„Der Menschenfeind“ am Schauspielhaus Salzburg
Peter Raffalts DER MENSCHENFEIND nimmt sich am Schauspielhaus kein Blatt vor den Mund. Lieber wird Molières Typenkomödie mit poppigem Sprech frech und frei vorgetragen.
Eine Lichterreihe, die das Publikum gnadenlos ins Gegenlicht starren lässt. Eine Bühne, die wie ein zu groß geratenes Fitnessgerät bei starkem Wellengang schwankt. Vom Publikum fordert Peter Raffalts Inszenierung des Klassikers DER MENSCHENFEIND starke Augen, vom Ensemble Balance und Seekrankheits-Resistenz. Das und Stimmvolumen. Seiner Empörung ob der moralischen Verderbtheit der adeligen Elite macht vor allem Alceste (Antony Connor) mit ordentlich Dezibel Luft. Das wird höchstens noch durch die lauten Elektroklänge überboten, die aggressiv aus dem Off wummern und bevorzugt von zuckenden Körpern begleitet werden. Eine Inszenierung mit sehr viel Wrumms, poppigen Nuancen und Hang zum sprachlichen Detail.
In aller Plot-Kürze
Der Adel ist schlecht. Ach was, die ganze Welt ist in Alcestes Augen verdorben. Seine Mitmenschen sprechen süße Worte nach vorne und lassen hinterrücks postwendend Spott und Hohn folgen. Ein Verhalten, das der adelige Spross keinesfalls goutieren kann. Da er aber just in die leichtlebige junge Witwe Célimène verliebt ist, wird er täglich mit diesem Missverhalten konfrontiert und leidet sichtlich. Beinahe genauso regelmäßig will er Célimène seine Gunst verweigern, das will nur nie so recht funktionieren, Menschenfeind hin oder her.
Wellengang am Schauspielhaus
So sehr die Bühne auch wankt und schwankt, erst beim Schlussapplaus folgt ein Fehltritt und das Beinahe-Stolpern einer Schauspielerin. Davor sorgt der flexible Untergrund bei allzu sensiblen Zuschauern für Magenbeschwerden. Tatsächlich ist die Bühne eine Brett gewordene Metapher für die moralischen Abgründe der Gesellschaft. Sie bewegt sich genauso unstet wie die von Alceste konstatierte falsche Höflichkeit. Statt Freundlichkeit zu heucheln, fordert er, gnadenlose Meinungsäußerung, egal wie vernichtend. Niemand will sich daran halten. Stattdessen werden kleine und große Flunkereien mit Verve zelebriert und Doppeldeutigkeiten voll Hohn preisgegeben. Erstaunlicherweise bricht die Bühne unter dieser Last keinesfalls, sondern wackelt munter weiter und wird bei Gelegenheit noch von den Schauspielern selbst zum Wippen gebracht (besonders emsig, Bülent Özdils Oronte).
Emotionaler Ausnahmezustand
Nicht nur die Bühne ist bei Peter Raffalt eine Chiffre für die von Molière angeprangerten gesellschaftlichen Umgangsformen. Pittoresk überzeichnet wird ihnen gleich eine ganze Choreografie gewidmet (Lisa Moon). Mit abgehackten Bewegungen tanzt das Ensemble zu den Elektroklängen und demonstriert die Gemachtheit ihrer Wesen. Einzig Alceste (Antony Connor) und Philinte (Simon Jaritz-Rudle) stimmen nicht in das ausgelassen forcierte Treiben mit ein (Musik: Georg Brenner, Licht: Marcel Busá).
Der eine tobt bevorzugt cholerisch, gibt sich aber andernfalls ganz vornehm und gentlemanlike. Antony Connor ist die personifizierte wütende Verzweiflung, wenn er sich für Alcestes Anfällen mit beinahe brechender Stimme in Tobsucht und Rage steigert. Tut sie natürlich nicht, die Stimme. Den emotionalen Ausnahmezustand behält Antony Connor für seinen wütenden Moralisten den ganzen Abend konsequent bei. Der andere versucht zu vermitteln. Besonderes bei Philintes zögerlich angedeuteten Liebesbekundungen in Richtung Éliante (Tilla Rath) läuft die Figur von Simon Jaritz-Rudle zur leidenschaftlich verkappter Hochform auf.
„So nice, Sonett“
Stichwort Artifizialität. Vielleicht liegt es an der des MENSCHENFEIND bekrittelten Gemachtheit, dass in Peter Raffalts Inszenierung alle Figuren, die dem falschen Wort frönen, mit Perücken ins Rennen um den Titel sympathischste*r Antiheld*in gehen. Wie Marionetten demonstrieren sie ihre flexible Eloquenz, die der Regisseur mit eigenen sprachlichen Texteinwürfen ergänzte. So wird Orontes Sonett, das Alceste so stark kritisiert, zum sehr humorigen Rap. Dafür schlüpft Bülent Özdil (Oronte) in ein adeliges Glitzerkostüm mit passender Kappe und verbindet Molières Original mit zeitgenössischen Wortjonglagen. „So nice, Sonett“ und „jo, jo“ schallt es durch den Raum. Bis Oronte in die Gänge kommt, dauert es allerdings. Immer wieder unterbricht er sich auf amüsant eifrige Weise selbst und eilt zu Alceste, um ihm dieses und jenes über seine lyrische Abhandlung zu erklären (Ausstattung: Agnes Hamvas, Dramaturgie: Theresa Taudes).
Donna Juana im MENSCHENFEIND
Das Artifizielle kulminiert in Célimène (Kristina Kahlert). Die gilt eigentlich als Sympathieträgerin Molières, wird in Peter Raffalts Version aber exzessiv übersteigert. Abgehackte Bewegungen prägen Célimènes Auftritte. Besonders eindrücklich, ihr künstliches Lachen, das eine gewisse Härte birgt und Parallelen zur Hyäne heraufbeschwört. Gleich dem Tier macht auch Célimène jagt auf andere. Als weiblicher Don Juan fordert die junge Witwe eigentlich nur Freiheit, wie sie jedem Mann zustünde. Die Gesellschaft kann diese Emanzipation nicht ertragen. Vielleicht besitzt Kristina Kahlerts Figur deshalb diese schonungslose Schroffheit und den grenzenlosen Spott, die Alceste in den Wahnsinn zu treiben drohen und doch immer wieder zu Kreuze kriechen lassen. Die weibliche Verführung sitzt und die eigene Solonummer mit dem eingängig ironischen „Femme fatale“-Chorus (Simon Jaritz-Rudle, Tilla Rath, Bülent Özdil) lässt latent an Dillon denken.
Frech und klassische Texte
Die Stücke Molières sind als Typenkomödien der Zeit enthoben und lassen sich in jedem Jahrhundert verorten. Simon Jaritz-Rudles großspuriger Acaste erinnert vermutlich nicht von ungefähr an einen österreichischen Politiker. Vom „zack, zack, zack“ Seitenhieb bis zum Lachen der Figur. Mission gelungen, Pointe versenkt.
Bieder, aber nicht minder giftig wie Konkurrentin Célimène gibt sich Arsinoé (Ulrike Arp). Im taillierten güldenen Kleid sprüht die scheinbar sanfte Figur sardonische Funken. Köstlich persifliert, die Begrüßung der beiden Frauen mit exorbitant vielen Luftküssen und kaum verhohlenen bösen Worten. Einzig Éliante (Tilla Rath) kennt den Traum von der großen Liebe und vertraut doch lieber der Vernunft. Rührend die Szene, als die sanftmütige, stets um Ausgleich bemühte Éliante den ewig werbenden Philinte endlich erhört, der sein Glück kaum fassen kann. Lieber blickt er sich noch einmal zweifelnd um.
Frauen-Power anno 1666 – für das Jahr 2019 legte Peter Raffalt ein poppig-kritisches Scherflein nach. Das Ende ist heiter wie der Rest des Stücks. Namen fliegen durch den Raum, nur die Betonungen changieren. Eine Szene, die von der ROCKY HORROR SHOW inspiriert scheint: „Alceste? Célimène? Oronte? Alceste! Célimène? Arsinoé?“.
Fotonachweis: Jan Friese
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