Frau Müller muss weg – Schauspielhaus Salzburg

Auf in den Ring… bing, bing!

Eine Komödie die ist lustig, eine Komödie die ist schön: Karin Koller sorgt mit FRAU MÜLLER MUSS WEG am Schauspielhaus Salzburg für jede Menge humorige Unterhaltung und kurzweilige Pointen.

Kürzlich ging ein Bild durch die sozialen Netzwerke und sorgte für Empörung: Die Stage Holding präsentierte stolz den Münchner Veranstaltungsort für FACK JU GÖTHE – SE MJUSICÄL. Jap, der Film vom sympathischen, kriminellen Anti-Lehrer und seinen verhaltensauffälligen Schülern erfreut sich so großer Beliebtheit, dass es nach dem dritten Teil ver-musical-t wird. Auf besagtem Pressefoto ist auch schon das Bühnenbild zu erkennen: eine Turnhalle. Letzteres verursachte natürlich nicht die Empörung. Das erledigten stattdessen die stolzen Stage-Preise, und die Tatsache, dass auf dem Bild sehr viele unbequeme Plastikstühle zu erkennen waren. Was, auf solchen Dingern ein ganzes Musical ausharren? Wer damit ein Problem hat… hey, es gibt eine Alternative! FRAU MÜLLER MUSS WEG in Salzburg. Das Schauspiel punktet nicht nur mit einem ähnlichen Bühnenbild in kompakter Größe (viva la Turnhalle!), sondern zusätzlich mit präzisen Pointen, klugen kulturanthropologischen Beobachtungen und – es muss einfach erwähnt werden – einer bequemen Bestuhlung.

In aller Plot-Kürze

Das Schulende naht für die Volksschüler*innen der 4b mit  großen Schritten – und damit auch ein einschneidender Schritt: Reichen die Noten für’s Gymnasium oder muss eine Alternative her? Die Eltern haben klare Vorstellungen für ihre Sprösslinge, selbstverständlich Gymnasium! Weil der Notenspiegel der 4b aber bedrohlich weit unten vor sich hin dümpelt, beschließen sie einstimmig: Klassenlehrerin Frau Müller muss weg. Entrüstet bricht die kleine Eltern-Delegation auf, um der arglosen Pädagogin ihren Entscheid mitzuteilen. Die ist allerdings alles andere als kooperativ und klärt die besorgten Erziehungsberechtigten über das tatsächliche Verhalten ihrer Sprösslinge auf.

Am Puls der Zeit

Das Schauspielhaus Salzburg springt mit Karin Kollers Inszenierung von FRAU MÜLLER MUSS WEG auf einen kleinen-großen Trend auf: Elternkampfstücke erfreuen sich großer Beliebtheit. Das Setting? Eine Turnhalle, die nicht nur zu sportlichen Leistungen während des Schlussapplauses anspornt, sondern auch schauspielerischen. Die Typen? Ein buntes Sammelsurium aus sämtlichen Stereotypen, die ein Klassenzimmer im Worst-Case-Szenario so hergibt.

Elternrevolution

Das Resultat ist eine temporeiche, eloquente Typenkomödie, bei der die Pointen schon per se nur so fliegen. Dafür wurde der Plot kurzerhand im lokalen Milieu angesiedelt: Statt bundesdeutschem Ost-West-Gefälle lebt die liebevoll gehätschelte Deutschland-Österreich-Inkongruenz auf  – das sorgt für einen adretten regionalen Touch und Publikumsnähe. Für das optimal dosierte Maß an Pfiff und Schwung ist das engagierte Ensemble zuständig (Ausstattung: Gernot Sommerfeld, Dramaturgie: Theresa Taudes, Licht: Thomas Finsterer).

Als Eltern-Rudel-Führerin kennt Jessica Höfel (Christiane Warnecke) keine Gnade. Es geht hier schließlich um die Zukunft ihrer Tochter. Dass die schon als Neunjährige auf unlautere Mittel setzt, stört die enervierte Business-Frau mit dem schnippischen Mundwerk (von irgendwoher muss es die Tochter ja haben) wenig. Christiane Warnecke legt die stereotype Karrieremutter wunderbar erfolgsverbissen, durchsetzungs- freudig, kalkulierend und kühl an. Gnadenlos schreit sie nach Absetzung von Frau Müller – mindestens genauso unnachgiebig wie sie später, nach dem unerlaubten Blick in die Notenliste, das Bleiben von Frau Müller einfordern wird. Alles andere als nüchtern sind da schon Marina Jeskow (Ute Hamm) und ihr Mann Patrick (Bülent Özdil). Eben erst aus München zugezogen, wollen sie nur das Beste für ihren Liebling Lukas. Dass der kein Opfer ist, sondern vielmehr Täter, stößt der Münchner-Exil-Schickeria übel auf. Wie aus dem Nichts verwandelt sich die biedere Hausfrau mit dem Überlegenheits-Hang in eine rasende Löwin, die sehr körperlich reagiert und gerade noch so von ihrem Ehemann domptiert werden kann – indem er ihr Hals über Kopf nachstürzt und sie festhält. Niemand beleidigt ungestraft Marinas Augenstern. Etwas sachlicher betrachtet Lukas‘ Vater die Chose. Wunderbar ironische Kommentare, von Bülent Özdil lapidar gestreut, ziehen den Zorn der Frau auf sich, und kochen im Laufe des Abends über. Wer hätte gedacht, dass hinter der adretten Hausfrauenfassade so viele Emotionen lauern? Harmonie bedürftig hingegen scheint die Mutter von Klassengenie Fritz: Katja Grabowski (Juliane Schwabe) hat nicht nur ein Blumensträußlein dabei, sondern achtet generell auf den richtigen Ton. Nun ja, bis es ihr selbst zu bunt wird und sie quer durch die Turnhalle brüllt. Chapeau für so viel spontane Lunge. Apropos! Im Schreien ist auch Janines Vater Wolf Heider (Frederic Soltow – der dazu passenderweise immer die optimale Gesichtsfarbe annimmt) ganz groß. Ein komplett konträrer Typ hingegen Frau Müller (Susanne Wende): Konzipiert als stereotype Volksschullehrerin mit Hang zu rosaroter Hippie-Kleidung, Kuschelpädagogik und roten Wangen trügt ihr harmonisch-chaotischer Schein. Als die Eltern mit ihren Vorwürfen Stellung beziehen, teilt Frau Müller nach kurzem Innehalten gnadenlos aus.

Liebe zum Detail

Wunderbar sind die kleinen, aber sehr feinen Details, mit denen die Schauspieler*innen ihre Rollen akzentuieren. Susanne Wende erzeugt die liebenswürdige Fahrigkeit ihrer Figur mit humoresken Feinheiten wie einem Nasenspray, der die Nase verfehlt, oder einem Hustenbonbon, das immer wieder zum Sprechen aus dem Mund genommen wird. Frau Müllers Rage erhält durch ihr plötzlich selbstbewusstes Auftreten mindestens ebenso viel Authentizität, wie das danach durchschimmerende Harmoniebedürfnis. Bülent Özdil zupft an Patricks gutbürgerlichen Daunenjacke herum, ehe er auf Krawall gebürstet seiner Frau Marina in den Rücken fällt und den Notenspiegel für die 4b mit ungeahntem körperlichen Einsatz an sich zu reißen versucht. Christiane Warnecke steht als Business-Frau Jessica Höfel ständig unter Strom: Hibbelig tigert sie durch den Raum, fährt sich immer wieder energisch durch die Frisur oder greift zum Handy. Als Fritz‘ Mutter versteckt sich Juliane Schwabe vor Marinas Attacke verschreckt hinter der Sprossenwand, während Wolf Heider selbstsicher durch den Raum stapft und mit lauter Stimme das Recht für Tochter Janine einfordert.

Kinder, Kinder

Kindsein ist nicht leicht, Elternsein noch weniger – Karin Koller demonstriert das recht anschaulich mit ihrer locker, leichten Inszenierung. Nach und nach enthüllen die Eltern ihre wahren Gesichter. Das klingt zwar kitschig, ist aber Teil des amüsanten Plot Twists mit herrlich subtiler Schlusspointe. Denn eigentlich geht es hier natürlich vor allem um die Eltern und ihre Ambitionen: Und die demaskieren sich in der finalen Szene als Spiegelbilder ihrer Sprösslinge kurzerhand selbst. Frau Müllers letzte Rede wird gerade deshalb zum kunstvoll zelebrierten Konzert an Unaufmerksamkeiten, dass es eine Augenweide ist (oder eben eine zum Hören). Nur den ‚Bonustrack‘ – vermutlich eine Ergänzung zum eigentlichen Stück – der erschließt sich dann doch nicht so ganz. Aber hey, vielleicht ist die spontane Tanz-Einlage auch einfach nur so eine Art gelebte Eltern-Katharsis – und die haben sich die Erziehungsberechtigten nach so viel emotionaler Achterbahn auch redlich verdient. 😉

 

 

Fotonachweis: Jan Friese

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