Somewhere tanz_house Festival

Somehwere – tanz_house festival

Sag’s doch mit Performance: „Somewhere“ von Tomaž Simatović und András Meszerics ist eine experimentelle poetische Allegorie, die sich ganz dem physikalischen Gesetz der Reibung verschrieben hat.

Dem Unsagbaren hat sich das diesjährige tanz_house Festival verschrieben, das vom 3. bis 12. Oktober 2023 an unterschiedlichen Orten in Salzburg stattfindet. Diesem Unsagbaren widmen sich auch Tomaž Simatović und András Meszerics im tanz_house Studio an der ARGEkultur. Mit „Somewhere“ haben das künstlerische Duo in Koproduktion mit dem Laboratory for Participative Imaginaries eine poetische Allegorie auf die Physik geschaffen. Genau richtig gelesen. Im Rampenlicht steht das physikalische Gesetz der Reibung höchstpersönlich. Wer sich jetzt ahnungslos am Kopf kratzt – wir erinnern uns an die Schulzeit: Reibung, das ist, wenn zwei unterschiedliche Kräfte aufeinandertreffen und dazu führen, dass sich zwei sich berührende Körper gegenseitig abbremsen.

Entkoppelung in Somewhere

Die Performance von Tomaž Simatović und András Meszerics zelebriert das physikalische Phänomen der Reibung und setzt dabei in mehrfacher Hinsicht auf den Zeitgeist. Zum einen platziert sie „Somewhere“ in einem universell gültigen Raum, völlig entkoppelt von seiner Zeit und trotzdem im Hier und Jetzt verortet. Zum anderen zelebriert die poetische Allegorie die Langsamkeit. Slow Living, bewusstes Leben, Nachhaltigkeit sind als Begrifflichkeiten in aller Munde. In die gleiche Kerbe zielt „Somewhere“: Mut zur Langsamkeit. Denn die Handlung ist viel mehr ein Abstraktum; eine lose Aneinanderreihung von Assoziationen, die erst am Ende Form gewinnen. Damit könnte auch von Menschwerdung gesprochen werden. Aus dem Zustand völliger Hilflosigkeit am Boden ziehen und quietschen sich die Figuren in den aufrechten Gang. Das ist sehr experimentell, sehr gewagt und sehr offen (Sound: András Meszerics, Lichtdesign: Heide Tömpe).

Over the Rainbow

Zugleich steht „Somewhere“ für ein Labor zur Entwicklung queerer Vorstellungswelten und widmet sich als solches der daraus resultierenden Ästhetik, den Bewegungen und Reibungsgeräuschen. Als Ausstattung genügen zwei Speedo-Badehosen, eine Leuchte, ein Stuhl und, ganz wichtig, ein Handy. Warum, wird im Laufe der Inszenierung deutlich. Während der erste Teil im absoluten Stillen verharrt (die Bauchgeräusche der Sitznachbarin zwei Stühle weiter sind wunderbar hörbar), ertönt zur Mitte hin langsam eine sehr verzerrte, aber deshalb auch seltsam schöne Elektro-Variante von „Somewhere Over the Rainbow“ – zumindest klingt es verdächtig danach. Damit kommt etwas mehr Schwung in die Handlung, trotzdem verharrt sie aber immer noch auf der reduzierten Seite. Stark wird deutlich, dass Reibung auch ein Ziehen und sich Verbiegen in die Gegenrichtung ist. Das scheint stimmig, nicht nur für die queere Vorstellungswelt, die sich der Norm anpassen muss, möchte, soll, sondern auch für das Leben im Allgemeinen.

Die dritte Figur

Das Ende richtet den vollen Fokus auf den schüchternen dritten Performer. Der ist rechteckig, korrekt und hat ein erstaunliches Gedächtnis. Die Rede ist vom Smartphone, das schon am Anfang auf der Bühne lag und in das András Meszerics die kryptischen Worte „This is recording number 545“ sprach, bevor er in die Performance und ihre Stille eintauchte. Das mit dem Record Nummer 545 erklärte sich zum Schluss hin: „Somewhere“ wird in die eigene Performance integriert. Ein spannender Ansatz, der aber aus dramaturgischer Sicht kürzer hätte gehalten werden sollen (Mut zur Langsamkeit, da ist es wieder). Vielleicht wären dadurch die unvermutet gelichteten Zuschauerreihen zu verhindern gewesen. Die Publikumsflucht ist schade und das nicht nur, weil Tomaž Simatović und András Meszerics sich bei den Verbliebenen bedankten: Mit einem Heftchen voller Gedichte, die in der Probenzeit entstanden sind. Eine wunderbare Geste und passend für diese poetische Allegorie auf die Physik, queere Vorstellungswelten und so vieles mehr, was das Leben bereithält – wenn man sich darauf einlässt.

 

Fotonachweis: Bernhard Müller

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