Das burleske Spiel vom Sterben des opportunistischen Mannes.
Was geschieht eigentlich, wenn man zu oft vom Konformismus nascht? Peter Raffalts Inszenierung BIEDERMANN UND DIE BRANDSTIFTER zeigt es am Schauspielhaus Salzburg vor: ironisch, intensiv und schaurig-schön.
Max Frisch widmete der Otto-Normalverbraucherversion des pompösen Jedermanns – dem einfachen Biedermann – ein ganzes Stück. Nun ja, eigentlich sind es sogar mehrere, inkludiert man die Texte seines Oeuvres, in denen er das Sujet bereits vorab durchspielte. Frisch wusste, was er tat, als er „Biedermann und die Brandstifter“ schuf und fuhr alle Mitteln der literarischen Kunst auf. Peter Raffalt wusste es ebenfalls, als er das Drama für das Schauspielhaus Salzburg inszenierte und die solide Grundausstattung mit zeitgenössischem Ornat ergänzte.
Biedermann und die Brandstifter
In Gottlieb Biedermanns idyllischem Städtchen steht die Welt Kopf. Brandlegende Hausierer treiben ihr Unwesen; sie nisten sich auf den Dachböden ahnungsloser Bürger ein und lassen die Häuser anschließend in Rauch und Asche aufgehen. Das stimmt Gottlieb Biedermann naturgemäß wütend; eifrig wettert er gegen die Unbekannten. Als eines Tages der obdachlose Ringer Schmitz vor seiner Haustür steht und um Asyl auf dem Dachboden bittet, schließt er allerdings die Augen vor der Realität. Großzügig ignoriert er alle Warnungen. Wenn man sich nur lange genug das Gegenteil einredet, wird das Unheil schon nicht eintreffen. Biedermann ist ja ein guter Mensch und denen widerfährt bekanntlich nichts Böses. Auch dann nicht, wenn sich inzwischen bereits der zweite Pyromane bei ihm einstellte und die ersten Benzinkanister auftauchen. Dann bitten die beiden Brandstifter Biedermann sogar noch um Streichhölzer…
Szenischer Farbreigen
Das Regiekonzept Peter Raffalts tritt in Frischs Spuren und speist sich primär aus der ironisch burlesken Übersteigerung sämtlicher Bereiche (Kostüme: Elke Gattinger, Musik: Matthias Jakisic, Dramaturgie: Christoph Batscheider, Licht: Marcel Busa). Da ist das Bühnenbild (Vincent Mesnaritsch), das minimalistisch auf eine farblich bespielbare Wand und die allerwenigsten Requisiten reduziert wurde. Das haut rein – vor allem dann, wenn das Farbkonzept absolut konform damit funktioniert. So dominiert in Biedermanns privatem Bereich das grüne Schema. Grün wie die Hoffnung – die Analogie liegt nahe. Allerdings ist es ein trügerischer Hoffnungsschimmer, das wird auch bei Raffalts Inszenierung rasch deutlich. Rot begleitet hingegen die Brandstifter. Die roten Töne werden nicht nur an die Wand projiziert; die verschiedenen Nuancen der Farbfamilie spiegeln sich wie bei den Biedermanns auch in der Kleidung der Pyromanen. Als die Situation zu eskalieren droht, changiert die Farbe vom behaglichen Grün des Wohnzimmers zum aggressiven Rotton. Ein fatales Signum und Teil einer großartigen Anspielungspalette.
Freeze, Ensemble, Freeze: die Mannequin-Challenge
Zum übersteigerten Bühnenbild gesellt sich alsbald eine unaufdringliche musikalische Komponente. Die treibt das visuell-ironische Spiel eine Stufe weiter; dramatisch klassische Klänge tönen zu den Szenenwechsel aus dem Off und steigern sich im Volumen. In der Schluss-Sequenz könnte sogar Orffs ‚O Fortuna‘ einpacken – jetzt geht BIEDERMANN UND DIE BRANDSTIFTER melodiös in die Vollen. Das ist zwar ohrenbetäubend, aber homogen. In die selbe Kerbe schlägt P. Raffalt mit den menschlichen Schattenschnitten: bei jedem Wechsel oszilliert das Ensemble zu Standfiguren (im hippen Vlogger-Slang vermutlich ‚Mannequin-Challenge‘). Kettenrasseln kündigt den Fall des Vorhangs an, immer wieder tickt eine Uhr; es ist die symbolische Zeit, die Biedermann zwischen den Finger zerläuft und sich nicht stoppen lässt.
Mit viel Gespür für die Schattierungen seiner Figur mimt Marcus Marotte den zum Untergang geweihten Gottlieb Biedermann. Gelungen transportiert er dessen Ignoranz und lässt ihn an starker Fehlwahrnehmung laborieren. Fast schon möchte Mitleid aufkeimen mit dem bisweilen naiv wirkenden Haarwuchsmittel-Unternehmer. Doch dann ist da ja noch seine dunkle Seite. Ganz im Faust’schen Stile („zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust!“) biedert er sich als angeblicher Gutmensch beim Brandstifter-Duo an, gleichzeitig verdammt er seinen Erfinder Knechtlein zum Suizid. Anders als Jedermann – der gerade noch rechtzeitig Reue tut, kann sich Biedermann nicht besinnen („Gott lieb-t“ in vermutlich spätestens ab diesem Zeitpunkt nicht mehr). Sein Teufel ist allerdings auch weniger im Hofmannsthal-Modus als im Goethe’schen Faust-Schema unterwegs: mephistophelisch lautet die Maxime des Schmitz‘. Die zelebriert Frederic Soltow mit Verve. Und wieder ist sie da, die bei BIEDERMANN favorisierte ironische Übersteigerung. Diesmal trägt sie karikierende Züge: Mit Hang zu großen Gesten agiert der burleske Pyromane, der auch gerne schallend lautes Gelächter und obszöne Gesten von sich gibt. Spätestens an dieser Stelle wird es latent sexuell. Wüst betatscht der unsensible Schelm Biedermanns Gattin Babette (Susanne Wende), ehe er von ihr ablässt und damit vorerst auch das sexuelle Gebaren des Stücks einstellt. Gegen Ende hin flammt es neuerlich kurz auf; ein scheinbar recht willkürlicher Akt… Schmitz und sein Kumpel Eisenring (Magnus Pflüger) vergehen sich am Dienstmädchen (Magdalena Oettl). Eine Szene, die in dieser Drastik tatsächlich nicht nur ziemlich derb, sondern auch höchst redundant scheint. Schmitz und Eisenring würden auch ohne den Quoten-Aufreger ein unheimliches Duo ergeben; während der eine mephistophelisch heiter auftritt (Schmitz), wirkt der andere diabolisch durchtrieben (Eisenring). Offen gestehen sie ihre niederen Absichten ein, aber niemand hört ihnen zu. Das heißt, doch, Dienstmädchen Anna leistet Widerstand; herrlich aufmüpfig und bockig liegt sie ihrem Herrn von Anfang an in den Ohren. Wieder dominieren die karikierenden Momente, wenn Anna mit großen Gesten in den Raum stürzt, dramatisch einfriert oder halbe Kulissen spielend abträgt. Moral erhält bei diesen Gelegenheiten ihr ironisches Moment.
Auch Babette erkennt die Gefahr und lässt sich trotzdem von Biedermann bereden. S. Wende zeichnet eine oberflächliche Frauenfigur, die genauso dem Opportunismus frönt wie ihr Gatte. Das Ergebnis ist fatal, da nutzt auch der synchron tönende antikisierende Feuerwehr-Chor (Antony Connor, Ute Hamm, Moritz Grabbe) nichts mehr. Der warnt zwar beständig und weist noch eindringlich darauf hin, dass es bei Biedermanns nach Benzin rieche, aber längst schon hat der Hausherr endgültig seine Augen vor der Realität verschlossen.
Elitäres Namedropping
Frisch geizte bei seinem berühmten Drama nicht mit einem breiten heiteren Anspielungstableau. Deshalb lässt sich das burleske Spiel vom Sterben des opportunistischen Mannes auch so fein an. Brecht, Goethe, Hofmannsthal – es ist eine Metaebenen-Wohltat mit garantiertem Wiedererkennungsfaktor. In letzter Abendmahl-Manier wird der Tisch, der plötzlich auf Benzinkanistern steht, gedeckt. Schmitz verkleidet sich im Laufe des Diners als Geist, der von seinen „Jedermann“-Rufen in „Biedermann!“ abdriftet. Auch das nachträglich hinzugefügte Nachspiel Frischs fand seinen Platz. Biedermann und Babette fahren auf direkten Weg in die Hölle und verweigern sich einmal mehr den Tatsachen. Sie haben sich doch immer an die Zehn Gebote gehalten, sie können nur im Himmel sein. Die Geräusche-Kulisse gemahnt allerdings vielmehr an Dantes Inferno und dessen berühmte Höllenkreise, Babettes letzte Worte an Faust: „Sind wir gerettet?“. Allerdings fehlt die Einsicht eines Gretchens, die sich noch eilig Gott übergibt. Babettes Frage wird deshalb zu einem invertierten mephistophelischen „Sie ist gerichtet!“. Die Stimme von oben bleibt aus.
Ist BIEDERMANN UND DIE BRANDSTIFTER jetzt also wirklich ein „Lehrstück ohne Lehre“, wie es der Untertitel propagiert? Natürlich nein. Gerade durch die offizielle Absage des Autors erhält das Drama seine ganz eigene Moral. Dass die mit so geballter Kraft einzuschlagen vermag, verdankt sie nicht zuletzt der zeitgenössischen adaptierten Inszenierung von P. Raffalt. Aber auch den ewig gleichen Fehlern der Menschengeschichte, die nicht dazuzulernen scheint und denen BIEDERMANN seine entwaffnende Aktualität verdankt. „Und der Haifisch, der hat Zähne…“
Fotonachweis: Jan Friese // Schauspielhaus Salzburg
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