Happy Todesjahr to you!
In Salzburg knallen die Korken. Das Auftragswerk HIERONYMUS BOSCH vom Schauspielhaus Salzburg in Koproduktion mit dem Théâtre National du Luxembourg feierte Uraufführung. – Psychedelisch, surrealistisch und wunderbar.
Der Meister hat Geburtstag. Den 500sten. Zugegeben, das ist eine wirklich schöne Zahl. Auch wenn damit ganz eigentlich sein Todesjahr zelebriert wird. Aber es erscheint latent morbid, hier von den Feierlichkeiten zum 500sten Todestag zu sprechen. Oder etwa nicht? Stimmt. Vermutlich hätte ihm das gefallen.
2016 ist also ein Hieronymus Bosch-Gedächtnisjahr. Das begehen verschiedene Institutionen in verschiedenen Ländern auf unterschiedliche Weise. Die meisten wählten dafür das Modell „Ausstellung“. Je mehr Originale sie zusammentrommeln konnten, umso besser. Für die kreative Variante entschied sich indes das Schauspielhaus Salzburg in Koproduktion mit dem Théâtre National du Luxembourg. Das gab beim Schweizer Autor Jérôme Junod ein Werk über den berühmten Maler in Auftrag. Dreh- und Angelpunkt des theatralen Unterfangens ist Boschs wohl bekanntestes Stück: „Der Garten der Lüste“.
Das Triptychon als Wimmelbuch für die Großen
„Der Garten der Lüste“ ist ein außergewöhnliches Stück Malerei, ein Triptychon, das die Forschung bis heute beschäftigt. Vermutlich aufgrund seiner Vorlage ist die HIERONYMUS BOSCH Inszenierung von Robert Pienz deshalb auch dem Aufbau eines Dreiteilers nachempfunden (Ausstattung: Ragna Heiny, Musik: Georg Brenner, Tanz: Jasmin Rituper). Alles beginnt mit der Impression der Welt am 3. Tag der Schöpfung. Statt aufklappbaren Außentafeln wurde sich mit einer großen Videoanimation (Michael Winiecki) beholfen. Dazu skizziert eine Reinigungskraft (Ulrike Arp) in ausdrucksstarken und grammatik-redundanten Monologen stakkatoartig Analogien zu Bosch und seinem Werk. Ohne den Künstler jemals direkt zu benennen. Das sorgt für einen großartigen Effekt, auch durch die laute Mikrofon-Übertragung, und fügt sich harmonisch in den psychedelisch-szenischen Rahmen. Später wird die Reinigungskraft noch einmal auftauchen. Die Protagonistin will dann in ihr ein Bosch-Motiv erkennen. Ein bisschen so wie mit dem Baummenschen im „Garten der Lüste“. Der soll auch dem Unbekannten gleichen, der immer wieder in Boschs Œuvre auftaucht. Ob es der Künstler selbst ist? Die Forschung ist sich uneins. Natürlich.
Psychedlischer Ausflug in boschige Sphären
Völlig eins hingegen ist Caroline; eine Doktorandin, die sich im Hier und Jetzt aufmacht, einen Kongress über Hieronymus Bosch zu besuchen (die luxemburgische „Austausch-Schauspielerin“ Claire Thill als leicht labile Kunsthistorikerin). Unseligerweise strandet die ehrgeizige junge Frau aber auf einem äußerst merkwürdigen Flughafen. Der wird von surrealistischer Ausstattung geprägt. Die Bestuhlung erinnert an die Installation neben der Salzburger Staatsbrücke. Hier bin ich Theaterbesucher*in, hier darf ich’s sein. An diesem merkwürdigen Nicht-Ort hängt Caroline bis auf Weiteres fest und gerät ins Philosophieren. Mit der latent gewöhnlichen Lucy von der sehr pinken, sehr amerikanischen und sehr 60er Jahre „Juicy Lucy“ – Bar, die ohnehin eigentlich Margarita heißt (wunderbar prollig Susanne Wende); also Lucy, nicht die Bar. Nach einer Tasse Kaffee, einem Wutanfall, ungefähr sechs Gläsern Sliwowitz und mehreren merkwürdigen Begegnungen fällt Caroline plötzlich in einen tiefen Schlaf.
Das Publikum darf während Lucys alkoholbedingtem Ausfall dem herrlich pointierten „Hieronymus Bosch Symposium 2016“ lauschen. Eine Persiflage auf die Kunstgeschichte, so Freundin M. Die muss es wissen, die studiert das Fach. Antony Connor als führender Bosch Experte Professor Richard Schulte hingegen sorgt für ein universitäres Déjà-vu, auch bei der Nicht-Kunsthistorikerinnen-Fraktion. Mit gepresster, leiser Stimme hält er die Einleitung zum Symposium. Wiedererkennungwert? Garantiert. Überhaupt ist die Tagung ein gelungener Schachzug. R. Pienz inszenierte sie als Chorus, der gleichzeitig die verschiedensten Forschungsstimmen zu Hieronymus Boschs „Garten der Lüste“ resümiert. Das versetzt auch die davor nicht informierten Zuschauer*innen spielerisch auf einen analogen Kenntnisstand. Idealerweise fällt sich dabei das Expert*innen-Team (Martin Brunnemann, Antony Connor, Marcus Marotte, Ulrike Arp, Kristina Kahlert) des Öfteren gegenseitig ins Wort oder parliert simultan. Nur Wortfetzen werden hörbar und die verschiedenen bekannten Theorien verklingen harmonisch im großen wissenschaftlichen Ganzen. Zur optischen Untermalung läuft nebenbei eine Videoprojektion von Boschs Meisterwerk. Mit amüsanten Brüchen (Frederic Soltow als hyperaktiver Technik-Verantwortlicher).
Im dritten szenischen Bild reist Caroline zu Bosch. Natürlich nur im Traum. Psychedelisch, surrealistisch und anders mutet das Aufeinandertreffen der beiden Welten an. Staunend und skeptisch stehen die beiden Mägde Martje (S. Wende) und Anneke (K. Kahlert) aus Boschs Haushalt da. Wobei sich Anneke vor allem über die Fremde amüsiert; kindlich begeistert imitiert und bestaunt sie Caroline, während sie von Martje zur Räson gerufen wird. Bevor Caroline aber endlich Hieronymus Bosch (Harald Fröhlich) begegnet, stellt ihr noch ein Adeliger nach (M. Marotte) und will Boschs Frau Aleid van Aken sie abwimmeln (U. Arp). Doch das lässt Caroline nicht zu; die Kunsthistorik-Doktorandin ist nicht umsonst so weit gereist. Endlich kann sie das tun, wovon Wissenschaftler*innen doch insgeheim träumen. Meet and Greet mit dem Großmeister persönlich. Das entpuppt sich aber als relativ unbefriedigend. Kein Wunder, über den Maler ist ja auch fast nichts bekannt. Deshalb dehnen sich die Anspielungen bereits nach kurzer Zeit und gleiten ins Belehrende. Weil ja, natürlich sind alle Äußerungen über die Kunst nur Projektionen anderer. Und dann stoßen sich auch die Mediävistik affinen Germanist*innen am inkohärenten Sprachduktus der scheinbar mittelalterlichen Welt. Das ist allerdings eine persönliche Angelegenheit. Ältere Literatur verpflichtet und so.
Expressionistische Transgressionen
Das Faszinierende an der HIERONYMUS BOSCH Inszenierung ist, dass wie in des Meisters Œuvre auch im theatralen Rahmen Grenzen überschritten werden. Es findet zwar keine Unterteilung in locus amoenus und locus terribilis statt, allerdings verschwimmen bekanntlich auch bei Bosch die Räume. So klar lassen sich Paradies und Höllenort nicht voneinander differenzieren. Deshalb ist es höchst passend, dass genau diese Logik auch bei HIERONYMUS BOSCH außer Kraft gesetzt wurde. Das surrealistische Stück greift die divergenten und geheimnisvollen Faktoren seines großen Vorbildes auf und kokettiert damit. Es werden keine Lösungen geboten. Stattdessen tummeln sich umso mehr Andeutungen und Analogien auf der Bühne. Der Wimmelbuch-Charakter wird einmal mehr deutlich. Je länger das Geschehen betrachtet wird, umso mehr Details fallen ins Auge.
Einige der Figuren scheinen aus den Bildern des Malers zu stammen. Durch die verschiedenen Szenen schleicht sich anmutig ein Teufel, der sich später in eine obligatorische Eule verwandeln wird (geschmeidig und herrlich beherrscht: Jasmin Rituper). Nonnen sind zwar nicht als Säue verkleidet, paradieren aber mit dem Klerus durch die Flughafenhalle. Fußballspieler*innen scheine die Exzesse zu spiegeln, die die nackten Paare auf Boschs Bildern gerne zelebrieren. Die wären künstlerisch so auch nicht umsetzbar. Es sei denn, die Produktion möchte für ziemlich viel Diskussionsstoff sorgen. In eine recht einschlägige Richtung wohlgemerkt. Stattdessen fungiert ein nackter Anton als entschärfter Ersatz. Er bewegt sich mit dem Dämon und probiert auch gleich dessen Vogelmaske an. Eine Bereicherung für jedes Bestiarium. Auch Hieronymus Bosch ist indirekt/direkt vertreten; zumindest sein Schauspieler H. Fröhlich. Einmal philosophisch und unergründlich als Obdachloser, einmal als aufbrausender Hieronymus Bosch. Passenderweise wird die Figur durch den Dämon eingeführt. Eine weitere Anspielung? – Es ist das Spiel mit den Identitäten, das an HIERONYMUS BOSCH fasziniert. Genau wie in Boschs Werken ist es schwer, den Figuren im Geschehen tatsächlich habhaft zu werden. Wer ist wer und wer ist was? Das Warum entzieht sich dabei jeglicher Logik, aber es fügt sich harmonisch in den psychedelischen Inszenierungs-Rahmen.
HIERONYMUS BOSCH ist unergründlich, begeistert und unterhält auf anspruchsvollem Niveau; gerade das konstituiert den Reiz. Außerdem spielt das Stück mit seinen pre-surrealistischen Wurzeln; ziemlich emergent also und seiner eigentlichen Zeit weit voraus. Das war auch sein Künstler.
Wer jetzt so richtig Lust auf den „Garten der Lüste“ hat und/oder sich damit auf HIERONYMUS BOSCH einstimmen möchte, dem sei die interaktive Ausstellung darüber ans Herz gelegt. Die ist großartig und wurde bereits „selbstlos“ in Eigenregie getestet. 😉
Fotonachweis: Jan Friese // Schauspielhaus Salzburg
by