Bluff – cieLaroque/Helene Weinzierl & ARGEkultur

Wie wirklich ist die Wirklichkeit Oder alles nur BLUFF?!

Uraufführung an der ARGEkultur: Helene Weinzierls BLUFF als pointiertes Spiel mit den Realitäten.

Im Anfang war der Bluff. War er natürlich nicht wirklich, oder doch, zumindest im Fall des gleichnamigen Stücks der Compagnie cieLaroque / Helene Weinzierl. Zu beschwingten 60er Jahre Pop-Tönen tanzen drei Tänzer*innen ausgelassen durch den Raum: Escarlata Johansson (Manuela Calleja), Leonardi diCabrio (Luan de Lima) und Hairyson’s Ford (Hugo Le Brigand). Na, erkannt? Ein Hauch von Hollywood. Ein persiflierter selbstverständlich und genauso beschwingt-amüsant die ostentative Fröhlichkeit. Ihre Gesichter strahlen, sie überbieten sich im Glücklichsein und das ist ansteckend. Doch für wie lange?! Denn der erste von vielen Wechseln folgt gewiss.

Realität Wanted!

Helene Weinzierl stellt mit BLUFF eindrücklich die eigene Wahrnehmung in Frage (Musik Komposition, Arrangement: Oliver Stolz, Video: Oliver Stolz, Petra Hinterberger, Markus Huber). Unsere Gesellschaft ist ziemlich ambivalent. Trotz höchster Transparenz ist sie zugleich unglaublich artifiziell konstituiert. Medien gestalten mit ihrer Berichterstattung maßgeblich die verschiedensten Weltbilder,  Identitäten werden entsprechend adaptiert und Masken variabel adjustiert. Das Ziel ist der größtmögliche Erfolg, im Beruflichen sowie im Privaten. Hier setzt BLUFF an. PerfoBLUFFCielaroque/Helene Weinzierlrmativ erkunden drei Tänzer*innen also ihre scheinbare Realität. Doch welche Realität ist das jetzt eigentlich nochmals?

Alsbald wird deutlich, dass das mit der Realität so eine Sache ist. Die absolute Fröhlichkeit ist bereits wieder Vergangenheit. Die Tänzer*innen sind plötzlich ganz Ernst. Sie tasten einander ab und erkunden sich, um sich neu zu finden. Als hätte jemand den Reset-Knopf gedrückt und alles auf Anfang gestellt. Geschmeidig und nicht immer selbstbestimmt sammeln sie erste Eindrücke und beginnen ein neues Leben. Welches Ich darf es heute sein? Fließend und wohlüberlegt ist die Choreografie, die zu keinem Zeitpunkt repetitiv erscheint. BLUFFCielaroque/Helene WeinzierlARGEkultur Oktober 2016Das Publikum darf stattdessen staunend und schmunzelnd den Geschehnissen auf der Bühne beiwohnen. Sind das eigentlich Pferdehufklänge, die da zur „Ballad of Davy Crockett“ zu vernehmen sind? Vermutlich. Einige Wechsel später erinnern sie allerdings an Stepptanz. Wieder so eine Sinnestäuschung oder eine Verschiebung der Wahrnehmung, davon wimmelt es in BLUFF.

Tabula rasa.

Auf der Leinwand erscheinen Projektionen, die in rasantem Tempo wechseln. Manipulierende Medien; Bilder und Schriftstücke verschmelzen zu einem großen Ganzen. Johansson, diCabrio und Ford stehen staunend davor. Vermutlich sind es jetzt aber gar nicht mehr die drei persiflierten Schauspieler*innen aus Hollywood. Der Kostümwechsel wurde in das Stück eingebaut und fasziniert. Irgendwann stehen alle drei nur noch in … schwarzen Badeanzügen auf der Bühne. In diesem Moment erscheinen sie gänzlich ohne Identität. Sie haben ihr altes Ich und ihre Maske mit ihrer Kleidung abgeworfen und sind jetzt alle gleich. Auch im Geschlecht. Oder vielleicht sind Geschlechter-Zuordnungen auch nur so eine Imagination. Auf die Devestitur folgt naturgemäß die Investitur und damit die Rückeroberung des vestimentären Codes. Wieder ist alles neu. Aber was ist jetzt eigentlich real?

Es sind die Stimmen aus dem Off, die dem eigenen Staunen Ausdruck verleihen. Pointiert und treffend wie BLUFF selbst, werden Dialoge zu Sätze, die im Raum verharren und großartiges Zitat-Potential besitzen. („The mind makes it real.“ – Matrix Hallo! // „No sign of intelligent life anyway.“ – Kenne ich, dieses Gefühl. //“That’s not our system.“ Yep.) Und ein letzter großer Wechsel. Plötzlich ist es nicht mehr das Publikum, das aufmerksam dem Geschehen auf der Bühne folgt. Jetzt ist das Publikum selbst das Bestaunte. Die Grenzen zur Realität wurden einmal mehr komplett verschoben. Die Betrachteten werden zu Betrachtern, die Betrachter zu Betrachteten. Ein eindrücklicher und zugleich ephemerer Augenblick; denn, so viel sei verraten, für die abschließenden Minuten gibt es keine festen Regeln. Es ist das Publikum und vor allem Hugo Le Brigand, die ihn immer neu gestalten.

„You are the one that has to watch through it“ verkündete eine Stimme während der Dialogsequenz. „Ja, und das ist auch gut so,“ möchte man verspätet antworten. BLUFF ist ein intelligentes und pointiertes Stück Performancekunst. Mit viel Liebe zum Detail inszenierte Helene Weinzierl mit ihrer Compagnie ein einzigartiges Erlebnis, nachdem sich tatsächlich die Frage stellt: Wie wirklich ist die Wirklichkeit?

 

Fotonachweis: Bernhard Müller

Facebooktwitterredditpinterestlinkedinmailby feather

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert