Dantons Tod – Schauspielhaus Salzburg

Ma­de­moi­selle Guillotine Wants You!

Mit Büchners politischem Drama DANTONS TOD startet das Schauspielhaus Salzburg in seine neue Spielzeit. Und erntet Begeisterung.

Saison-Auftakte am Schauspielhaus sind imposant. Nicht kleckern, sondern klotzen lautet die Devise. Und deshalb wird auch 2016/17 nicht mit den eigenen Vorzügen gegeizt. Neuerlich wurde zur Eröffnung der aktuellen Spielzeit ein deutscher Klassiker auf die Bühne gehoben und mit viel Liebe zum Detail ausgearbeitet. Opulent, modern und revolutionär lässt sich Maya Fankes Inszenierung von DANTONS TOD an (Bühne: Vincent Mesnaritsch, Kostüme: Elke Gattinger, Musik: Manuel Mitterhuber).

Wir schreiben das Jahr 1794 und die Situation ist vertrackt. Die Französische Revolution war gestern, ihre Revolutionsführer sind müde geworden. Nun, zumindest Georg Danton mangelt es mittlerweile an aufständischem Engagement; der Sensualist und Epikureer, der der französischen Revolte einst ihren speziellen Schwung verlieh, frönt heute viel lieber den schönen Lastern, als Robespierre ernsthaft Widerstand zu leisten. Das Drängen seiner Freunde stößt bei ihm deshalb auf taube Ohren. Bis es zu spät ist. (Achtung, albernes Wortspiel!) Au contraire Robespierre. Dantons Kontrahent steht dem einflussreichen Wohlfahrtsausschuss vor und setzt sich für Strenge und Moral ein. Dantons sündiger Lebenswandel ist ihm alleine bereits deshalb ein Dorn im Auge, aber letzte Zweifel lassen auch den härtesten Politiker nicht unberührt. Die räumt dann 14.09.2016: SCHAUSPIEL - DANTONS TOD (Georg Büchner)allerdings beflissen St. Just aus dem Weg. Nieder mit den Dantonisten! Danton und seine Anhänger fallen einem Politkomplott zum Opfer und werden in einem Scheinprozess der Guillotine überantwortet. Doch die Freude der Intriganten ist nur von sehr kurzer Dauer. Alsbald treten die gestrengen Opportunisten auf dem Place de la Révolution in die Fußstapfen der Dantonisten; die Guillotine wartet schon.

Es ist schwere Kost, die der politisch versierte Georg Büchner in wenigen Wochen zu Papier brachte. DANTONS TOD – diese sprachlich wunderbar gelungene Komposition – ist inhaltlich so komplex, dass die Reclam-Ausgabe vorsichtshalber mehrmals erwähnt, das Stück nicht ohne Vorwissen der Französischen Revolution zu lesen. Denn andernfalls, so das Büchlein rücksichtsvoll, sei Büchners Drama nur sehr schwer zu erfassen. Merci für das Vertrauen. Nicht. Maya Fankes Weg scheint da schon sehr viel publikumsfreundlicher. Gänzlich ohne Warnungen an die breite Masse wurde Büchners Politthriller stattdessen lieber ansprechend und verständlich inszeniert.

Der kleine „Guide“ durch DANTONS TOD.

Die Lager der beiden Oppositionen sind optisch klar abgegrenzt. Die Dantonisten tragen rote Elemente in ihrer andernfalls schwarzen Kleidung. Rot als das Zeichen ihrer republikanischen Gesinnung und ihres Freiheitsideals. Gleichzeitig ist das Rot auch eine Chiffre für ihre leidenschaftliche Attitüde. Die Anhänger von Robespierre sind als Teil der extremen Jakobiner-Fraktion in Schwarz und Weiß gehüllt. Beiden Parteien ist das Crossover aus Alt und Neu gemein; an der damaligen Zeit orientierte Justaucorps (Überröcke) mit modischen Schnitten in Kombination mit Sakko Hosen. Letzteres erinnert einmal mehr an die Kleidung der Jakobiner, die spöttisch „Sansculotten“ (ohne Kniehosen) genannt wurden, da sie die langen Hosen der Arbeiter und Handwerker präferierten. Die wenigen Damen sind in fantasievolle Kleider gehüllt. Beides wirkt jung und dynamisch und schafft eine fließende Brücke zur Moderne.

Auf der Bühne entfaltet sich derweil eine ausgeklügelte Choreographie, die ein bisschen sprachlos werden lässt. Wie im Tanz schreiten die Schauspieler*innen die Wege ihrer Figuren ab, fließend und synchron. Oft verharren sie regungslos im Hintergrund, eingefroren im Augenblick. Die Bühne eignet sich hervorragend für diesen ungewöhnlichen Tanz durch DANTONS TOD – eine Art Totentanz – und schafft Raum für das Drama. Apropos Tanz. Szenenw14.09.2016: SCHAUSPIEL - DANTONS TOD (Georg Büchner)echsel werden oftmals von spontaner Dunkelheit, eingerahmt von grellem weißen Licht, und lauten Rhythmen begangen. Die einstudierten Chorgesänge und Gänge sorgen für intensive Gänsehaut-Momente.
Den Danse macabre-Charakter der Inszenierung verstärkt die Figur der Marion (Susanne Wende), die als eine Art Todes-Personifikation oder Mademoiselle Guillotine fungiert. Wenn sie sich nicht als Marion mit einem sich stetig entkleidenden Danton in erotischer Umarmung über die Bühne windet, dann oszilliert S. Wende zur mysteriösen Frauenfigur. Ihre Todesnähe ist erahnbar und sie wird zur stummen Beobachterin der Intrigen und leidenschaftlichen Verzweiflung.

Frivoles Treiben, Tyrannei und das zornige Volk.

Die Dantonisten fallen auf und das nicht nur wegen ihrer roten Farbeinsprengsel (Frederic Soltow, Marcus Marotte, Alexandra Sargurna, Kristina Kahlert). Leidenschaftlich und laut widmen sie sich mit Verve ihren politischen Interessen – und dem Kampf für das eigene Leben. Besonders Lucile (A. Sagurna) schwingt empathische Reden und verzweifelt sichtlich am Stoizismus des revolutionären Führers. Martin Brunnemanns Danton ist auf diesem Ohr tatsächlich seltsam taub. Gleichzeitig scheint sein Danton extrem aktiv und vor Lebensfreude überbordend. Die erstaunliche Energie wird greifbar, wenn Danton auf etwaigen erotischen Abenteuern über die Bühne läuft, hechtet und die wohlmeinenden bis verzweifelten Mahnungen und Bitten seiner Freunde und Anhänger stetig ignoriert. Erst als es zu spät ist, 14.09.2016: SCHAUSPIEL - DANTONS TOD (Georg Büchner)erkennt Danton den Fehler. Zu seiner Verteidigung hält er eine flammende Rede, doch vor dem Scheintribunal sind es vergeudete Worte. Dafür wird es jetzt wirklich emotional. An vier Säulen in imaginären Ketten geschlagen, finden sich die Dantonisten und ihr Revolutionsführer ein letztes Mal ein. Die Analogie zu Jesus am Kreuz könnte sich aufdrängen, wenn nicht schon Büchner selbst hätte verlautbaren lassen, dass er keineswegs beabsichtige mit Danton einen Tugendhelden zu zeigen. Nein, „Geschichte ist vom Herrgott nicht als Lektüre für junge Frauenzimmer geschaffen worden“, so Büchner. Vielmehr sei Danton für ihn ein Bandit der Revolution. Ergo steht dieser Bandit jetzt also an eine eiserne Stange fixiert. Und da wirkt es ziemlich eindrucksvoll, wenn an den richtigen Stellen Ketten rasseln.
Richtig emotional wird es allerdings, als Julie (K. Kahlert) Danton in den Tod folgt. Die Musik ändert ihren Rhythmus; leise und sacht statt laut und aggressiv. Die Traurigkeit ist omnipräsent. Und wenn Julie dann noch selbst zu singen beginnt, ist das Ambiente perfekt.

Danton und seine Freunde frönen ziemlich ausführlich – und ja, es ist nicht zu übersehen – dem Lustprinzip. Ganz anders Robespierre und die Seinen (Olaf Salzer, Matthias Hinz, Magnus Pflüger, Moriz Grabbe). Verbissen auf Tugend und Moral verweisend, fordern sie hartes Durchgreifen. Entsprechend streng die Haltung der Charaktere. Steif pocht Robespierre (O. Salzer) auf sein Recht. Umso stärker der Kontrast, als er die gestrenge Maske für einen kurzen Moment der Schwäche lüftet und Zweifel an seinem Vorgehen sichtbar werden. Er wolle die Dantonisten doch nur warnen, er wolle sie14.09.2016: SCHAUSPIEL - DANTONS TOD (Georg Büchner) nicht gleich der Guillotine überantworten. Robespierre scheint ernsthaft mitgenommen. Doch da räumen St. Just (M. Hinz) und Collot d’Herbois (M. Pflüger) bereits letzte Zweifel aus dem Weg. Ein bisschen Intrige hier, ein bisschen Konspiration dort und die Dantonisten sind dem Tod geweiht.

Und dann ist da ja auch noch das Volk. Laut und gehässig schreit es seine Parolen, passenderweise hinter hässlichen Masken versteckt. Das Volk ist unzufrieden, denn seine soziale Situation hat sich seit des Königs Meineids und der Vollstreckung seines Todesurteils nicht gebessert. Weder die liberalen politischen Ansichten und die egoistische Lust-Philosophie der Dantonisten noch die Tugend-Tyrannei von Robespierre und seinen Anhängern bieten entsprechende Lösung. Was also tun? Konsequenterweise wendet sich das Blatt für die Jakobiner. In einer höchst gelungenen letzten Szene werden die Figuren zu Zeugen*innen ihres eigenen Ablebens. Noch einer dieser zahlreichen Momente des Büchner’schen Politikthrillers, der besonders unter die Haut geht.

„O schöne neue Welt, die solche Bürger trägt.“

Büchner wollte mit seinem Stück weder die Welt verbessern noch beschönigen. Vielmehr war es ihm ein Anliegen, mit dichterischen Mitteln auf die politischen Missstände seiner Zeit aufmerksam zu machen. DANTONS TOD zeigt  die Notwendigkeit einer funktionierenden Demokratie und scheint gerade deshalb zeitlos.
Dem wohlmeinendem Reclam-Team sei übrigens angeraten, vielleicht auch eine Vorstellung in Salzburg zu besuchen. Denn dank gelungener Inszenierung und entsprechendem Schauspiel klappt das mit dem Verständnis bereits ganz gut. Ich weiß das, wir haben es getestet (mein Dank gilt Freundin B. – total selbstlos und so). 😉

 

Fotonachweis: Ernst Wukits

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