CALIGULA: B. Becker

Caligula – Landestheater Salzburg

EXPERIMENT GELUNGEN, KAISER TOT.

Der römische Monarch Caligula will die Sinnlosigkeit des Lebens beweisen: John von Düffel und Marike Moiteaux inszenierten Camus‘ CALIGULA am Salzburger Landestheater als melancholisch-explosive Parabel mit starken (Sprach)Bildern.

„Schwachkopf,“ entlädt sich Caligulas Unmut in Richtung Patricius, ehe wieder das penetrante Handy-Läuten die Stille im Zuschauerraum durchbricht. „Schwachkopf,“ setzt Ben Becker in seiner Rolle als Caligula einmal mehr an, tritt nach vorne und brüllt ins Publikum, „schalte endlich den Scheiß aus!“. Diese kleine Szene ist so unerwartet wie paradigmatisch für John von Düffels und Marike Moiteaux‘ CALIGULA-Inszenierung. Obwohl nicht im Text, autokratisches Rollenbild hin oder her, steht die Mini-Szene für die (un)endlichen Symbiosen, auf die das Regie-Team bei Albert Camus‘ Drama setzt.

In aller Plot-Kürze

Die Nachricht vom Tod seiner Geliebten und Schwester Drusilla trifft den jungen und bis dahin gemäßigten Herrscher Caligula zutiefst. So tief, dass er die Sinnlosigkeit der menschlichen Existenz erkennt. Um auch seine Untertanen in den Genuss dieser Weisheit zu bringen, stellt er sie grausam auf die Probe. Der enthemmte Cäsar beginnt wahllos zu morden, vergewaltigen, Geld zu raffen, kurzum sein Volk zu quälen. Leiser Unmut erhebt sich und findet seinen Höhepunkt in der Ermordung des verhassten Monarchen. Experiment gelungen, Kaiser tot.

Entzeitlichte Entschleunigung

Albert Camus schrieb sein erstes großes Bühnenstück unter dem Eindruck von Faschismus und Kommunismus. Es wäre ein Leichtes, das Drama deshalb dem maßlosen Willen zeitgenössischer Egomanen unterzuordnen. Putin, Trump & Co scharen bereits in den Startlöchern. Genau da liegt aber auch das Problem. In CALIGULA steht kein chauvinistischer Autokrat im Fokus, sondern eine halb-philosophische, halb-parabelhafte Figur. Von Düffel und Moiteaux heben das grausame Geschehen rund um Caligula eine Stufe höher und entzeitlichen es auf wohltuende Art und Weise. Irgendwo zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft pendelt dieser von absoluter Freiheit getriebene alte-neue Herrscher, der seine Macht missbraucht, um an den ahnungslosen Untergebenen ein Exempel zu statuieren.

Mediale Verstärkung

Laut und omnipräsent tönen die verstärkten Stimmen über die Bühne (Bühne und Kostüm: Eva Musil, Musik und Video: Phillip Hohenwarter). Drusilla ist tot, der Kaiser verschwunden. Abgehackte Bilder vom benachbarten Mirabellgarten kreieren einen gelungenen Stilbruch. Das Barock dient als Brücke in die römische Vergangenheit, der Cäsar irrt im weißen Wallemantel durch die projizierte Kulisse. Sekundenschnelles Bildflimmern erzeugt ein futuristisches Setting. Letzteres trifft auch auf den Chor zu, der Caliguals Grausamkeit im sakralen Modus blechern beschwört. Die Bühne selbst ist auf das Nötigste reduziert. Ein Stuhl, ein mit Wasser gefülltes Becken und eine Spiegelwand. Weniger ist mehr und die puristische Redundanz gewährt dem intensiven Stoff zusätzlichen Raum. Keine Ablenkung möglich. Genauso sparsam werden die Bewegungen des Ensembles eingesetzt. Schnelle Gänge, eilige Auf- und Abtritte – Fehlanzeige. Langsam und wohlüberlegt entfaltet sich das Geschehen.

Gut gebrüllt, Löwe

Dass der Inszenierung etwas eminent Melancholisches anhaftet, liegt zum Gros am tieftraurigen und wütenden Caligula. Ben Becker mimt den aus dem Ruder gelaufenen Herrscher mit pathologisch-verzweifelten Zügen. Statt sinnlos herumzubrüllen, akzentuiert er die feinen Nuancen der gebeutelten Herrscherfigur. Es geht Caligula nicht um Geld und Ruhm, wenn er willkürlich rauben, morden oder vergewaltigen lässt: Der Kaiser will seinem Volk zu Freiheit verhelfen. Dass die eigene absolute Freiheit aber nicht möglich ist, ohne die der anderen zu beschneiden, demonstriert er recht eindrücklich – oder eben raubend, mordend und vergewaltigend. Gut, über Caligulas Methoden kann man streiten, nicht aber über Ben Beckers gelungene Darstellung. Einmal laut, einmal leise, jähzornig oder durchtrieben sanft, aber immer intensiv – dieser Caligula nimmt sich, was er möchte und das auf seine ganz eigene Art und Weise. Mitunter haften dem Ganzen narzisstische Züge an. Wie der schöne Sohn von Flussgott Kephissos betrachtet sich Caligula im Spiegelbild des Wassers und führt melancholisch-philosophische Zwiegespräche. Zur Glückseligkeit verhilft ihm seine Ermordung – beinahe erleichtert ertönt die finale Erkenntnis in „Faust“-Manier. Nur dass hier keine Stimme von oben mit „Ist gerettet“ ertönt, sondern ein sehr irdisches „Ich lebe immer noch“.

Holla, die Ensemble-Fee

Für die entrückte Zeitlosigkeit zeichnet sich auch das Kostümbild (Eva Musil) verantwortlich. Ironische Züge attestiert es der Produktion mit Caligulas weißem Auftreten. Die Farbe der Unschuld könnte keinen größeren Kontrast zur mordenden, verzweifelten Sinnsuche seines Trägers darstellen und kreiert ein gelungen paradoxes Moment. Die restlichen Kostüme verharren im Zeitgenössischen; bei Helicon (Elisa Afie Agbaglah) wird es latent dominahaft. Vielleicht aber auch ganz einfach nur futuristisch. Die rachsüchtige Ex-Sklavin hat sichtlich Spaß am Denunzieren. Der emsige Patricius (Christoph Wieschke) hadert mit dem Spott und Hohn, mit dem ihn der autokratische Monarch reichlich bedenkt. Irgendwann im Laufe des Stücks büßt er seine Hose ein und irrt fortan als getriebener, ebenfalls rachsüchtiger Finanzler über die Bühne – um das eigenen Rückgrat scheint es dabei nicht sonderlich weit bestellt. Mehr davon besitzt überraschenderweise Scipio (Tim Oberließen). Der Schreiberling und Literat, der von Kopf bis Fuß mit Zeilen eingedeckt ist, hadert zuerst und handelt später; dem Absurden dicht auf der Spur. Die Erkenntnis hinter Caligulas perfidem Plan besitzt nur Caesonia. Nikola Rudle legt sie demütig, ja, gar  unterwürfig an. An unerwarteten Stellen lässt sie aber doch Härte aufleuchten. Das verleiht Zuversicht, die Menschheit ist noch nicht dem Untergang geweiht. Caesonias Abgang ist stark – und bleibt hoffentlich ohne osteophatischen Konsequenzen für die Schauspielerin.

 

Fotonachweis: Christina Baumann-Canaval

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