Heute Abend: Lola Blau

Wien bleibt Wien … – „Heute Abend: Lola Blau“ am Landestheater Salzburg.

Georg Kreisler kennt jeder. Oder zumindest fast jeder. Aber auch gewusst, dass er einst ein Musical schrieb? Nein? Dann sind wir in bester Gesellschaft. Dabei ist „Heute Abend: Lola Blau“ absolut sehenswert und das nicht nur für alle Kreisler-Connaisseurs oder im Frühling exzessiv „Tauben vergiften im Park“-Hörer*innen.

Das Ein-Frau-Musical erzählt die fiktive Geschichte der jungen jüdischen Sängerin (na? Genau!) Lola Blau, die 1938 vor den Nationalsozialisten über die Schweiz nach Amerika emigrierte. HEUTE ABEND: LOLA BLAU könnte sich kaum harmonischer in den zeitgenössischen Kontext einfügen, wo sich einmal mehr dutzende Menschen quer durch Europa kämpfen und neben Hilfe und Mitmenschlichkeit leider auch xenophobe Ablehnung erfahren.

In Salzburg wurden die musicalischen Stationen der jüdischen Künstler-Flucht von Marco Dott inszeniert und mit Hanna Kastner fabelhaft besetzt (musikalischer Leiter: Adrian Suciu, Bühne und Kostüme: Eva Musil). Es ist H. Kastners erstes Solo-Musical und ihre Leistung erstaunlich. Mit unglaublich viel Einfühlungsvermögen und Verve spielt sie sich gemeinsam mit Adrian Suciu am Klavier durch einen ereignisreichen Musicalabend.

Lola Blaus ist naiv, sorgenfrei und voll übersprudelndem Enthusiasmus, steht sie doch vor ihrem allerersten Engagement in Linz. Die Ängste des bereits auf dem Weg nach Prag fliehenden Onkels belächelt sie nachsichtig. Erst als sie ihre große Liebe Leo anruft und auffordert, sich sofort und am besten noch gestern in Basel zu treffen und das Theater ein Telegramm schickt, um ihr Engagement aus antisemitischen Gründen abzusagen, erkennt auch die Sängerin den Ernst der Lage und den nicht mehr zu ignorierenden Antisemitismus. Vom unbeschwerten jüdischen Wiener Mädel trifft sie auf die harte Realität. Der Fall ist bitter und schmerzhaft. Als Jüdin ist sie nicht länger willkommen im eigenen Land, das vermittelt ihr auch die schattenartige Vermieterin recht eindrücklich. ** [Im freundlichen Plauderton] Weil man sich ja so gut verstehe, verstünde das Fräulein sicher auch, dass sie nicht länger in diesem Zimmer bleiben könne und weil sie ja ohnehin morgen schon ausziehen wolle, solle sie das doch bitte bereits heute tun und das dann bitte innerhalb einer Stunde und weil man sich so gut verstehe [der Zuckerüberzug verschwindet aus der anonymen Stimme], verstünde dass das Fräulein sicher auch, und sie wolle ja sicher nicht, dass man die Fremdenpolizei verständige, oder? ** Entsprechender Einspielungen aus dem Off evozieren ein divergentes Schattentheater und Stimmengewirr, das nicht nur Historizität vermittelt, sondern eine anonyme Masse auf der Bühne zum Leben erweckt, ohne tatsächlich physisch greifbar zu werden. H. Kastner kommuniziert mit ihnen, ohne tatsächlich mit ihnen zu kommunizieren, das Resultat ist großartiges Theater. Im Laufe ihrer Flucht altert die Sängerin, wenngleich nicht vordergründig optisch, so doch vokal und mental. Am Bahnhof in Basel versetzt, hat sie ihre Naivität spätestens in Amerika vollends eingebüßt und heuert in diversen Nachtclubs an. Resigniert und desillusioniert mimt sie die Femme fatale, ihre stimmlichen Qualitäten passen sich scheinbar mühelos den jeweilig geforderten Facetten und Färbungen an. Das Publikum wohnt der Entwicklung von Lola Blau bei und wird Zeuge ihrer Melancholie. Euphorie sprudelt immer seltener an die Oberfläche, Tabletten, Alkohol und Verbitterung werden zu Lola Blaus neuen Begleitern, die mit dem Ruhm einhergehen. Schließlich kehrt Lola für ihre einstige Liebe nach Wien zurück, doch bereits auf der Schiffspassage lässt sich erahnen, dass sich in der alten Heimat nicht viel geändert hat (wunderbare Einspielung des Berliners) und immer noch die Ewiggestrigen in Wien regieren.

Besonders köstlich sind in der Salzburger Inszenierung die kabarettistischen Einlagen der Ein-Frau-Musical Protagonistin. H. Kastner schlüpft mühelos in alle Parts, wenn sie sich um eine Rolle beim „Herrn Direktor“ am Theater bemüht. Nur der jiddische Akzent bleibt ausbaufähig, Jiddisch ist kein exaltiertes Wienerisch.

Großartiges Spiel auf allen Ebenen ist das Resultat des gelungenen Musicalabends und ein vor Freude jubelndes Publikum. Georg Kreislers Texte sind (wie immer) geschickt verpackte, böse, melancholische und unglaublich pointierte Resümees, die den Kern der Zeit treffend widerspiegeln. H. Kastner serviert diese Sprachspiele eloquent und mit unglaublich viel Charme und Empathie, ohne dabei ins Schwitzen oder Straucheln zu geraten. Das spricht für die Sängerin und ihr erstes Solo-Stück. Applaus!

Fotonachweis: Anna-Maria Löffelberger // Landestheater Salzburg

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