„Schatz, das Wetter ist wunderschön, da leid ich’s nicht länger zu Haus“, singt Georg Kreisler inbrünstig in seinem wohlbekannten Ohrwurm und packt noch schnell das Arsen für die Tauben ein. Das „Frühlingslied (Tauben vergiften)“ ist mein absolute Lieblingsfrühlingssong. Sobald es also frühlingt, gibt sich Georg Kreisler auf meinem Laptop die Ehre. Oder auf dem mp3-Player. Die Möglichkeiten sind variabel. (An Tauben wird sich dabei selbstverständlich niemals vergangen.)
Der Frühling steht jetzt aber auch in Salzburg vor der Tür. Natürlich rein figurativ. Denn die ARGEkultur veranstaltet gemeinsam mit subnet den ersten digitalen Frühling Salzburgs. Wenn sich Art (engl. Kunst) und Activism (engl. Aktivismus) vergeschwistern, dann entsteht ARTIVISM. Eine ganz besondere Kunstform, die erst mit Erfindung der Medien entstehen konnte und die verschiedensten Künste verbindet. Das Festival bedient sich dabei zahlreicher divergierender künstlerischer Ausdrucksmitteln und macht auf gesellschaftliche Missstände aufmerksam, engagiert sich politisch und setzt auf freie Meinungsäußerung. Es lädt sein Publikum acht Tage lang ein (6. bis 13. März 2016), die digitalen Frühlingsgefühle nicht nur mitzuerleben, sondern auch aktiv daran zu partizipieren.
Die politische Komponente teilt sich das Media Art Festival auch mit Ella Littwitz und ihrer aktuellen Ausstellung „Tomograma“ (20. Februar – 24. April im Künstlerhaus Salzburg). Auf relativ kleinem Raum entfalten sich im Kabinett ihre Visionen. Die junge israelische Künstlerin, die in Berlin, Gent und Israel arbeitet und lebt, befasst sich mit der „Territorialisierung und Konstruktion von historischen und psychologischen Grenzen sowie mit den oft instabilen Regeln, die diese Grenzziehungen verursachen.“
Da ist „Uproot“: 20 Skizzen Pflanzen-Allegorien, die ursprünglich einer Serie von 143 Skizzen entstammen und tief in der israelischen Geopolitik wurzeln. Sie sind das Ergebnis von Littwitz‘ Analyse des 1941 erschienen Buches „The Weeds of Palestine and Their Control“ von Dr. Zohary. Der Autor ersetzte lateinische Pflanzennamen durch hebräische und Littwitz skizzierte das Ergebnis, das den Samen entspringt. Aber nicht nur der geopolitischen Botanik ist Littwitz verbunden.
„Seam ReZone“: Alte Fußbälle, nur scheinbar zu einem durchlässigen Teppich gruppiert, zieren den Fußboden des Kabinetts und erinnern dabei an abgeworfene Schlangenhaut. Oder an eine ziemlich löchrige Landkarte. Während die einen eingangs noch versehentlich daran anstoßen und schnell, kichernd und peinlich berührt, den beschuhten Fuß zurückziehen (hat das eh niemand gesehen?), wird später die offizielle Erlaubnis erteilt, darauf herumzutreten. Nur wagt das niemand. Da kann es Seamus Kealy noch so prononcieren. Denn die Fußbälle sind keine gewöhnlichen Fußbälle. Oder eigentlich schon. Zumindest waren sie es bis zu dem Zeitpunkt, als sie Schüler des arabischen College Frères in Jerusalem während des Fußballspielens versehentlich in das verminte Niemandsland kickten. Das grenzte von 1948 bis 1967 direkt an die Schule, um israelisches von jordanischem Land zu separieren. In den folgenden 19 Jahren flogen noch zahlreiche weitere Bälle über den Zaun und sammelten sich im Niemandsland, ehe sie 1965 von Israel mit der Hilfe Jordaniens eingesammelt wurden. Israel überreichte infolgedessen 28 der Bälle als Weihnachtsgeschenk. Und Ella Littwitz vearbeitete die jetzt luftlosen Leder zu einer innovativen Installation.
Das Bild der gehäuteten Schlange ist deshalb vielleicht doch kein Zufall. Es könnte vielmehr einen Neuanfang symbolisieren. Die Fußbälle auf dem Boden erinnern aber auch an Verbindungsglieder zweier unterschiedlicher Kulturen, die sprichwörtlich neu miteinander verwoben werden. Eine wunderbare Botschaft.
Raum für eigene Interpretationen ist in Fülle vorhanden. Und die Ausstellung läuft auch noch bis 24. April. Mir kam dann wieder mein eigenes Israel – Jordanien Grenzerlebnis in den Sinn. Das, in dem mir überraschend die Visum-Gebühr bei Übertritt von dem einem in das andere Land erlassen wurde, weil ein Freund an richtiger Stelle einen beliebig interpretierbaren „mhhhh“-Laut von sich gab.
Grenzmensch durch Autofenster zu Freund, während er mit Kopf in meine Richtung deutet: „Arbeitet sie auch für die Botschaft?“.
Ich schweige. Ich finde Soldaten-Befragungen durch Autofenster generell befremdlich.
Er: „mhhhhh“.
Grenzmensch winkt uns durch: „Okay, dann könnt ihr weiterfahren“.
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So viel zu sehen, so wenig Zeit – auch beim Digital Spring Festival. Darum hurtig, hurtig und nicht verpassen: Veranstaltungen – Digital Spring.
Fotonachweis: Seam ReZone by cargocollective.com
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