„Die Liebe kommt, die Liebe geht“ und die Erfindung des Frequenzsprungverfahrens bleibt. – DAS LEBEN DER HEDY LAMARR in der Salzburger Erstaufführung der Theater (Off)ensive.
Zwei Frauen zu einer verschmolzen stehen auf der dunklen Bühne, während das Publikum Einlass findet. Vorne am Bühnenrand singen und disputieren zwei Männer, die Zuschauer*innen stolpern mitten in eine Standbildversion von 88 SECRET COMMUNICATION. DAS LEBEN DER HEDY LAMARR von Alexander Mitterer und Erik Jan Rippmann (Assistenz & Technik: Patrick Lutz). Mit kleiner Verzögerung, denn noch bevor die Scheinwerfer voll hochgefahren werden können, tönt es unvermutet aus dem Publikum, „Irmgard ist noch auf der Toilette“. Also wartet der Saal. Auf Irmgard. Und bekommt einen kleinen Vorgeschmack des unvergleichlichen Off-Theater Charmes, der auch die Produktionen der Theater (Off)ensive auszeichnet.
Den Anfang bildet das Ende. Die große Schauspielerin, die schönste Frau der Welt, die erste Nackte der Filmgeschichte, die österreichisch-jüdische Antwort auf Marilyn Monroe, die Frau mit den sechs Ehemännern, die Erfinderin des Frequenzsprungverfahrens wird bei einem Ladendiebstahl ertappt. Der Fall von Hedy Lamarr war bereits Anfang 1966 hart und tief, ihre glorreichen Zeiten längst passé, trotzdem schleudert sie der Kaufhausdetektivin trotzig „die Welt schuldet mir etwas!“ entgegen. Oder sollte es nicht besser „werfen sie der Kaufhausdetektivin entgegen“ lauten? Denn Hedy Lamarr ist in Alexander Mitterers Inszenierung keine singuläre Person. Sie wurde verdoppelt. Was sich schizoid anlässt, hat bei Mitterer Tradition. Bereits im SISSI-SYNDROM (2015) griff der Regisseur zu Doppelung und ließ kurzerhand Kaiserin Elisabeth und Romy Schneider gemeinsam in der kaiserlichen Gruft auftreten. Jetzt ging der Regisseur noch einen Schritt weiter und so steht Hedy Lamarr gleich zweimal auf der Bühne; übrigens in der gleichen Besetzung wie im SISSI-SYNDROM. Vielleicht ist das auch ganz gut so, denn Klaudia Reichenbacher und Anja Clementi ergänzen und spiegeln sich vorzüglich als Hedy I und Hedy II. Ihre Sätze komplettieren und beenden die beiden elegant und virtuos, egal wie hoch das Sprechtempo.
Hedy Lamarrs Leben war so facettenreich und surreal, das es eigentlich genug Stoff für ein ganzes Epos liefern würde. Und das hätte dann vermutlich auch Überlänge. Auf der Bühne der Theater (Off)ensive vollzieht sich allerdings ganz Erstaunliches. Mitterers Inszenierung holt die einstige Diva, die als Hedwig Eva Maria Kiesler 1914 in Wien geboren wurde, nicht nur aus dem Vergessen zurück, sondern verdichtet ihr Leben auf schnittige 90 Minuten. Das Resultat fasziniert und fesselt. Am Anfang steht also das Ende, Hedy (das ganze emotionale Spektrum unisono durchlebend K. Reichenbacher & A. Clementi) wird auf frischer Tat ertappt und von der resignierten Ladendetektivin (Diana Paul) zur Rede gestellt. Die ist merklich jünger und hat keine Ahnung, wer da vor ihr steht. Auch dann noch nicht, als ihr die Diva arrogant und affektiert ihren Namen nennt. Also beginnen die Hedys zu erzählen und bewegen sich gemeinsam mit den anderen Figuren in illustren Zeitsprüngen durch ihr äußerst turbulentes Leben. Diese Wandel sind gelungen für die Bühne adaptiert und trotz kleinem Personal auf einer noch kleineren Spielfläche exzellent realisiert. Lediglich die Hedys verharren dabei großenteils in ihren Rollen, während die anderen Schauspieler und -in fleißig in alle Figuren-Richtungen oszillieren. Alex Linse überzeugt als grausamer Fritz Mandl genauso wie als arroganter und autoritärer Chef bei MGM. Stefan Bischoff beweist mit seinen Figuren-Sprüngen mentale Flexibilität und entlockt dem imaginärem Klavier als latent verschrobener und zurückhaltender Komponist George Antheil intensive Töne.
DAS LEBEN DER HEDY LAMARR ist trotz seiner zahlreichen Zeitsprünge erstaunlich strukturiert. Ein Effekt, der sich vor allem in der Retrospektive voll entfaltet. Neben pfiffigen, amüsanten, ernsten und tragischen Dialogen, bei denen auch kleine, spöttische Sound of Music und „Amerikaner… !!“ – Allusionen nicht fehlen dürfen, verzichtet Mitterer dabei auf kein Detail, das sich prägend auf den Lebensweg der Diva auswirkte. Diese Tendenzen dringen bis zur Requisite und das Mobiltelefon der Ladendetektivin steht als verdinglichte Chiffre für die Erfindung des Frequenzsprungverfahrens, das Hedy Lamarr und George Antheil mittels der „88 Töne der Unendlichkeit“ (88 Tasten auf dem Klavier) begründeten. Ursprünglich ein Gerät zur abhör -und steuerungssicheren Funksteuerung für Torpedos, ist die Erfindung heute in jedem Mobiltelefon gegenwärtig. (Danke Hedy und George – wir schulden euch tatsächlich etwas!). Das entsprechende Requisit im Stück ist dann allerdings in Form und Weise vielleicht doch eher ein Einsprengsel aus der Zukunft. – Auch Barbara La Marr (K. Reichenbacher), deren Name für Hedys Pate stand, darf im Laufe des Abends als Geist auferstehen und mit jeder Menge Bühnenebel mahnend an Hedys Vernunft appellieren. Tragisch-komisch Mussolinis und Peróns Besuch im Hause Mandl. Dafür findet ein spontaner Geschlechtertausch statt; A. Clementi verlässt ihre Hedy und schlüpft kurzerhand mit dickem italienischen Akzent und maskulinem Gebaren in die Haut des Duces. Die Farce gelingt ganz wunderbar und St. Bischoff bereichert sie mit einem amüsant lispelnden Perón, der vom Rauchverbot am Obersalzberg jammert.
Am Ende das Ende. Rund, kohärent und sehr stimmig. Lediglich die Positionen von Hedy I und Hedy II variieren. Die eine steht jetzt rechts, die andere links, beide werfen noch einmal gemeinsam trotzig „die Welt schuldet mir etwas!“ in den Saal. Danach herrscht Dunkelheit. Nun ja, sollte es zumindest, aber das Scheinwerferlicht ist noch nicht ganz verklungen, da bricht im Bühnenraum bereits ekstatischer Applaus aus. Man darf auf Wiederaufnahme hoffen.
Fotonachweis: Wolfgang Schwaiger // Theater (Off)ensive
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