Wehe, wenn die Boomer losgelassen: „Das Haus“ am Schauspielhaus Salzburg
Die vier Schauspieler*innen im Studio des Schauspielhaus Salzburg haben das große Los gezogen. Während Rockstars einmalig ein Hotelzimmer zertrümmern und danach Hausverbot erteilt bekommen, dürfen die Mimen hier wöchentlich ganz ungeniert das Bühnenbild nach allen Regeln der Kunst zerlegen und erhalten dafür auch noch Beifall. Tja, wenn es läuft, dann läuft es – und dass es für die Inszenierung von Marion Rothhaar läuft, daran besteht mit „Das Haus“ kein Zweifel (Bühne: Martin Hickmann, Kostüme: Martin Hickmann & Marion Rothhaar).
In aller Plot-Kürze
Die Redmonds wollen sich verkleinern. Die Kinder sind aus dem Haus und der Ruhestand rückt in greifbare Nähe. Aber ihr Heim soll nicht in irgendwelche Hände fallen, deshalb suchen sie sich die Käufer selbst aus und scheinen mit Lindsay und Fischer Libett einen echten Glücksgriff getan zu haben. Das junge Paar will sich vergrößern und ist sichtlich entzückt von der Immobilie. Nach der Vertragsunterzeichnung wird der Verkauf gefeiert und erste Ungereimtheiten lassen leise Zweifel aufkeimen.
Pathologische Nabelschau
Brian Parks schuf mit „Das Haus“ eine Kammerkomödie, die sich ganz am modernen Duktus von Yasmina Reza & Co orientiert. Dieses Spiel greift Marion Rothhaars Inszenierung auf, in dem sie es betont banal und harmlos beginnen lässt. Susanne Wende und Antony Connor sind das harmoniebedürftige Boomer-Pärchen, das ihr Haus nicht einfach in irgendwelche Hände abgeben möchte. Mit Verve und einer gelungenen Portion an Pedanterie gratulieren sie den Käufern. Während Antony Connor als Zahnarzt Martyn extra breit ins Publikum strahlt, wuselt Susanne Wende als emsige Hausfrau um ihn herum und komplettiert seine Anekdoten. Das Übermaß an Freundlichkeit ist der optimale Indikator, um anklingen zu lassen, hier wird die Stimmung bald kippen.
Der selbsterfüllenden Prophezeiung geben Christiane Warnecke und Lukas Weiss als Lindsay und Fischer Libett voll motiviert den ersten Stoß. Übrigens als Vorzeige Millennial-Paar in instagramable Brauntöne gehüllt. Während sie die Redmonds an oberflächlicher Liebenswürdigkeit zu überbieten suchen, sprechen Mimik und Gestik eine andere Sprache. Alsbald verdreht Christiane Warneckes Lindsay enerviert die Augen und zeigt Lukas Weiss‘ Fischer die ersten Anzeichen von Ausbau-Ambitionen. Damit schwenken sie die rote Flagge zur Kammerkomödie, die sich des Wendepunkts eines Dramas bedient. Nur, dass der hier so gar nicht tragisch, sondern vielmehr unglaublich komisch verläuft. Die Figuren steigern sich in Rage und präsentieren ihre Neurosen und Psychosen in einer pathologischen Nabelschau. Dabei fliegen zwar bisweilen die Witze tief, und speisen sich vor allem aus amerikanischen Vorurteilen, aber eine Komödie ist eine Komödie ist eine Komödie.
The roof is on fire
Statt jetzt schreiend Reißaus zu nehmen und damit dem temperamentvollen Kammerspiel mit einem Handstreich den Gar auszumachen, lässt Regisseurin Marion Rothhaar die Figuren kurz verschnaufen. Retadierendes Moment, Hallo. Der Waffenstillstand ist begrenzt. Während sich das Publikum noch verstohlen die eine oder andere Lachträne aus dem Auge wischt, folgt auch schon die Katastrophe. Tatsächlich unerwartet und nonchalant präsentiert. Wer hätte gedacht, dass so viel Eleganz in einer Komödie stecken könnte, noch dazu in einer amerikanischen? Nur das mit dem gelben Onesie muss man vermutlich nicht verstehen. Vielleicht ist es auch einfach ein weiterer Indikator des umgreifenden Wahnsinn. Ganz sicher scheint er aber ziemlich heiß zu sein. Passend also zur Stimmung im neuen Haus der Libetts, das dank gelungenem Bühnenbild in Nullkommanichts der nächsten Zerstörung harren kann. Ein bisschen Kinderparadies in groß.
Fotonachweis: Jan Friese
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