15 Uhr in Salzburg, die Figur sitzt
Aufgedreht, vielschichtig und pointiert: mit „Stolz und Vorurteil* (*oder so)“ bringt Jérôme Junod mit den Student*innen des Schauspielhaus Salzburg eine flippige Variante des britischen Klassikers auf die Bühne. Muss man gesehen haben.
Freche Sprüche, klare Meinungen und ein satirischer Blick, der einmal mehr ein protofeministisches Rumpeln durch das Frauenbild des 18. Jahrhunderts schickt. Die Inszenierung von „Stolz und Vorurteil* (*oder so)“ am Schauspielhaus Salzburg macht keine Gefangenen. Selbstbewusst und stark besinnt sie sich in der Regie von Jérôme Junod auf ihren Auftrag und nimmt das „*oder so“ wörtlich. Angelehnt an den Klassiker von Jane Austen bleibt in diesem Jugendstück kein Stein auf dem anderen. Und ganz ehrlich, würde die Autorin noch unter uns weilen, hätte sie inzwischen nicht nur ein biblisches Alter erreicht, sondern wäre vermutlich auch hellauf begeistert (Ausstattung: Ragna Heiny, Sounddesign: David Lipp, Licht: Marcel Busá, Dramaturgie: Tabea Baumann).
Große Fußstapfen
Jane Austen hat es vorgemacht. Ihrer Zeit voraus verfasste sie mit „Stolz und Vorurteil“ eine protofeministische, geistreiche Satire auf die britische Klassengesellschaft, die bereits der berühmte Eingangssatz vorwegnimmt. „Es ist eine allgemein anerkannte Wahrheit, dass ein Junggeselle im Besitz eines schönen Vermögens sich nichts mehr wünschen muss als eine Frau.“ Bämm. Das sitzt. Weil es ironisch gedacht war. Dass just dieser Satz am Schauspielhaus fehlt, nimmt vorweg: Die Vorlage ist eine Vorlage ist eine Vorlage. Sehr frei interpretierte Autorin Isobel McArthur folglich das literarische Vorbild. Die ist, nebenbei bemerkt, auch Schauspielerin und Britin. Als solche kennt sie ihren Stoff. Geistreich und versiert spann McArthur mit „Stolz und Vorurteil* (*oder so)“ den Faden von den fünf Dienstmädchen, den Jérôme Junod (Regie) mit den Student*innen des Schauspielhaus Salzburg in Form goss.
Die Stolz und Vorurteil Show
Was die fünf Nachwuchs-Miminnen da auf der Bühne präsentieren, ist erstaunlich. Erstaunlich im Sinne von großartig. Als fünf Hausbedienstete getarnt, liefern sie ihre eigene „Stolz und Vorurteil* (*oder so)“ Show. Rasante Kostümwechsel geben sich mit temporeichen Dialogen die Klinke in die Hand, aber die Figur sitzt. Dass eine dabei nicht aus dem Takt gerät, ist bewundernswert. Stattdessen gelingt es dem Ensemble, dem Schauspiel einen subtilen feministischen Anstrich zu verleihen. Ganz ohne Klamauk, aber mit charmanten Pointen wird die Geschichte rund um die Bennet-Schwestern neu aufgerollt. Das Schöne dabei, wie die Figuren dem Original die Treue halten.
Die Student*innen der Schauspielakademie begeistern mit ihren Figurenführungen. Allen voran Theresia Amstler als hysterische Mrs. Bennet oder Hannah Schitter als eifersüchtige Miss Bingley. Lautstark schreit und flötet sich Mrs. Bennet durch das Stück, dass es ein Lachfest ist. Mindestens genauso köstlich verwickelt sich Miss Bingley zwischen ihrem Bruder (ebenfalls Hannah Schitter, diesmal als gut gelaunter Lebemann) und Jane (gediegen dargestellt von Jana Rieger), während sie Richtung Publikum mimikreich Gift und Galle speit. Charlotte Lucas (wieder Hannah Schitter) indes deutet vorsichtig ihre Gefühle für Lizzie an, macht im entscheidenden Moment aber einen Rückzieher. Das erklärt dann aber den Asterisk im Titel.
Sag’s mit Musik
Aber auch die restlichen Figuren sitzen, wackeln und haben Luft. Jana Rieger ist eine köstliche Lady Catherine de Bourgh. An dieser Stelle sollte auch die gelungene Musikauswahl erwähnt werden. Sag’s mit Musik, scheint die Devise zu sein. Deshalb tritt die tobende Adelige mit viel Bühnennebel und der Rachearie der Königin der Nacht auf oder schleudert Lizzie Bennet (wunderbar dargestellt von Anna Malli) dem verdatterten Mr. Darcy (Theresia Amstler) beim Karaoke-Singen ein wütendes „You’re so vain“ entgegen. Darcy, Bingley, Wickham oder Mr. Collins sind übrigens die einzigen Männer, die tatsächlich auch physisch auftreten dürfen – vertreten durch weibliche Schauspielerinnen. Mr. Bennet wird dieses Glück nicht zuteil. Er verweilt als unsichtbare Figur auf der Bühne. Die Damen halten bei „Stolz und Vorurteil* (*oder so)“ das Zepter fest in der Hand. Und das ist auch gut so. Vielleicht wird gerade dadurch umso deutlicher, dass die Erzählung über weibliche Selbstbestimmung und ökonomische Abhängigkeit erstaunlich aktuelle Züge trägt.
Humorvolle Sequenzen in Stolz und Vorurteil* (*oder so)
Als Tausendsasa beweist sich auch Leah Gerber. Die Schauspielhausschülerin fegt als Energiebündel durch Mary, Lydia, Mr. Collins und Mrs. Gardiner und denkt immer an den jeweiligen Tick ihrer Figuren. Besonders herrlich ist ihre Darstellung von Lydia und Mr. Collins. Die eine überdreht wie ein Eichhörnchen auf Speed, der andere sinister, und beflissen ständig „ja, ja, ja“ murmelnd.
Das Bühnenbild fügt sich in das rasante Gesamtbild ein. Ein Wandschirm wechselt zwischen Wohnzimmer, Ballräumlichkeiten und Garten. Dazwischen gibt es immer wieder kleine humorvolle Sequenzen, die augenzwinkernd vom Bühnenbild aufgegriffen werden – und schon sind da zwei Toiletten auf der Bühne oder reitet Jane effektvoll durch Wind und Wetter nach Netherfield Hall. Übrigens eine großartige Szene, die in ihrer Dramatik jedem „Erlkönig“ Konkurrenz machen könnte und für das Ensemble zu spontanem Beifall und reichlich Gelächter führte. Der Schlussapplaus kam dann noch, bevor der Vorhang für dieses Jugendstück gefallen war, das definitiv auch abends als Schauspiel aufgeführt werden sollte. So viel Eifer und Begeisterung seitens des Publikums sind eine schöne Abwechslung. Mehr davon bitte. 🙂
Fotonachweis: Jan Friese
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