Eigentlich habe ja Freundin K. versprochen, eben keinen Vergleich zu ziehen, aber die Versuchung ist zu groß und ich kann mir an dieser Stelle eine sehr kleine Erwähnung nicht gänzlich verkneifen (mea culpa K.!): „Fifty Shades of Grey“, das momentan so fleißig in den heimischen Filmtheatern läuft, sollte besser einpacken. Seit Sonntag hat es nämlich bühnenreife Konkurrenz und das ganz ohne Peitschen, Lack und Leder, dafür aber mit ziemlich vielen „körpervereinigenden Szenen“ (das habe ich jetzt elegant umschrieben, oder? ODER?). Nachdem ich allerdings „Fifty Shades of Grey“ tatsächlich nie gesehen oder gelesen habe und das auch keinesfalls nachzuholen gedenke, leben meine Mutmaßungen vom Konsum einschlägiger Rezensionen und Kommentaren betreffend des Massen anziehenden Hollywood-Spektakels. Aber ich wollte hier eigentlich auch gar nicht über Mr. Grey & Co sprechen, sondern vielmehr über die GEFÄHRLICHEN LIEBSCHAFTEN sinnieren, dem eine hochspannende Geschichte zu Grunde liegt. Es war einmal ein adeliger Offizier, dessen Familie kurz vor seiner Geburt in den Adelsstand erhoben wurde. Das freute vermutlich die Familie, den blasierten Adel aber offenbar nur bedingt, da die Familie so frisch geadelt noch nicht als „vollwertig“ adelig galt. Für den jungen Mann bedeutete das so einiges an Schikanen; von der erträumten schnellen Karriere bei der französischen Armee durfte er sich alsbald wieder verabschieden. Das ärgerte den aufstrebenden Offizier ungemein und 1782 folgte seine ganz spezielle, personalisierte – und meines Erachtens geniale – Rache: Er veröffentlichte seinen Briefroman „Les Liaisons dangereuses“ und schlagartig war Pierre-Ambroise-François Choderlos de Laclos in aller Munde.
So schön kann Rache sein. – „Les Liaisons dangereuses“ zeichnet ein ungeschönt lasterhaftes, verwerfliches Sittenbild seiner Zeit, das die Protagonisten wider Willen, die adeligen Gemüter von Paris, naturgemäß in Rage versetzte. Pointiert prangert de Laclos die amoralischen und amourösen Ausschweifungen der obersten Schicht an, derer sie bis dahin ungestört frönen konnten. Der Adel war keineswegs amüsiert und missverstand doch die Intention des Autors; nach der Publikation des kongenialen Briefromans suchten sie in den Salons der Stadt eifrig nach den Vorlagen für die (fiktiven) Charaktere und dem Autor selbst, der nur kurze Zeit anonym bleiben konnte. Das kam ihm aber vermutlich ohnehin ganz gelegen, da er mit seinem Schreiben Unsterblichkeit erlangen wollte. Ich würde sagen: Mission accomplished – de Laclos darf ein Häkchen unter sein Vorhaben setzen; am 22. Februar 2015 feierte eine weitere Interpretation von „Les Liaisons dangereuses“ Uraufführung. Die Rede ist natürlich von den GEFÄHRLICHEN LIEBSCHAFTEN im Cuvilliéstheater in München, ein Auftragswerk des Staatstheaters am Gärtnerplatz (Musik: Marc Schubring, Buch und Liedtexte: Wolfgang Adenberg, Regie: Josef E. Köpplinger, musikalische Leitung: Andreas Kowalewitz).
Auf der Bühne geht es heiß her, wenn die Marquise de Merteuil und Vicomte de Valmont ihre intriganten Ränke schmieden. Als beste Freunde und liebste Feinde bilden die beiden ein Duo infernale, das seine Opfer in den moralischen Abgrund reißt. Aus einer gefährlichen Mischung aus Langeweile, der Sucht nach erotischem Exzess und Intrigen sind sie immer auf der Suche nach neuen Herausforderungen. Die findet der blasierte und narzisstische Valmont in der bieder konservativen Gutfrau Madame de Tourvel. Ihr Sträuben, eine Liaison mit ihm einzugehen, spornt Valmont zusätzlich an. Gleichzeitig schließt er – in üblich grenzenloser Selbstüberschätzung – eine Wette mit seiner Freundin, der Marquise, ab; sein Vorhaben ist es, die moralisch eiserne Tourvel zu erobern. Der Gewinn scheint allerdings auch etwas banal; die lasterhafte Marquise, die ohnehin schon halb Paris in ihrem Bett hatte, verspricht Valmont eine letzte gemeinsame Nacht. Sie hat ihr Auge währenddessen bereits auf Cécile de Volanges gerichtet, ein junges, naives Ding, das aus der Furcht ihrer Eltern vor der verdorbenen Pariser Oberschicht im Kloster erzogen wurde. Um sich an einem Ex-Geliebten zu rächen, kommt der Marquise die jungfräuliche Braut Cécile gerade recht. Valmont wird sie unter den gestrengen Augen ihrer Mutter (wunderbar mondän und doch einfach zu manipulieren: Carin Filipčić) verführen.
Armin Kahl ist ein herrlich egomanischer Valmont: durchtrieben, boshaft und größenwahnsinnig („Allmächtig“ als fabelhaftes Exempel eines fragwürdiges Naturell). Sein Vicomte spielt sich so sehr ins moralische Abseits, dass es selbst dem Mitleid, das einmal durchblitzen darf, an Authentizität mangelt. Das Liebesgeständnis am Ende enthält einen fahlen Beigeschmack. Mindestens genauso fabelhaft intrigant und amoralisch ist Annas Montanaros Marquise de Merteuil, die das Zepter der Pariser Oberschicht fest in ihren lasterhaften Händen hält. Ein vokaler wie inhaltlicher Hochgenuss ist ihr subsumierendes, zynisches Credo „Liebe macht uns schwach“. Ein Schauder läuft der Zuschauerin über den Rücken, wenn sie sich ein neues Opfer auserwählt und gleichzeitig ist sie froh, keine Marquise in ihrem eigenen Bekanntenkreis zu wissen. Als sich die naive Cécile (Anja Haeseli gefühlvoll und schwärmerisch) vertrauensselig bei der Marquise erkundigt, ob sie sich ihr anvertrauen dürfe, weil sie ihr doch die Freundschaft angetragen habe, da gilt es den Impuls zu unterdrücken, in Puppentheater-Manier einmal laut „NEIN! Tu‘ es nicht“ zu rufen. Natürlich tut Cécile es trotzdem und natürlich ist es auch ihr ganz persönlicher Anfang vom Ende. Zuerst gezwungen, frönt sie später selbst ausschweifend den körperlichen Freuden des Weltenlebens. Allerliebst übrigens auch Céciles Pendant, Harfe-Lehrer Chevalier de Danceny (Florian Peters ähnlich euphorisch und naiv), mit dem sie sich nicht nur in gemeinsamen Schwärmereien ergeht, sondern den später ein ähnliches Schicksal ereilen wird. Fast schon unfreiwillig komisch wirkt das – eingangs noch – unverdorbene Schwärmerpaar allerdings im direkten Vergleich mit seinen amoralischen Zeitgenossen.
Liebesleid ist förderlich. – Erst durch die Absage und den Verstoß von Valmont blüht Madame de Tourvel (Julia Klotz) richtiggehend auf. Vorher bieder und moralisch erhaben, wandelt sie sich absolut; in ihrem Schmerz und ihrer Verzweiflung, in ihrem tödlichen Verfall gewinnt sie größte Ausdruckskraft und glänzt mit unmittelbarer Präsenz. – Die Marquise wird schließlich vor dem Adel bloßgestellt. Im Tod hat ihr Valmont dann doch noch ein Schnippchen geschlagen (hurra, möchte man jubilieren) und dem bereits verlorengeglaubten Spiel eine neue, finale Wendung verliehen. Ob danach endlich Ruhe in den adeligen Kreisen einkehren wird? Mitnichten, an der frisch verheirateten Cécile sind bereits beunruhigende Tendenzen zu konstatieren.
Den Überblick behalten? – Tatsächlich ist es möglich und dafür gebührt der Produktion großes Lob. Das kreativen Team reduzierte die mächtige Vorlage auf etwas mehr als 2 Stunden Spielzeit und streute jede Menge (Sondheim lastige) eingängige Musicalmelodien ein, ohne den Plot zu verkomplizieren. Schön. „Schön“ trifft übrigens auch auf das Bühnenbild zu (Bühne: Rainer Sinell), das zum Gros aus einem sehr voyeuristischen Spiegel besteht, der meistens von der Decke baumeln darf und nicht nur Valmont tiefe Einblicke gewährt. Ganz so genau wollte es die Zuschauerin dann aber doch nicht wissen und das exzessive Paarungsverhalten des französische Schwerenöters hätte vielleicht nicht persistent und in allen Lagen gespiegelt auf die Bühne transportiert werden müssen (wobei ich immer noch darüber grüble, wie viel Textil an mancher Stelle tatsächlich im Einsatz war… das Rätsel wird sich vermutlich niemals klären, ich weiß. Hinweise oder Mutmaßungen werden an dieser Stelle dennoch dankend entgegengenommen: info(a)whatIsawfromthecheapseats.com 😉 ). Der Phantasie bleibt nur wenig überlassen und die Bewunderung der Verfasserin dieser Zeilen gilt ohnehin den DarstellerInnen, die sich auf Befehl vor dem Publikum gemeinsam in diversen Betten oder auf anderem Wohninventar räkeln und körperlichen Leidenschaften frönen, ohne dass es billig oder verschämt (oder beides) wirken würde.
Das Premierenpublikum, das an diesem Abend aus einigen bekannten Gesichtern besteht (hinter mir in der Toilettenschlange standen zwei berühmte Zwillinge an; ein Schlagersänger wechselte in der Pause von der Loge ins Parkett und ein Gärtnerplatz-Darsteller zwei Reihen vor mir, steckte so lange den Kopf mit seiner Begleitung – einer blonden und ebenfalls Theater verbundenen – Frau zusammen, dass die ältere Dame hinter ihnen sich in der Pause bei ihrer Familie beklagte, weil das „junge Paar“ vor ihr, ihr voll und ganz die Sicht versperre… Die Enkelin konnte trotzdem nicht zum Platztausch motiviert werden, sei sie doch, wie sie scharfsinnig feststellte, noch kleiner als die Oma.), ist hörbar begeistert und spendet stehend Ovationen. Der Herr Kritiker zu meiner Linken ist da schon sichtbar genervt von seinen ZuschauerkollegInnen und kurz nachdem er beinahe vom Sessel gerutscht wäre (das fand ich schon sehr amüsant), flüchtete er und löste bei der Dame zu meiner Rechten ein ähnliches Drama aus. Die fiel dann aber tatsächlich zu Boden. Ganz großes Kino, während vorne das Produktionsteam und das Ensemble gebührend bejubelt wurden.
PS: Übrigens war Salzburg auch schauspielerisch im Publikum vertreten; zumindest erspähte ich ein entsprechendes Darsteller-Ehepaar. Wie nett. Die Welt ist ein Dorf. Nach einer Mitfahrgelegenheit fragte ich trotzdem nicht 😉
Fotonachweis: (c) Thomas Dashuber, Gärtnerplatztheater
by