Der zerbrochne Krug – Schauspielhaus Salzburg

Star Trek und König Ödipus vereint in „Der zerbrochne Krug“ am Schauspielhaus Salzburg.

Goethe hat’s vergeigt. Es lässt sich nicht beschönigen. Seine Uraufführung von Kleists „Der zerbrochne Krug“ ging am 1806 im Weimarer Hoftheater gehörig in die Binsen und machte ihn zur Zielscheibe des kollegialen Spotts. Vor allem Kleist lästerte relativ ausgiebig in seinem Medium, dem „Phöbus. Ein Journal für die Kunst“, über den deutschen Dichter und Denker. So ganz kann man ihm das aber auch nicht verdenken, da man sich vielleicht auch selbst bei ein klein wenig Schadenfreude ertappt.

Dabei wurde Goethe eigentlich nur der Anspielungs- und Bilderreichtum des Kleist’schen Lustspiels und die damals gängige Komödienpraxis zum Verhängnis. Von genau diesen Dingen profitierte jetzt Esther Muschols Inszenierung, die sich für ihren ZERBROCHNEN KRUG am Salzburger Schauspielhaus ordentlich im zeitgenössischen Ideenfundus austobte. Das Resultat ist ein äußerst futuristisches und sich gleichzeitig auf seine Ursprünge besinnendes Lustspiel. Genau diesen Momenten liegt dann auch das Innovative und die vergnügliche Komponente zugrunde, die das Publikum atemlos und amüsiert ein Geschehen verfolgen lässt, dessen Ende es bereits von Anfang an erahnt.

Wenn Star Trek auf König Ödipus trifft, dann scheinen sie sich auf Anhieb ewige Freundschaft geschworen und recht gemütlich eingerichtet zu haben. Das Bühnenbild (Fabian Lüdicke) bildet in dieser Hinsicht einen vorzüglichen Rahmen; in dunkelbraunen Holztönen gehalten, entstand eine griechische Tempel Anleihe, in deren Mitte auf einem Podest prominent der Richterstuhl des Dorfjuristen prangt. Und dieser changiert je nach Bedarf zwischen futuristischer, apple-computer-weißer Raumschiffbrücke und griechischem Altar, auf dem doch bitte sehr das „rechtmäßig“ verurteilte Opferlamm dargeboten werden möchte. In diesem Fall Ruprecht (Matthias Hinz), der im Denken köstlich entschleunigte Verlobte von Eve (Kristina Kahlert), die sich vorerst ziert, den wahren Übeltäter zu benennen. Ruprecht nämlich hatte das Unglück, seine Angebetete beim vermeintlichen Tête-à-Tête mit einem Unbekannten zu überraschen. Den schlug er zwar erfolgreich in die Flucht, dabei ging allerdings auch der titelgebende Krug in die Brüche, der eigentlich eine Vase ist, und mit ihm Evchens Reputation.

Während Kleist in „Michael Kohlhaas“ noch philosophische Gerechtigkeitsdiskurse schwang und tiefschürfende Rechtsfragen aufwarf, (ich weiß das, ich durfte mich daran beteiligen), liegt das HauptDER ZERBROCHNE KRUG von Heinrich von Kleistaugenmerk des ZERBROCHENEN KRUGS vor allem darauf, dass der Schuldige die Aufklärung des Sachverhaltes eben genau verhindern möchte. Und damit auch wirklich, wirklich jede*r begriffen hat, um wen es sich dabei handelt, setzt E. Muschol auf eine kleine, stumme Extrasequenz zu Beginn des Stückes, die den wahren Täter indirekt benennt. Dorfrichter Adam (Marcus Marotte) ist’s, der sich lüstern an Evchen heranpirscht und Ruprechts Rache zu spüren bekommen wird. Geprügelt, malträtiert und mit Wunden übersät versucht er am nächsten Tag alles zu vertuschen. Doch Eves Mutter Marthe (Susanne Wende mit kreativer Haarpracht) hat sich bereits selbstbewusst und rigoristisch mit zerstörter Vase im Gepäck vor Gericht eingefunden, um auf Gerechtigkeit zu pochen (Kohlhaas lebt!). Sprachlich wendig und behend kreiert der Dorfrichter daraufhin immer neue Scheinwelten und produziert die erstaunlichsten Wahrheiten, um andere als Schuldige zu deklarieren. DER ZERBROCHNE KRUG von Heinrich von KleistMit Vorliebe natürlich Ruprecht. Herrlich die Momente, wenn Adams orale Ergüsse in Zwickmühlen geraten und er panisch nach weiteren und immer absurderen Ausflüchten sucht, derer er nie müde zu werden scheint.  Seine Mimik ist dabei dem Lustspielcharakter des Stücks absolut zuträglich und unterstützt großartig die nur auf Selbstschutz bedachte egozentrische Weltanschauung. Als gelungene Ergänzung setzte Kleist den besonnenen und immer den Durchblick wahrenden Gerichtsrat Walter (Olaf Salzer) in das theatrale Geschehen. Der Zeitpunkt könnte nicht günstiger sein, um eine Finanz- und Amstführungsprüfung durchzuführen; vor dem Gebäude regiert bereits das Chaos, da sich dort die aufgebrachte nachbarschaftliche Runde zum Gerichtstag einfindet. Gütig lächelnd beginnt der Gerichtsrat aber auch selbst alsbald an Adams erstaunlichen gedanklichen Ausgeburten zu zweifeln und wohlüberlegt weitsichtig zu kontern. Währenddessen schleicht Licht (Martin Brunnemann), der Schreiber, der so eine Ahnung zu haben scheint, die er aber nicht laut äußert, emsig bemüht um Richter und Gerichtsrat und ist ziemlich darauf bedacht, alle Aufträge zu erfüllen. Und zwar am besten schon vorvorgestern. Diese dienstbeflissene Ergebenheit spiegelt sich großartig in Lichts (nomen est omen übrigens in weiß gehüllt) ganzem körperlichen Habitus wider.

Fleißig wischt der Schreiber in seinem schnittigem Raumschiff-Fecht-Crossover – Outfit über das iPad und führt mit allerlei großen iGesten zur allgemeinen Publikumserheiterung Protokoll DER ZERBROCHNE KRUG von Heinrich von Kleist(Kostüm: Agnes Hamvas). Ein Foto hier, ein Foto da sollte auch nicht fehlen, das hilft sicher bei der Beweisaufnahme. Dem Charme der zeitgenössisch-verspielten Komponente dieser Inszenierung kann man sich nur schwer entziehen. Dafür sorgen nicht nur die Kostüme, die beim Gerichtspersonal futuristische Anleihen nahmen und sich bei Eve und ihresgleichen zusätzlich an längst vergangenen Zeiten orientierten (und vermutlich Freund*innen von Mittelalterveranstaltungen mit Hang zu SciFi ins Schwärmen geraten lassen). Ziemlich modern auch die sprechende Gerichtsbrücke, die bei Gelegenheit gar bläulich-weiß erstrahlt und der am Ende die beiden Mägde (Tilla Rath, Agnes Herrlein) begeistert zuwinken.

Dem Publikum gefällt DER ZERBROCHNE KRUG und es fällt euphorisch in den Schlussapplaus ein. Das ist schlüssig; entstanden ist nämlich eine erfreulich frische und innovative Variante des deutschen Klassikers mit sehr originellem zeitgenössischem Ornat. Der einzige Wermutstropfen an den kurzweiligen 80 Minuten des Einakters könnte lediglich Goethes Wohlbefinden sein, der vermutlich schon längst frustriert in seinem Grab rotiert. Aber dieses Risiko lohnt sich. 😉

 

Fotonachweis: Gregor Hofstätter // Schauspielhaus Salzburg

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