Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand – Schauspielhaus Salzburg

Ein Neunundneuzigjähriger sieht hundert

Trinklieder und Schnaps bis zum Umfallen – Schweden kann so schön sein und DER HUNDERTJÄHRIGE, DER AUS DEM FENSTER STIEG UND VERSCHWAND gilt seit seiner Premiere am Schauspielhaus Salzburg als rehabilitiert. Hurra!

Jonas Jonasson – sagt der Name irgendjemandem etwas?  Vermutlich nicht. Spätestens bei „Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand“ läutet dann aber bereits eine ganze Kathedrale, stimmt’s? Mit seinem Romanerstling eroberte Jonasson schließlich die Belletristik. Zuerst die schwedische, dann den Rest der Welt. Klar konnte da auch eine filmische Adaption nicht lange auf sich warten lassen. Die entpuppte sich allerdings, bei allem Cineasmus, als Griff ins … nun, stille Örtchen eben. Das ist keine Einzelmeinung, Verfasserin befindet sich in prominenter Gesellschaft. Jonas Jonasson höchstpersönlich soll nach der ersten Filmvorführung mindestens ebenso enttäuscht gewesen sein. Jetzt gibt es allerdings wenig Anlass, die Köpfe hängen zu lassen. Schließlich ist da inzwischen auch noch eine Dramatisierung für’s Theater eingetrudelt. Kann die was? Ja, tatsächlich – auch wenn böse Zungen einwenden mögen, dass das nach der filmischen Adaption kein großes Kunststück mehr sei. Doch, sehr wohl.

Schneller Plot

Allan Karlsson wird hundert. Die ganze Welt will ihn feiern, nur er hat keine Lust dazu. Also türmt er an seinem Ehrentag aus dem Altersheim. Wohin? So weit ihn seine paar Kronen in der Hosentasche bringen. Am örtlichen Busbahnhof kommt er zufällig in Besitz des brisanten Koffers eines Ganoven mit Anger-Management Problemen. Um den Bus nicht zu versäumen, bricht Allan mit dem fremden Koffer auf – und hat fortan unangenehme Verfolger. Nein, damit ist nicht nur Schwester Alice aus dem Altersheim in Malmköping gemeint. Auch die harten Jungs der „Never Again“-Bande heften sich an des naiven Allans Fersen, der mit mehr Leben gesegnet zu sein scheint als eine Katze.

Skurril, skurriler, der Hundertjährige

Christoph Batscheiders DER HUNDERTJÄHRIGE, DER AUS DEM FENSTER STIEG UND VERSCHWAND knüpft an den skurril liebenswürdigen Humor des schwedischen Originals an und fügt sich nahtlos in die Reihe der herrlich komischen Schweden-Exporte à la „Kopps“ und „Jalla! Jalla!“ ein.  Das funktioniert auch ohne schwedische Staatsbürgerschaft erstaunlich gut. Dafür setzt der Regisseur auf ein großartiges Bühnenbild im Landhaus-Stil (Ausstattung: Annett Lausberg, Video: Michael Winiecki, Licht: Thomas Finsterer, Maske: Maria Gradl). Das heißt, eigentlich im Stil eines schwedischen Bushäuschens oder einer Scheune – nur ohne obligatorischen Rot- und Weiß-Anstrich (schade eigentlich). Dafür erstreckt sich das Bühnenbild, das viel Kondition von seinen Schauspielern*innen verlangt, auf zwei bespielbaren Etagen. Die kreuzt die Inszenierung  mit filmischen Sequenzen, dass es eine Freude ist. Visuelle Konzepte stehen Kopf, wenn das Schauspiel für Nachrichten-Sondersendungen auf der Leinwand einfriert oder das Farbkonzept aus BIEDERMANN UND DIE BRANDSTIFTER ein Revival erlebt. Heitere musikalische Leitmotive akzentuieren den humoristischen Reigen der absurd-komischen Krimikomödie.

Allan Karlsson und die Schurken

Das Schauspiel hat sich einer ‚mehr ist mehr‘-Prämisse verschrieben und landet damit einen komödiantische Volltreffer. Slapstick-artig kaspert Moritz Grabbe als fast alle Bösewichte durch die Inszenierung. In der Rolle des Generals Franco lässt er keck die Hüfte kreisen, als Piranha brüllt er seine weniger hellen ‚Never Again‘-Kollegen nieder und schleicht zur allgemeinen Erheiterung als Geheimagent hyper-spionig über die Bühne. Allan Karlssons liebenswerte Naivität bringt Olaf Salzer (einmal mehr in Bademantel unterwegs) auf den Punkt. Auch ohne den obligatorischen „Es ist, wie es ist, und es kommt, wie es kommt“-Sager wahrt der Hundertjährige seinen Hauch schwedische Forrest Gump-Attitüde. Als simple Frohnatur kann ihm auch der versehentlich Schock gefrorene Rocker nicht den Appetit auf das Frühstück verderben. Außerdem spekuliert er bereits auf die Schuhe des kürzlich Verblichenen.

Im Bühnen-Flow

Wunderbar gestalten sich die Retrospektiven der Dramatisierung. Im Gegensatz zur filmischen Variante baut der amüsant-absurde Theater-Krimi auf ein jüngeres Ich des Hundertjährigen. Frederic Soltow wird eins mit dem älteren Allan. Bei den erzählerischen Rückblenden ist Letzterer meistens anwesend und starrt sinnierend in die Leere, wie das ältere Menschen halt so machen, wenn sie sich nostalgisch in Erinnerungen verlieren. Und Allan hat so einiges erlebt: Von Franco über Harry S. Truman oder Winston Churchill ist er mit allen politischen Größen ‚Best Friends‘. Bei so viel Trubel auf den verschiedenen Bühnenebenen fällt es schwer, keine Pointe zu verpassen.

Der höchst sympathische Kleinkriminelle (es wimmelt nur so vor einschlägig Vorbestraften) Julius wird von Theo Helm mit verschroben kleptomanischen Macken ausgestattet. Bei Bedarf haut er auch für ein fingiertes Kirchenliedchen in die Saiten und entsagt voller religiöser Schein-Euphorie dem sündigen Lebenswandel. Als dusseliger Herbert Einstein begeistert Antony Connor – eine Steilvorlage für den Schauspieler, die er locker-lässig aus dem Ärmel schüttelt. Dabei darf die rausgestreckte Zunge nicht fehlen; die Verwandtschaft zum berühmten ‚Bruder‘ verpflichtet. In der Rolle von Benny schmachtet er mindestens genauso überzeugend Gunilla an. Burschikos und mit hart-herzlichem Charme mimt Susanne Wende die Elefanten liebende Bäuerin. Oder auch Mao Tse Tung, Schauspielerin ist schließlich flexibel.

Die wunderbare Freundes-Vermehrung

Sobald die Freunde wieder auf (unfreiwillige) Reise gehen, mischen sich flotte Up-tempo Töne leitmotivisch ins abwechslungsreiche Geschehen. Genauso wie auch Falco-„Kommissar“-Einspieler bei Auftritten von Kommissar Göran Aronsson nie fehlen dürfen. Amerikanische Filme persiflierend, eilt Magnus Pflügers Aronsson meist mit Kaffeebecher in der Hand und losem Hemd der bunten Truppe nach. Es ist immer wieder schön, wenn Klischees so pointiert präsentiert werden. Aber auch als prinzipientreuer Schalterbeamte erheitert M. Pflüger sichtlich. Alexandra Sagurna wandelt inzwischen durch die Rollen und mischt sich als strenge Soldatin oder mit lasziv-russischem Akzent ins Geschehen ein.

Skål!

Zwischendurch darf’s immer wieder ein Schnäpschen sein, gerne auch zwei. Allan und seine Freunde erweisen sich als äußerst trinkfest. Das kleine Liedchen, zu dem sie immer wieder anstoßen, wird so oft zum Besten gegeben, dass das Publikum es am Ende beinahe selbst beherrscht. Seine schwedische Note erhält Ch. Batscheiders Regiearbeit aber auch durch die Sprachverliebtheit der Produktion. Vom obligatorischen ‚hej‘ abgesehen, werden immer wieder schwedische Floskeln oder anderssprachige Sätze eingestreut. Ein Konzept, das voll aufgeht, und ein Theater-Krimi in fast OV.

Jetzt ist es also offiziell: Der HUNDERTJÄHRIGE funktioniert auch abseits der gebundenen (oder Taschenbuch) Form – das ist sehr befreiend zu wissen. Deshalb besser zu den Eintrittskarten für die Dramatisierung als zum Kinoticket greifen. 😉

 

Fotonachweis: Jan Friese

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