemeinsam durchzubrennen. Schön und gut, allerdings ist Ben auch ein verheirateter Familienvater und seine Lieben, die halten ihn für tot. Ein Freifahrtschein ins Glück?

Politik darf draußen bleiben

Neil LaBute Leser*innen wissen es, aber auch die anderen dürften schon so eine Ahnung haben: Das hier ist alles, aber ganz sicher nicht einfach. Tatsächlich fungiert das Kammerspiel als Lupe, die das Problem überdimensional in den Raum wirft. Ehebruchszenarien gibt es zuhauf, da sorgt „Tag der Gnade“ für Abwechslung. Zynisch instrumentalisiert das psychologische Schauspiel den großen Terrorakt und richtet alle Scheinwerfer auf den kleinen Anschlag im privaten Raum. Politik darf draußen bleiben. Dafür stehen die Frivolität und die Streitsüchtigkeit der Protagonisten am Pranger. Mit „Tag der Gnade“, im englischen Original „The Mercy Seat“ (also der Gnadenstuhl), demonstrieren Autor und Regie, wie unterschiedlich Leute auf Katastrophen reagieren. Gewöhnliches wird zu Außergewöhnlichem.

Trotzdem sind die moralischen Rollen klar verteilt. Dagegen kommt kein Ben an, der seine vermeintliche Carte blanche wie eine Karotte vor Abbys Nase baumeln lässt. Aber so richtig Appetit scheint die nicht darauf zu haben. Abbys Figur lässt mit ihren Anspielungen tief blicken und redet sich mit subtiler Aggression langsam in Rage – die sehr häufig auch unter die Gürtellinie zielt. Das scheint stringent, schließlich ist die Sicht auf das Stück mit Janna Ramos-Violante eine tendenziell weibliche. Die starke Frauenfigur wird zu positiv konnotierten Protagonistin. Frech ihre Vorwürfe, schlagkräftig ihre verbalen Keulen und stark ihr Zynismus. Abby schleudert eine Spitze nach der anderen in ihr erschöpftes Gegenüber, das müde Löcher in die Luft und den Perserteppich starrt. Bei so viel Frauenpower bleibt dem Familienvater keine andere Wahl, als in den Hintergrund zu rücken. Aber auch er darf noch kräftig Emotionen ablassen. Zumal diese Affäre bereits einige Abnutzungserscheinungen zeigt.

Der Neil LaBust-Twist erfolgt selbstverständlich. Nur fällt er weniger eindrücklich aus als in anderen Stücken wie zum Beispiel „Das Maß der Dinge“. Das mag daran liegen, dass keine großen Möglichkeiten mehr offen stehen. Es wurde ja schon alles an Indiskretionen in den Diskurs gepackt und Ehebruch am Ground Zero ist am Ende des Tages auch einfach nur eine weitere Form von Ehebruch – auch bei Neil LaBute.

 

Fotonachweis: Ebihara Photography

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