Lauf des Lebens

Der Lauf des Lebens – Landestheater Salzburg

Höher, schneller, stärker in den Kammerspielen mit „Der Lauf des Lebens“

Am Salzburger Landestheater feierte Marco Dotts „Der Lauf des Lebens“ Uraufführung. Ein Auftragswerk über den Leistungssport, das Parallelen ins normale Leben öffnet. Sind wir nicht alle ein bisschen optimierungswütig?

Sie haben es wieder getan – diesmal im Auftrag des eigenen Hauses. Während 2019 mit dem Stück „Aquarium“ nach israelischer Vorlage die Synchronschwimmerinnen im Mittelpunkt der Kammerspiele standen, kommt jetzt mit den Leistungssportler:innen gleich die ganze Branche zum Zug. Das Salzburger Landestheater beauftragte Marco Dott, seit Jahren als Schauspieler und Regisseur fester Bestandteil des Ensembles, ein Stück über den Hochleistungssport zu schreiben: „Der Lauf des Lebens“. Ein Weg voller Etappen, Schmerzen und Glücksmomente, für die sich Dott mit Sportler:innen aus den unterschiedlichsten Disziplinen unterhielt. Daraus resultierte ein mannigfaltiges Theaterstück, das Katrin Schweiger mit eigenen Kompositionen vertonte.

Pointiertes Schauspiel mit Musik

Der Schweiß fließt von Minute eins. Nicht nur bei den Schauspieler:innen auf der Bühne, sondern auch im Publikum. Sit-ups, Push-ups, Jumping Jacks & Co bilden die temporeiche Choreografie (Kate Watson) eines ungewöhnlichen Stücks, das schon beim Zusehen den Puls in die Höhe treibt. Zugleich bietet der Plot eine angenehme Abwechslung. Statt antiker Heroen, die bereits vor Tausenden von Jahren aus dieser (oder der fiktiven) Welt abgetreten sind, oder philosophischer Ergüsse aus den letzten Jahrhunderten kommt mit „Der Lauf des Lebens“ höchst Menschliches auf den Spielplan und trifft den Nerv seiner Zeit. Am Pranger steht die Selbstoptimierung, die längst nicht mehr nur Sportler:innen im Griff hat, sondern auch Ottilie Normalverbraucherin und Max Mustermann immer häufiger in Atem hält – digitale Gesellschaft sei Dank. Das Ensemble setzt diesen Leistungswahn voll motiviert und mit großem Körpereinsatz in Szene.

Tatsächlich ist „Der Lauf des Lebens“ ein pointiertes Schauspiel mit Musik, bei dem die sportiven Motivationstermini besonders tief fliegen. Wer bei so vielen wie Hashtags #yeswecan, #stayhealthy und #justdoit nicht mitgerissen wird, ist selber schuld. Auch der olympische Schlachtruf „Citius, altius, fortius“ darf nicht fehlen, „höher, schneller, stärker“, und bildet das Mantra der nächsten beiden Stunden. Zugleich wird aber auch dem Versagen, den Zweifeln und Ängsten Raum gegeben. Regisseur Marco Dott verpackte das breite Gefühlsportfolio in Stichwortsammlungen, die mit kurzen Szenen wechseln. Teile aus der Vita der Sportler:innen werden als Erinnerungen wiedergegeben, Einblicke in Karrieren gewährt, die zum Teil bereits wieder ihr Ende gefunden haben. Denn wir lernen: Hochleistungssport ist endlich und beginnt noch früher. Der Blick ist spannend, desillusionierend und trotzdem hoffnungsvoll. Das puristische Bühnenbild, ein Umkleideraum, komplettiert das Setting optimal und verleiht durch seine Reduktion den einzelnen Viten noch mehr Eindringlichkeit (Bühne & Kostüme: Eva Musil).

Kaderzirkus

Komponistin Katrin Schweiger packte die Geschichten und die Gefühle der Sportler:innen in Songs und Marco Dott sorgte für die Liedtexte. Beide kommen erfrischend pointiert und schonungslos ehrlich daher. Von Textzeilen wie „Weißt du, wie gut so ein Döner schmeckt“, das Maximilian Paier herrlich euphorisch-verzweifelt intoniert, bis zum ausgewachsenen Shitstorm, den Leyla Bischoff und Patrizia Unger sehr berührend als Schwesternpaar wiedergeben. Besonders eindrücklich der Satz von Bischoffs Figur, nüchtern und klar ins Publikum gesprochen, sie ist doch auch nur ein Mensch. Diese und ähnliche Momente gehen unter die Haut.

Anorexie kommt genauso auf den Tisch wie das mentale Mindset, Erfolge wie Misserfolge. Kritisch, gnadenlos, aber dabei auch unglaublich amüsant, Gregor Schulz als wunderbar diabolischer Trainer im „Kaderzirkus“ – ein Song, der musikalisch an Musicals wie „Der kleine Horrorladen“ erinnert. Schulz zelebriert seine Rolle sichtlich und lässt in der Manier des Kinderspiels Reise nach Jerusalem genüsslich einen Schützling nach dem anderen aus dem Kader fliegen. Ebenfalls besonders gelungen: Larissa Enzi und Gregor Schulz als Sportlerin im Zwiegespräch mit dem eigenen Körper. Da fällt es schwer, Kontenance zu wahren. Daniel Therrien begeistert mit zusätzlichen Akrobatikeinlagen und wie Thomas Wegscheider stimmlich.

Musikalisches Brainstorming

Vor allem die ersten Szenen erinnern an akustische Mindmaps. Während die Sportler:innen mit Motivationswörtern und Floskeln aus dem Leistungssport um sich werfen, wird gesprungen, gelaufen und getanzt. Erstaunlicherweise geht keinem die Puste aus. Klar und hochmotiviert tönt es stattdessen aus den Mündern, definitiv eine sportliche Höchstleistung des Ensembles, das aktuell definitiv zu den fittesten im Schauspielbereich zählen dürfte. Wie sehr das darstellende, zusammenhängende Element dann aber doch fehlt, springt ins Auge, wenn sich das Dargestellte von den Wortkaskaden abwendet. Dann wird deutlich, weniger collagehaft, mehr stringente Handlung wären von Vorteil. Damit hätte „Der Lauf des Lebens“ weniger von einem Ready-made, könnte aber noch mehr in den Zuschauer:innen auslösen. Zudem würde es leichter fallen, die anfänglich vorgestellten Karrieren auch ihren Schauspieler:innen zuzuordnen. Das aber ist jammern auf Höchstleistungsniveau. Passend zum Stück.

 

Fotonachweis: Christian Krautzberger

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