Meine Stille Nacht | Salzburger Landestheater

Meine stille Nacht – Salzburger Landestheater

ROMCOM IS IN THE AIR.

Uraufführung in der Felsenreitschule. Andreas Gergen inszenierte für das Salzburger Landestheater MEINE STILLE NACHT, die musicalische Maßanfertigung von John Debney. Happy 200st Birthday, „Stille Nacht“.

Die Korken knallen jetzt auch am Landestheater Salzburg, das in der Felsenreitschule anstößt. 200 Jahre „Stille Nacht“ – anlässlich des Jubiläums ließ man sich nicht lumpen und spendierte Joseph Mohr und Franz Xaver Gruber ein eigenes Musical: MEINE STILLE NACHT. Wer jetzt Schnapp-Atmung bekommt und eine Verkitschung der Entstehungsgeschichte befürchtet, darf durchatmen. Auf den ersten Blick spielt das berühmte Lied nur eine kleine Nebenrolle. Auf den zweiten dominiert es mit Mohrs zeitloser Friedensbotschaft alle Ebenen.

In aller Plot-Kürze

Justin ist 29 Jahre und ziemlich unzufrieden mit sich und der Welt. Deshalb beschließt er, den Sprung über den großen Teich zu wagen. Im beschaulichen Salzburg wohnt seine erste Flamme Lizzy, der er auch ein halbes Leben später noch nachtrauert.  Tatsächlich wird Justin in Salzburg fündig. Lizzy nennt sich jetzt Elisabeth und hat keine Ahnung, wer da vor ihr steht. Ehe sich Justin versieht, lässt er sich von Elisabeths Zukünftigem als Chorleiter engagieren. Aufgrund seines Hangs zu moderner Musik steht der Chor im erzkonservativen Salzburg bald ohne Chorkinder da. Nur Johanna hält wacker die Stellung. Gemeinsam mit Elisabeth machen sich die drei auf und suchen auf der Straße nach neuen Talenten. Inzwischen intrigiert der rechtslastige Verlobte und auch Elisabeths Mutter, die Baronin, mischt sich nur zu gerne in das Leben ihrer Tochter ein.

Opulent und modern: MEINE STILLE NACHT

Die Felsenreitschule bietet eine imposante Kulisse, die Andreas Gergen angenehm reduziert bespielt. Meine Stille Nacht | Salzburger LandestheaterWenige Requisiten pflastern den Verlauf der Inszenierung und auch das Bühnenbild besitzt reichlich Platz zur Entfaltung. Gleichzeitig bricht das Setting mit dem altehrwürdigen Ambiente der heiligen Kulturhalle. Vor den dreistöckigen Arkaden finden sich überdimensionale Leinwände, über die moderne Stadtansichten und (live) Animationen flimmern. Tourismus-Werbung und Product Placement (mmhhh, Fürst Mozartkugeln) all inklusive. Sehr gelungen auch die Fortsetzung des Bühnenbilds. Videoprojektionen verschwimmen mit der Realität, wenn aus dem Leinwand-Flugzeug tatsächlich Menschen entsteigen oder die Statuen aus dem Mirabellgarten zum Leben erwachen. Bereits an dieser Stelle fällt auf: Diversität und Frieden sind die großen Themen MEINER STILLEN NACHT und greifen sogar auf das Bühnenbild über (Bühne und Videodesign: fettFilm, Lichtdesign: Richard Schlager, Sounddesign: Nenad Milosavljevic).

Broadway in Salzburg

Kim Duddy (Choreografie) nutzt das Potential der Felsenreitschule für Ensemble-Szenen im amerikanischen Stil.Meine Stille Nacht | Salzburger Landestheater Groß, greller, Broadway. Weil aufgrund der gefühlt unendlichen Bühnenweite aber ein achtköpfiges Ballettensemble restlos untergehen würde, darf es auch ein bisschen mehr sein. Mit ins elegante Getümmel werfen sich Protagonisten, Musical Ensemble, Chor, Extrachor, Statisterie und Kinderchor x 2, die klug integriert wurden und ein homogenes Ganzes bilden. Da ist es wieder, das tolerante Nächstenliebe-Thema, das zu paradigmatischer Hochform aufläuft. In starkem Kontrast dazu das ins Erzkonservative gerückte Salzburg, das in Sascha Oskar Weis einen ölig-wortgewandten Vertreter findet. Seine dialektale Paraderolle beherrscht Weis wunderbar und verleiht ihr einen gelungenen antagonistischen Anstrich. Lodenjanker und Steppjacke komplettieren den rechten Eindruck.

Mi Dialekt es su Dialekt

Wer eine Varietät beherrscht und die richtige Rolle spielt, darf sie sich in MEINE STILLE NACHT frei von der Seele plaudern.Meine Stille Nacht | Salzburger Landestheater Zu den Glücklichen zählt Melanie Maderegger, die frisch drauflos schnattert. Sie ist die Quotenösterreicherin im Team Problem-Jugendliche. Auch an dieser Stelle greift die Botschaft von Mohrs „Stille Nacht“. Da ist Dom (Savio David Byrczak) aus Nigeria, das heimatlose Geschwisterpaar Amal und Mira (Leonhard Radauer und Elisa Afie Agbaglah) aus Syrien, die kratzbürstige Transfrau Vi (Ivan Vlatković mit beneidenswertem Catwalk-Potential) und der auf Krawall gebürstete Sam (Julius von Maldeghem). Gemeinsam komponiert das liebenswerte Außenseiter-Grüppchen ein neues „Stille Nacht“, das sie rappend, laut und authentisch zum Besten geben. Immer mit dabei, das hochmotivierte Mozarteumorchester Salzburg, das elegant durch das bunte Repertoire begleitet (musikalische Leitung: John Debney/ Robin Davis).

Niedliche Schafe und zuckerbergende Verliebte

Regina Schill (Kostüme) kreierte für MEINE STILLE NACHT einen leuchtenden Farbreigen, der in allerliebsten Schafkreationen kulminiert. Freilich empfanden das die etwas älteren Schafe vermutlich tendenziell als weniger glorreich.Meine Stille Nacht | Salzburger Landestheater Auf den im Anschluss euphorischen Ausruf einer Zuschauerin: „Du bist das beste Schaf, dass ich je gesehen habe“, reagierte die jugendliche Angesprochene verlegend lächelnd. Mit Milica Jovanović und Dominik Hees als Elisabeth und Justin hat Andreas Gergens Inszenierung sein hollywoodreifes Traumpaar gefunden, das noch dazu stimmlich den Musical-Anforderungen des massiven Raums entspricht. Den Romcom-Faktor bedienen die beiden großartig, allerdings bricht das Buch (Hannah Friedman) mit ungeschriebenen Drehbuch-Gesetzen. Dementsprechend hätte es ruhig mehr Zündstoff zwischen Elisabeth und Justin geben dürfen. Stattdessen ‚zuckerberged‘ Justin seinen Kindheitsschwarm – oder für Nicht-Jugendsprachler, er stalkt sie. Das ist, zugegeben, latent pathologisch. Findet Elisabeth auch und geht, wer mag es ihr verdenken, auf Distanz.

Gruß aus der Vergangenheit

Bettina Mönch wird des Öfteren auf zickige, maliziöse Rollen festgelegt. Wer mag es der Regie verdenken, beherrscht die Darstellerin das Profil zur Perfektion. Entsprechend begeistert Mönch auch als garstige Baronin, Elisabeths Mutter.Meine Stille Nacht | Salzburger Landestheater Die Standesdünkel sitzen und das Solo auch: Stimmstark überstrahlt sie mit ihrer ironischen Eloquenz sogar die typisch amerikanischen ‚good guys‘. Als junge Lizzy und junger Justin bringen Maria Straßl und Paul Stein die Vergangenheit auf die Bühne und machen sie greifbar. Hier wird nichts der Imagination überlassen. Besonders gelungen, Justins verlegenes Lachen, mit dem er all seine Sätze an Lizzy beendet.

MEINE STILLE NACHT rollt den Zauber des bekannten Weihnachtsliedes auf und interpretiert die Friedensbotschaft neu auf die eigene Zeit angewandt. Die kommt zwar sehr amerikanisch lieblich daher, sorgt aber für einen Hauch von Broadway in der Felsenreitschule. Eine spannende Kombination, die für heitere Momente und ein sehr weihnachtliches Romcom-Musical sorgt.

 

Fotonachweis: Anna-Maria Löffelberger

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