Virginia Woolf | Christian Krautzberger

Wer hat Angst vor Virginia Woolf – Kammerspiele Salzburg

Die Woolf-Spiele mögen beginnen

Temporeiche Dialoge und böse Pointen: Claus Trögers Inszenierung „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“ demonstriert eindrücklich, wie pathologisch abgründig und zugleich rührend traurig der Blick auf die eheliche Wohnzimmerschlacht sein kann.

Keine Frage, hier hängt der Haussegen schief – und zwar gewaltig. Nach über zwanzig Jahren Ehe haben Martha (Britta Bayer) und George (Axel Meinhardt) ein ganzes Repertoire an bösartigen Marotten und verkappten Spleens entwickelt, die dem Publikum die Ohren schlackern lassen. Beleidigungen fliegen tief und treffen zielsicher ins Schwarze. Das Perfide daran: Martha und George bewerfen sich nicht nur gegenseitig mit Gemeinheiten und Zoten, sondern praktizieren diese dunklen Künste auch an ihren Gästen. Wem das jetzt bekannt vorkommt, der weiß: Ehedramen und bürgerliche Wohnzimmerschlachten gibt es viele – aber keine feiert das Pathologische so ungeniert und gelungen wie „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“ – und das bitte schön seit 62 Jahren (Regie: Claus Tröger, Dramaturgie: Friederike Bernau).

Der Exorzismus

Keine Frage, hier hängt der Haussegen schief – und zwar gewaltig. Nach über zwanzig Jahren Ehe haben Martha (Britta Bayer) und George (Axel Meinhardt) ein ganzes Repertoire an bösartigen Marotten und verkappten Spleens entwickelt, die dem Publikum die Ohren schlackern lassen. Beleidigungen fliegen tief und treffen zielsicher ins Schwarze. Das Perfide daran: Martha und George bewerfen sich nicht nur gegenseitig mit Gemeinheiten und Zoten, sondern praktizieren diese dunklen Künste auch an ihren Gästen. Wem das jetzt bekannt vorkommt, der weiß: Ehedramen und bürgerliche Wohnzimmerschlachten gibt es viele – aber keine feiert das Pathologische so ungeniert und gelungen wie „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“ – und das bitteschön seit 62 Jahren (Regie: Claus Tröger, Dramaturgie: Friederike Bernau).

Der Exorzismus

Fun Fact: Mit Virginia Woolf hat das Well-made Play von Edward Albee eigentlich gar nichts zu tun. Als ursprünglicher Titel war „The Exorcism“ geplant, was vermutlich auch besser auf das Kommende vorbereitet hätte. Dafür sorgt die Neugierde (wie-was-Woolf?), dass die Zuschauer reihenweise in das Stück strömen und sich dann zwischen Lachen und peinlich berührt Zur-Seite-Schauen entscheiden müssen. Oder auch nicht. Die Gefühle lassen sich in dieser Katharsis-Inszenierung von Claus Tröger universell kombinieren, der das Psychodrama in die Moderne holte und die Arena namens Wohnzimmer für Salzburg eröffnete.

In aller Plot-Kürze

Nach einer feucht fröhlichen Uni-Feier laden George, Geschichtsprofessor, und Martha, die Tochter des College-Präsidenten, das junge Paar Nick und Honey ein. Während Martha und George ihren verbitterten Ehekrieg vorführen, werden Nick und Honey unfreiwillig in das Drama hineingezogen. Die Nacht endet mit zerstörten Lebenslügen und der Frage, ob hinter ihrem Hass eine schmerzhafte Form der Liebe steckt.

Chillax: Wer hat Angst vor Virginia Woolf

Lassen Sie sich bloß nicht vom Bühnenbild täuschen (Bühne: Erich Uiberlacker, Kostüme: Dorian Wimmer, Musik: Carolin Anna Pichler). Alles kommt in warmen Farben und runden, weichen Formen daher, die subtil an die 70er Jahre erinnern und eine Hommage an das Original darstellen. Irgendwo aus dem Off ertönt jazzige Lounge-Musik. „Entspannt euch mal“, lautet die Botschaft. Hier wäre man gerne Gast, alles so harmonisch, friedlich und voll im Flow. Aber dann, hoppla, Black. Die ersten Worte von Martha (Britta Bayer) und George (Axel Meinhardt) ruinieren alle Illusionen. Statt langweiliger Idylle wird das Publikum Zeuge eines ehelichen Kräftemessens, das sofort in die Vollen geht. Dafür oszilliert die frisch zur Kammerschauspielerin gekürte Britta Bayer souverän zwischen zotenreißender Xanthippe und tiefenentspannter Gastgeberin, zwischen Femme fatale und frustrierter Ehegattin. So fließend sind die Übergänge, dass es fast schon schizophren anmutet, was Martha da treibt.

Axel Meinhardts George pariert die Eskapaden seiner besseren Hälfte bravourös und entpuppt sich dabei als mindestens genauso dysfunktional. Während er einerseits ausgleichend wirkt, befeuert er andererseits ihre krankhaften Züge, die den seinen erschreckend ähneln. Das Schauspiel der beiden ist intensiv: Leichtfüßig springen sie zwischen den Extremen hin und her und gönnen sich keine Pause. Damit verleihen sie den temporeichen Dialogen eine ganz eigene Note, irgendwo zwischen bitterbösem Humor und tieftraurigen Metatönen, garantiert mit nonchalanter Leichtigkeit und einer unglaublichen Fülle an Blacks. Die Grenzen zwischen Fiktion und Wahrheit sind längst in weite Ferne gerückt. Die Eheleute gaukeln vor – oder auch nicht; ihr Päckchen dürfen sie gerne alleine tragen, aber ein Weilchen mag man sie schon begleiten.

Pathologische Versuchsanordnung

Zwischen den emotionalen Fronten stehen die (ungebetenen) Gäste Honey (Lisa Fertner) und Nick (Aaron Röll). Der einen ist immer schlecht, der andere hat Ambitionen. Sie wirken wie jüngere Ausgaben ihrer Gastgeber und werden gnadenlos von den beiden ausgespielt. Es ist eine Versuchsanordnung der etwas anderen Art mit Gesellschaftsspielen, die im Erfinden schon wieder vergessen werden sollten. Zugleich betonen Lisa Fertner und Aaron Röll die Verletzlichkeit ihrer Figuren, die als Alter Egos fungieren und als Spiegelbilder einer sich destruierenden Gesellschaft mit sich auflösenden Geschlechterrollen dienen. Daran hat sich auch 62 Jahre nach der Uraufführung nichts geändert. Es ist ein ziemlich hässlicher Spiegel, der dem Publikum da vorgehalten wird, wie einst Frau Welt dem Wirnt von Grafenberg.

Die Katharsis, die Claus Tröger und sein Team mit „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“ zeitgenössisch inszenierte, ist allerdings sehr real. Auch wenn die Afterparty eskaliert, scheint eine Chance auf Neuanfang gegeben. Das wirkt befreiend und zeigt, die Ehehölle, sie hat einen Notausgang, der auch benutzt werden darf. Von Martha und George scheint nach dieser Nacht voller Bösartigkeiten ein ganzer Berg an Emotionen abgefallen zu sein. Erlöst sitzen sie da. Irgendwie ist das ja auch ein Happy End, in jedem Fall wirkt es befreiend – auch für das Publikum, das das Theater wie neugeboren wieder verlässt. Aristoteles hatte also recht.

 

Fotonachweis: Christian Krautzberger

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2 Kommentare

    1. Author

      Ja, so empfindet das jeder anders. Leicht bekömmlich war es mit Sicherheit nicht.

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