I am shapeshifting – ARGEkultur & Shapeshifters Körperkunst

„Weil ich ein Mädchen bin“.

Jasmin Ritupers erstes Solostück I AM SHAPESHIFTING feierte kürzlich Uraufführung an der ARGEkultur. Das multimediale Tanzstück wird auch am dritten Aufführungstag mit stehenden Ovationen gefeiert – Chapeau!

Auf der dunklen überdimensionalen Videoleinwand tauchen kleine helle Punkte auf, die an Sterne erinnern. Die Perspektive fokussiert sich auf einen davon, der zu wachsen beginnt. Assoziationen zu einem sehr persönlichen Urknall drängen sich auf, denn mitten in diesem starken Bild baumelt ein Luftakrobatik Tuch vom Bühnenhimmel. Das ist real und als es leicht zu schwingen beginnt, wird klar, da ist jemand. Ein rotes Vertikaltuch als Kokon in dem sich Jasmin Rituper ausdrucksstark bewegt. Es ist die Geburtsstunde ihres Bühnen-Alter Egos: I AM SHAPESHIFTING erzählt autobiographisch vom steinigen Weg der aus Salzburg stammenden Tänzerin in das professionelle Künstlerdaseins (Regie, Produktion: Alexander Wengler, Tanz: Jasmin Rituper, Kostüm: Norbert Gruber, Musik: tbc).

Die Shapeshifterin

Tatsächlich beginnt J. Ritupers erstes Soloprojekt mit dem jungen Mädchen, das sich auf die großen Bühnen der Welt träumt. Leidenschaftlich tanzt es mit Musical-Melodien durch sein Zimmer und übt den Moonwalk. Der Ausdruck ist kindlich emotional, nur die große Körperbeherrschung enttarnt die professionelle Tänzerin. Auch auf der Bühne wandelt sich die Darstellung; das träumerische Wesen entwickelt sich weiter und driftet nahtlos in adoleszente Unsicherheit und erste Enttäuschungen über – dramatische Melodien akzentuieren die emotionalen Bilder.

Shapeshifter, wir kennen sie, das sind diese Fabelwesen aus der Mythologie, die spielend andere Formen annehmen. In der multimedialen Tanz-Produktion wird das Wesen der Formwandler aufgegriffen und auf den modernen Frauen- bzw. Künstler*innen-Typus appliziert. Die weibliche Tänzerin will sich nicht festlegen lassen – weder im Tanz auf einen Stil, noch in ihrer gesellschaftlichen Position als Frau. Stattdessen schlüpft sie in unterschiedliche Parts und lebt das Shapeshifter Credo, das aus jeder Pore der viel zu kurzen Performance strömt. Dafür experimentiert das Bühnen Ich mit den verschiedenen Tanzstilen, die peu à peu Eingang in die Inszenierung finden. Tatsächlich fließen sie mit Leichtigkeit in die verschiedenen Szenenfolgen und sorgen für eine mannigfaltige Darstellung – Ausflüge an die Poledance-Stange, elegante Akrobatik in luftiger Höhe und Publikums-Improvisation inklusive.

Kommunikative Bildsprache

Das besondere an der multimedialen Produktion ist, dass das Bühnen Ich nicht spricht. Doch auch wenn keine Vokale oder Konsonanten die Lippen von J. Rituper verlassen, könnte I AM SHAPESHIFTING kaum redseliger und erlebnisreicher sein. Multimediale Bilder und musikalische Untermalungen mischen sich mit der Stimme der Performerin, die in verschiedenen Parts vom Band tönt. Die daraus entstehende Symbiose aus Fiktion und Realität führt in ihre Träume und Hoffnungen. Die Einspieler oszillieren zum Spiegel der Gefühle und dechiffrieren die Gedanken der Performerin.  Gerade dadurch haftet den Momenten etwas Intimes und Kostbares an, das das Innerste des Publikums zu berühren vermag.

Wer jetzt denkt, dass SHAPESHIFTING irgendwie nach schwerer Kost klingt, irrt. So ein Leben hat seine Höhen und Tiefen, das trifft auch auf Tänzer*innen zu. Den didaktischen Mehrwert des multimedialen Tanztheaters durchbrechen immer wieder äußerst humorvolle Komponenten. Kleine spielerische Details verleihen I AM SHAPESHIFTING eine gewisse Leichtigkeit, die fasziniert. Dazu tragen auch die multimedialen Einspieler bei, die das Gros der Kulisse stellen und ebenso fesselnd wie innovativ sind. Auf Wunsch werden die Videoanimationen zu „lebenden“ Requisiten, mit denen die Performerin kokettiert. Da wird auch schon mal ein multimedialer Hut auf den mindestens ebenso multimedialen Kleiderständer geworfen; natürlich sitzt der. Aber auch die große virtuelle Zeichnung aus dem Kinderzimmer (einmal Tänzerin sein!) wird später in New York neu an die Wand geklebt. Perfektes Timing und großartige Körperbeherrschung sorgen für den positiven Überraschungs-Effekt. Dafür steigt die Performerin auch gerne aus dem eigenen animierten Schatten und wird zur Figur aus Fleisch und Blut. Eine Shapeshifterin eben.

Die Botschaft von I AM SHAPESHIFTING ist klar: „Glaubt an euch!“ scheint sie den Heranwachsenden und ewig Zweifelnden zuzurufen. Wenn die Nachricht nur einmal auf fruchtbaren Boden fällt, dann steht fest, schöner könnte so ein Abend nicht enden. Dem dürfte sich auch das enthusiastisch applaudierende Publikum anschließen.

 

 

Fotonachweis: Shapeshifters Körperkunst

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