Im Schauspielhaus Salzburg sind die Gepäckwagen los – und üben sich mit dem Ensemble in einer temporeichen „Mord im Orientexpress“-Choreografie. Ein gelungenes Murder-Mystery, mit klugen Pointen und lockerem Unterhaltungswert.
Die Bühne für „Mord im Orientexpress“ am Schauspielhaus ist leer. Absolut besenrein – abgesehen von einer einsamen Windmaschine. Jetzt könnten sich zurecht Zweifel einstellen, ob man sich im richtigen Raum befindet. Wäre nicht eben erst Einlass gewesen und gäbe es im Schauspielhaus mehr als nur einen Saal. Es bedarf also keines Inspektor Poirots, um diesen Fall zu lösen – aber es hilft ungemein. Zumal dieser Abend die große Stunde des – Überraschung! – belgischen Meisterdetektivs sein wird.
Doppelte Gepäckwagen
In Salzburg sind die Meisterdetektive los. Auf Sherlock Holmes am Salzburger Landestheater folgt Inspektor Poirot am Schauspielhaus. Die Sache mit der leeren Bühne ist grandios. Von wegen Nihilismus – keine fünf Minuten später rocken knapp ein halbes Dutzend Gepäckwagen die Fläche in ganz eigener Choreografie. Sarantos Georgios Zervoulakos (Regie) verleiht seiner Inszenierung von Agatha Christies Klassiker damit eine ganz spezielle, poppige Note. Zumal der Ernst auch mal Pause machen darf. Kunstvoll arrangiert, wechseln sich die Gepäckwagen ab und bringen die Protagonisten von A nach B.
Eigentlich werden sie gebracht. Der Dompteur der illustren Reisegesellschaft ist Concierge/Schaffner Michel (Jan Walter). Wahlweise mit Mikrofon gibt er Anweisungen, karrt sein Klientel heran oder sortiert die Wagenreihe neu. Denn das mit den Gepäckwagen nimmt Sarantos Georgios Zervoulakos wörtlich und baut aus denen, die man aus den Hotels kennt, gleich den berühmten Orientexpress auf.
Hercule Poirot mit langer Tradition: Mord im Orientexpress
“Orient trifft Okzident” – ein theatraler Claim, der hier eingelöst wird. Selbst die Kostüme (Epifanios) greifen das opulente Moment auf und exerzieren es spielerisch durch, garniert mit Anklängen an das vergangene Jahrhundert. Daraus entsteht eine feine Hommage an Agatha Christies Original. Den Plot dazu hält Antony Connor als Hercule Poirot fest in der Hand. Wer kennt ihn nicht, den belgischen Meisterdetektiv? Egal, ob in Verfilmungen mit Albert Finney in der Titelrolle oder Kenneth Branagh – genauso akribisch wie die cineastischen Vorbilder arbeitet sich auch Connors Poirot am Salzburger Schauspielhaus durch die Fakten und bleibt seiner Figur treu.
Ablenkung? Bei Poirot Fehlanzeige. Weder durch die koketten Avancen einer Gräfin Andrenyi (Leah Geber), noch durch die Broadway-Fixiertheit einer Helen Hubbard (Kerstin Maus) oder das breite Akzent-Portfolio des gesamten Ensembles. Hier spricht jeder mit besonderer Note: Während sich Eisenbahn-Chef Bouc (Theo Helm) im Schweizerdeutschen übt, bleibt Missionarin Greta (Sophia Fischbacher) in ihren melodramatischen Stoßgebeten dem Schwedischen verhaftet. Susanne Wende gibt eine gelungene, ehrwürdige Prinzessin Dragomiroff ab, die sich nur vor den Bolschewisten fürchtet, und Felix Krasser und Julia Rajsp dürfen amerikanisieren.
“Genau die Spur, auf die ich gewartet habe”
Die Akzentnummer ziehen alle konsequent durch, bis auf Poirot selbst, der hin und wieder eine frankophile Pause einlegt. Erst ganz am Ende dürfen dann auch die restlichen sprachlichen Färbungen fallen. Ein schöner Clou, denn genau wie mit den Gepäckwagen als Symbol für den illustren Zug fährt die Regie elegant doppelgleisig: Die Schauspieler als Schauspieler einer zweiten Inszenierung. Check.
Wem jetzt schon der Kopf schwirrt, der hat noch nicht den Alibis gelauscht, die zwischen kreativ und verwegen pendeln, aber garantiert immer zum Schmunzeln einladen. Denn in diesem „Mord im Orientexpress“ wird so einiges mit humorvollem Unterton und ironischem Augenzwinkern versehen (Dramaturgie: Jérôme Junod). Benjamin Muth zum Beispiel baumelt formvollendet als hilfreiche Leiche vom Kleiderhaken. Selten hat ein Murder-Mystery für so viel Erheiterung gesorgt, und trotzdem kommen selbst die fleißigsten Hobbydetektive auf ihre Kosten. Denn eines bleibt unangetastet: die direkte Ansprache des Publikums. Das Erfolgserlebnis stellt sich genauso sicher ein und fühlt sich fast so an, als wäre der Fall eigenhändig gelöst worden.
Fotonachweis: Schauspielhaus Salzburg | Jan Friese
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