Hilda – theater.direkt & ARGEkultur

Pygmalion war eine Frau

Wenn sich zwei streiten, freut sich nicht immer der Dritte. Michael Kolnbergers HILDA-Inszenierung an der ARGEkultur kann ein Liedchen davon singen: fesselnd!

„Ich mach‘ mir die Welt – widdewidde wie sie mir gefällt“, singt Pippi Langstrumpf fröhlich und tanzt bunt bestrumpft keck durch die eigene Realität. Marie NDiayes legt in ihrem Theater-Erstling HILDA noch etwas nach und befeuert den Welt-Baukasten mit zeitgenössischen Diskursen und politisch-gesellschaftlichem Brennstoff. Diese brisante Mischung inszenierte jetzt Michael Kolnberger mit dem theater.direkt an der ARGEkultur und sorgt für intensive Theaterminuten.

In aller Plot-Kürze

Madame Lemarchand ist steinreich und langweilt sich. Was käme da also gelegener als eine kleine Affäre und ein bisschen Intrige. Auf der Suche nach einem neuen Dienstmädchen begegnet sie dem arbeitslosen Franck und überredet ihn, seine Frau Hilda in ihre Dienste zu schicken. Als Madame Lemarchand aber merkt, dass Franck ihre Avancen nicht erwidert, fährt sie die Krallen aus.

Schaffe schaffe vs. Geld regiert die Welt

Michael Kolnbergers HILDA-Interpretation ist im vordergründig idyllischen Ambiente verhaftet. Dafür wurde die Bühne der ARGEkultur adrett begrünt. Bereits bei Publikumseinlass kniet ein junger Mann in abgeschnittenem Karohemd auf der Graskulisse und bearbeitet sie penibel mit einer, ja, man mag kaum hinsehen, Papierschere (Raum: Arthur Zgubic). Im Hintergrund eine mondäne Dame, die gelangweilt auf der filigranen Gartenbank thront. Kaum fällt der imaginäre Vorhang, ertönen schnelle Rhythmen aus dem Off. Der junge Mann im abgeschnittenen Karohemd ist jetzt in rotes Scheinwerfer-Licht getaucht und lässt lasziv die Hüften kreisen. Rasch wird deutlich – es handelt sich um die Phantasien von Madame Lemarchand (Elisabeth Breckner), richtig, der Frau im Hintergrund. Und die hat allem Anschein nach soeben ihr Auge auf den arbeitslosen Franck geworfen (Jurij Diez).

Teichoskopie irgendwer?!

Dass sich die Kongruenz von arm und reich ausgerechnet im Verhältnis Dienstbote und Herrschaft spiegelt, ist dem sozialen Milieu und der Herkunft der Autorin zuzuschreiben. Die Französin mit den senegalesischen Wurzeln aus den Pariser Banlieues verpackte ihre eigenen Erfahrungen in das poetische Drama rund um Franck und Madame Lemarchand. Michael Kolnberger nimmt die Inkongruenz der Figuren unter die szenische Lupe; als Einstieg fungiert die gelungene Teekränzchen-Farce, in der Franck nach Überwindung der ersten Sprachlosigkeit ein prolliges Wesen offenbart.

J. Diez schlüpft in die Rolle des simpel-gestrickten Mannes, der immer wieder scheinbar verständnislos ins Publikum starrt. Das erhält die Möglichkeit, Franck bei der Verarbeitung der auf ihn einprasselnden Informationen zu beobachten; die Augen sind aber nur scheinbar ausdruckslos, alsbald verraten sie eine gewisse Härte und Habgier. Diese Ingredienzien bilden eine gefährliche Mischung, die irgendwann ihren Weg an die Oberfläche finden wird. Aus dem anfangs zögerlichen „da muss ich Hilda fragen“, wird bei Nennung der richtigen Geldsumme auch schon prompt ein forsches „Hilda wird morgen um Punkt bei Ihnen sein“. Francks Rücksichtslosigkeit nimmt Konturen an und läuft gen Ende des Stücks zur Höchstform auf. Gnadenlos versucht er schließlich Madame mit ihren eigenen Waffen und Corinne zu schlagen (entsprechend aggressiv Marena Weller). Der Partner-Look von Franck und Corinne kündigt da bereits die Auflösung Hildas an.

Der weibliche Pygmalion

Spannend zeigt sich aber auch Madames Charakter. Es ist vermutlich kein Zufall, dass sie den „Verkäufer“ und „Händler“ (im Französischen ‚marchand‘) schon im Namen trägt. Denn genau genommen feilscht sie seit den ersten HILDA-Minuten um die gleichnamige – aber nie anwesende – Hauptfigur. Die viel bemühte junge Frau wird zum Pygmalion-Mythos des Stücks; freilich in invertierter und sozial aufgeladener Form. Hier wird keine Statue verlebendigt, aber dafür eine Person aus Fleisch und Blut in das Ideal von Madame gedrückt; ungeachtet der Schrammen und Blessuren, die sich das unfreiwillige Modell dabei zuzieht und die zu ihrer vollständigen Aufgabe führen. Elisabeth Breckner gibt die schwerreiche, gelangweilte Oberschichten-Dame mit Bravour. Einerseits ist Madame Lemarchand bereits in Hilda verliebt, noch bevor sie ihrer zum ersten Mal leibhaftig gewahr wird. Andererseits oszilliert sie behend zur knallharten Händlerin des Wortes, die voller Standesdünkel um menschliche Rendite feilscht. Da sind neben den koketten Momenten aber auch die verletzlichen vorhanden. In diesen schwachen Minuten Madames lässt E. Breckner hinter die Fassaden und auf die Ängste ihrer Figur blicken. Die linke, reichgewordene Frau voller vermeintlich guter Absichten wird nicht nur zu einer Groteske ihrer selbst, sondern zeigt auch ihre andere Seite.

HILDA ist ein intensives Theaterstück mit vielen gesellschaftlichen und politischen Kontroversen. Die anfangs glorifizierte und im Anschluss beinahe verschwundene junge Frau wird zum Synonym für die Problematiken der Moderne. Da scheint es nur passend, dass sie selbst weder Stimme noch Gesicht erhält und nur in der dritten Person thematisiert wird.  Vielleicht ein Wink mit dem Zaunpfahl – oder eine Einladung zur Personalisierung.

 

Fotonachweis: Piet Six // ARGEkultur

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