Die Helden*innen von morgen
Neun Schauspielstudenten*innen, die aufgeregt den Mensch bestaunen – die Abschlussproduktion des Schauspiel-Jahrgang 2015 der Universität Mozarteum geht in die Vollen und serviert mit dem KNURREN DER MILCHSTRAßE eine österreichische Erstaufführung.
Die Erde sieht von fern so friedlich und schön aus. Erst bei näherer Betrachtung fällt auf, dass sie eigentlich ziemlich marode und hinüber ist. Und der Mensch? Der ist dumm und scheiße, aber gleichzeitig auch irgendwie unheimlich lieb und nett – das konstatiert zumindest der entzückte Wissenschaftler. Warum das so ist und wie das eigentlich funktioniert, demonstriert eindrücklich der Chor der fiesen Schauspielstudenten*innen und neun Monologe.
Mit dem KNURREN DER MILCHSTRAßE setzte der Schauspiel-Jahrgang 2015 auf eine Abschlussproduktion, die frisch aus der Druckerpresse stammt. Eben noch gewann Bonn Park mit seinem Werk den ersten Preis des Stückemarktes beim Berliner Theatertreffen 2017, heute erobert der Stoff bereits die Bühne. Anita Vulesica (Regie) inszenierte das theatrale Treiben im KunstQuartier als schrilles, lautes Knallbonbon mit ordentlich Pfeffer im Hintern (Dramaturgie: Bendix Fesefeldt). Stillstand und Ruhe? Fehlanzeige. Stattdessen dominieren Überdrehtheit, intendierter Wahnwitz und Tempo, Tempo, Tempo.
Ambiger Schein
Während die neun schillernden Persönlichkeiten auf der Bühne die Spezies Mensch bestaunen, bilden sie ein onomatopoetisches Raumschiff, mit dem sie unter vollem Körpereinsatz und viel Getöse einmal um den Saal kreisen. Zurück auf der Erde entwirrt sich der verrückte Haufen langsam. Als Andockstation des szenischen Wahnsinns dient das simple, aber effiziente Bühnenbild: Eine Drehbühne mit begehbarem Treppen-Gefälle und Klavier (Ausstattung: Anna Brandstätter). So gut, so normal. Spätestens bei den Monologen wird deutlich, dass bei den Figuren irgendwas nicht stimmt, nicht stimmen kann. Optik und Wesen scheinen seltsam verdreht. So ist die junge Frau in Rosé mit keckem Party-Hütchen niemand geringerer als Donald Trump, der gegen Armut und Waffen blutet (Naima Laube auf rastlosem, gut gelauntem Selbstgeißelungs-Trip). Angela Merkel schwingt tieftraurig, von Weinkrämpfen gebeutelt, im roten Kostüm große Rache-Reden (Genet Zegay im Vergeltungswahn) und auch Heidi Klum darf in diesem illustren Reigen nicht fehlen: Als Mann in Glitzerhöschen, Highheels und mit ausgewachsener Fresssucht, baumelt sie amüsant vom Podest und stößt unflätige Dinge gegen helfende Hände aus (Niklas Mitteregger als überdreht fröhliche Giftnatter). Unter den Delegierten tummelt sich auch Nordkoreas Diktator Kim Jong-un (Vincent Sauer von Hass-Liebe beseelt), der ganz verliebt in die eigene Weichheit ist und unbedingt mit Südkorea Frieden schließen möchte – nebenbei aber trotzdem den Telefonmenschen beseitigt (Kilian Bierwirth als köstlich sturer nordkoreanischer Beamte). Die Giraffe ist eigentlich eine Fremdenführerin, die eigentlich eine Schauspielstudentin ist, die sich eigentlich als Giraffe ausgibt, die sich eigentlich als Fremdenführerin ausgibt und… ach was, jedenfalls detailverliebt amüsant über die Bühne führt (unglaublich gut drauf und wuselig Hannah Katharina Jaitner). Denn selbstverständlich ist DAS KNURREN DER MILCHSTRAßE auch selbstreflexiv und springt munter zwischen den Ebenen oder führt sie gleich auf kürzestem Wege ad absurdum.
Heute schon gepöbelt?!
Was wäre die Gegenwart ohne die Vergangenheit – deshalb darf ein bisschen Mythos nicht fehlen. Das ist die große Stunde der Kassandra (Igor Karbus als melancholisch eloquente Wahrsagerin); die hat nicht nur verblüffende Ähnlichkeit mit einem goldbehangenen Piraten, sondern findet endlich, endlich Gehör. Kassandra nutzt diesen Umstand weidlich aus (sie hat seit der Antike ja auch lange genug darauf gewartet) und klagt dem Publikum leidgeprüft die tristen Aussichten. Dafür konjungiert sie in rasanter Geschwindigkeit Hilfsverben und lässt Tempora hüpfen wie Jongleure ihre Bälle. Spätestens beim „lächerlichen Menschen“, der sich zwar nicht vorstellt, dessen Brust aber ein eindeutiges Jesus-Bildnis ziert, ändert sich auch der sprachliche Duktus, jetzt wird es feierlich (ein passionierter Rudi Grieser auf sakralen Pfaden).
Zwischen den unterschiedlichen Monologen hat der Chor seinen Auftritt. Da ist es wieder, dieses antike Moment, das als „Chor der fiesen Schauspielstudenten*innen“ ein zeitgenössisches Revival feiert. Gemeinsam fällt es euphorisch in den schrillen, ironisch verdrehten Szenen-Reigen ein und sorgt mit humorvollen Choreografien und kritischen Gesängen für den gewissen Revue-Charakter (Choreografie: Mirjam Klebel). Dass bei dieser Gelegenheit mit Inbrunst zotige Wörter gebrüllt werden, war vorauszuahnen. Diese und ähnliche touretteartigen Einschübe besitzen zwar längst kein Schockpotential mehr, sorgten aber zumindest an diesem Abend mancherorts für unbändige Heiterkeit.
Spannend ist es allerdings auch, einen näheren Blick auf den Kern des Stücks zu werfen. Schließlich verrät nicht nur das Sujet bereits das ungefähre Alter des Autors, sondern warten noch andere Überraschungen. Zum Beispiel schrieb sich Bonn Park selbst in den Text ein. Was an der Germanistik einer Todsünde gleichkommt („Nein! Der Autor ist nie, hören Sie, NIE als Figur im Text vertreten!“), wogegen sich andere Schriftsteller*innen vehement wehren („Ich war’s nicht!“), zelebriert Bonn Park genüsslich-schräg: Ron Iyamu schwirrt als Bonn Park aus der Zukunft in Shakespeare’scher Puck-Fasson durch das Stück und reißt für einen Moment keck das Unruhe-Zepter an sich. Unter der Lupe offenbart sich dann aber auch eine MILCHSTRAßEN-Schwäche, denn so ein Manuel Neuer (stimmstark Laura Maria Trapp), der funktioniert dann halt doch besser im Kontext des eigenen deutschen Landes und trifft bei nicht fußballaffinen anderen auf Fragezeichen.
Dream-Team
Von der ersten Minute an ist die Spielfreude und Leidenschaft der Schauspielstudenten*innen greifbar, die während des Stücks in den verschiedensten Rollen überzeugen – und nebenbei Goethes Bonmot „Willst du immer weiter schweifen? Sieh‘, das Gute liegt so nah“ widerlegen. Manchmal hilft ein wenig Abstand dann eben doch, beispielsweise in Form einer Reise durch das Weltall – dann lässt sich auch das Gute wieder besser genießen. Und dabei assistieren die Helden*innen von morgen gerne. Schließlich sind wir doch alle Teil dieser verdammt dummen und zugleich verdammt lieben Spezies Mensch.
Fotonachweis: Manuela Seethaler
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