Blasmusikpop

Blasmusikpop – Salzburger Landestheater

Eine Tüte Buntes

Mit der hauseigenen Dramatisierung von „Blasmusikpop“ feiert das Landestheater Salzburg laut und pointenreich Uraufführung. Ein Abend mit skurrilen Charakteren, schauspielerischem Furor und hohem Identifikationspotenzial.

Die Bühne ist groß, und das Gewusel darauf ist trotzdem größer. Das ist konsequent, schließlich inszenierte Christina Piegger (Regie) mit „Blasmusikpop“ gleich ein ganzes Dorf. Aber nicht irgendeines. Für die neue Spielzeit gab das Landestheater Salzburg die Dramatisierung von Vea Kaisers Debütroman in Auftrag. Larissa A. Jank lieferte die Schauspielfassung, und um den provinziellen Mikrokosmos entsprechend abzubilden, holte man sich Verstärkung ins Haus. Neben bekannten Gesichtern und neuen Namen wurden Schauspieler*innen des Salzburger Amateurtheaterverbandes und Musiker*innen der Blasmusikkapelle Anif dazu gebeten. Ja, eine echte Blasmusikkapelle, und das ist erst der Anfang dieser verrückt-pointierten Produktion mit den skurrilen Charakteren, dem schauspielerischen Furor und dem hohen Identifikationspotenzial.

In aller Plot-Kürze

„Blasmusikpop“ erstreckt sich über drei Generationen einer Familie, die auf kuriose Weise der Wissenschaft verfallen ist. Der junge Protagonist Johannes A. Irrwein rebelliert gegen die engstirnige Tradition des Dorfes und beginnt, die Chroniken von St. Peter zu verfassen. Dabei löst er ungewollt das größte Ereignis in der Geschichte des Dorfes aus.

Kunterbuntes Wimmelbild

Spätestens seit Vea Kaisers starkem Erstling ist klar, dass die dörflichen Strukturen sich überall ähneln – und das frappant. Vermutlich liegt St. Peter am Anger auch deshalb topografisch irgendwo im österreichischen Alpen-Nirgendwo. Diesen klugen Zug greift die Dramatisierung von „Blasmusikpop“ auf und intensiviert ihn. Hier sprechen alle in unterschiedlichen Zungen. Vom Südtiroler Urgestein über Kärntner Anleihen bis hin zum Oberösterreichischen klingt es an. Bunt und laut sprudelt es aus den Figuren, bisweilen sogar dann, wenn die Schauspieler*innen dieselben sind (Thomas Wegscheider ist so ein erfolgreicher Wiedergänger, der in unterschiedliche skurrile Charaktere schlüpft).

Das Setting für dieses kunterbunte Wimmelbild bildet eine leicht angehobene Bühne und die Silhouette eines Berges, ironischerweise unterbrochen von zwei Türen. Die eine führt hinaus, die andere wieder zurück. Das greift das Schicksal der Figuren auf: Sie können ihrer Bestimmung nicht entkommen, und die heißt (na, erraten?) St. Peter am Anger. Zugleich wird dieser Umstand mit sakralen Momenten verstärkt, wenn als Einstieg das imposante „Am Anfang war ein Berg“ von der Bühne erschallt. Einem Propheten gleich schwingt sich der soeben verstorbene Dr. Johannes Gerlitzen (Walter Sachers) auf und hilft dem Schicksal seines Enkels Johannes A. Irrwein auf die Sprünge (Bühne: Karl-Heinz Steck, Kostüme: Manuela Weilguni, Dramaturgie: Friederike Bernau, Choreografie: Kate Watson, Licht: Micha Vorreiter).

Ein verrückter Mikrokosmos: „Blasmusikpop“

Walter Sachers ist ein wunderbar irrlichternder Doktor Opa. Es glitzert und funkelt nur so, wenn der Verstorbene seine Weisheiten zum Besten gibt, und tönt prächtig im Zuschauerraum. Dass derselbe Schauspieler sich auch noch in Herodot verwandelt, ist stringent. Schließlich sind das die Vorbilder von Johannes A. Irrwein (Aaron Röll). Der Enkel bricht in „Blasmusikpop“ zu einer vergeistigten Coming-of-Age-Reise auf, die Aaron Röll gelungen wankelmütig zeichnet. Voller Wissensdrang begibt er sich in der Manier seines Idols Herodot auf die Spuren der ‚Barbaren‘, in diesem Fall also der Dorfbewohner*innen. Gleich wie der griechische Geschichtsschreiber notiert sich auch der Schüler die seltsamen Sitten und Gebräuche der Ureinwohner*innen. Dass diese zum dörflichen Allgemeingut in Österreich gehören, ist der Motor der Inszenierung und befeuert das Amüsement des Publikums. Liebevoll und detailgenau ziseliert Regisseurin Christina Piegger die Marotten und Vorurteile in ihrer Inszenierung.

Wenn es am schönsten ist, verharrt „Blasmusikpop“ gerne in kleinen Details, die sich zu humorvollen Szenen auswachsen und einen größeren Raum in diesem satirischen Mikrokosmos beanspruchen. Beispielsweise, als Alois Irrwein seinen Sohn trickreich aufs Fußballfeld nötigt oder voll väterlichem Stolz lobt (brummig-charmant Georg Clementi). Schauspielerischer Furor umgibt auch die Nordic-Walking-Gruppe des Grauens, die den verwirrten Johannes piesackt – großartig gelungen Britta Bayer mit ihren Kolleginnen des Amateurtheaterverbandes. Dieser fidelen Mütter-Truppe möchte man nicht über die Leber laufen. Die Figuren sind fein besetzt. Maximilian Paier ist Peppi, der Fußballstar von St. Peter. Definitiv nicht die hellste Kerze auf dem Kuchen, dafür aber die treueste. Dorfprinzessin Maria Rettenstein (eigensinnig und sympathisch: Patricia Falk) ist das Objekt seiner Begierde, die, nun ja, in die Kategorie Stalking-Opfer fällt. Absolution ist ihm trotzdem gewiss, bei so vielen Romeo und Julia Anleihen wäre alles andere aber auch herzlos.

Kontrastreich

Spannend in „Blasmusikpop“ ist auch die Figurenführung. Selbst wenn Johannes das für ihn außergewöhnlich einfältige Verhalten der ‚Barbaren‘ studiert, ist er die andere Seite der Medaille. Das Resultat: eine satirische Dekonstruktion des Dörflichen.

Herrlich die kurze Sequenz am Gymnasium und die Aufnahme in den Elite-Club, die mit Rollkragen-Uniform und lateinischen Worthülsen Lachanfälle provoziert (Kostüme: Manuela Weilguni). Als Pendant dazu die selbstbewusste Simona Nowak (kess Lisa Fertner), die, wieder LOL, aus dem Staunen gar nicht mehr rauskommt. Social-Media-Native trifft auf Antiken-Verehrung. Es sind einmal mehr die starken Gegensätzen, aus denen sich „Blasmusikpop“ speist. Das mit dem Identifikationspotenzial läuft immer noch und läuft sich inzwischen richtiggehend heiß.

Aus dieser Inszenierung kommt keiner ungeschoren davon. Dafür sorgt auch die ungewöhnliche, aber großartige Orchestersituation. Wo sonst tritt eine eigene Blasmusikkapelle auf?! Von Volksmusik über Abba bis zu den Sportfreunden Stiller – das musikalische Repertoire könnte es richten, muss es aber nicht. Denn „Blasmusikpop“ ist als witzig-freches Volksstück mit poppigen Tönen ein sehr gelungener Hingucker und das musikalische Arrangement das dazugehörige Tüpfelchen auf dem i (musikalische Leitung: Franz Eibl). Dass hier sehr vieles auf dem Altertum basiert, liegt an Vea Kaisers Biografie und ihrem Studium der Altertumswissenschaften. Dem zollt die Inszenierung Tribut. Musen tanzen anmutig durch Johannes‘ übersteigerte Nahtoderfahrung, und auch die Musiker*innen der Musikkapelle Anif beherrschen diese fremden Töne einer längst vergangenen Zeit.

 

Fotonachweis: Tobias Witzgall

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