Die Laborantin

Die Laborantin – Schauspielhaus Salzburg

Wenn im Schauspielhaus Salzburg „Die Laborantin“ ausgepackt wird, dann ist im Publikum das Fallen der berühmten Stecknadel zu hören: Großartige Inszenierung, großartige Schauspieler, großartiger Abend.

Vergessen wir Rassisten. Das richtige Übel sind Ratisten. Zumindest, wenn man Ella Roads Theaterstück „Die Laborantin“ Glauben schenken darf. Das ist zwar eine Dystopie, sollte aber gar keine sein. Eher zufällig stolperte die Autorin während ihrer Uni-Zeit über ein Video zu pränataler Diagnostik, was etwas in ihr ins Rollen gebracht habe – so die Neo-Dramatikerin. Längst befindet sich die ganze Welt im Rating-Wahn: Egal ob auf Dating-Apps oder auf Touristik-Portalen. Wahlweise bieten auch schon Fitnessstudios DNA Tests an, um den perfekten Workout zu eruieren. Dort, wo Rassisten also noch nach Ethnien beurteilen, haben sich Ratisten auf Blutwerte verlegt. Petra Schönwald inszenierte den höchst aktuellen Stoff als desillusionierend großartiges Well-made Play, das mit humorigen Pointen in gar nicht so fernen Wunden stochert.

Diese zeitliche Nähe verleiht dem Stück einen wunderbar bedrückenden Charakter. Eine Dystopie also, die jederzeit Wirklichkeit werden könnte. Entsprechend auch das Bühnenbild, das von überdimensionalen Boxen bespielt wird, und einem Ensemble, das emsig High-Tech Mobiliar von links nach rechts manövriert. Währenddessen subtile Musikbeschallung mit ‚Deep Focus Tönen‘, ‚Kaminknistern Deluxe‘ oder einem ‚Rauschen der Natur‘. Für alles, so suggerieren die teils englischsprachigen Werbeeinspielungen, gibt es eine Lösung. Man müsse nur wollen. Sich verbessern natürlich. Im Optimierungswahn befinden sich aber nicht nur Handlung und Bühnenbild; selbst das Ensemble ist in Sportoutfits auf Selbstverbesserung getrimmt. Nur hin und wieder werden die kuschligen Bademäntel ausgepackt und darf gelümmelt werden (Ausstattung: Theresa Scheitzenhammer, Sounddesign: Christopher Biribauer, Dramaturgie: Tabea Baumann). 

Selbstläufer Optimierung

10 ist Top, 1 ist Flop und Bea, die Laborantin, mit einer 7,1 respektabler Überdurchschnitt. Es ist Beas Geschichte, die zum Begreifen führt. Das Perfide daran, der Optimierungswahn in „Die Laborantin“ kommt von innen. Er geht also von keiner Institution aus, sondern den Menschen selbst. Aus dem sich freiwilligen Testen Lassen wird durch den allgemeinen Druck eine gesellschaftliche Verpflichtung. Bea (Magdalena Oettl) verleiht dem Trend ein Gesicht – und das ist sehr intensiv. Sympathisch und nahbar gibt sich Magdalena Oettls Figur. Bei Arthur Schnitzler wäre sie vermutlich das Wiener Mädel, hier ist sie die freundliche Nachbarin, die offenherzig über ihre Unzulänglichkeiten spricht und sich alles im Leben hart erarbeiten musste. Dass das selbst als tolerante High-Raterin mit einer 7,1 gar nicht so einfach ist, wird zügig deutlich. Als sich ihre Freundin Char (Sophia Fischbacher) dann aber als Low-Raterin entpuppt, besteht Handlungsbedarf.

Zuerst manipuliert Bea die Blutwerte von Char, bald aber auch die von Fremden. Sie avanciert zur Dealerin der inzwischen existenziellen Werte. Denn nur High-Ratern steht die Welt offen. Aaron (Enrico Riethmüller) ist einer von ihnen. Der junge Mann kommt auf stolze 8,9. Bea ist zuerst ehrfürchtig, dann verliebt und schließlich schwanger. Aaron, der Filou, der Lebemann. Enrico Riethmüller gibt ihn unbeschwert, zügellos und immer am Schäkern. Dass etwas unter der Fassade schlummern könnte, das nicht in Ordnung ist, lässt sein Schauspieler durchschimmern. Beständig klingen Ungereimtheiten an, scheinbar Nichtigkeiten, so schnell verschwunden wie aufgetaucht. Am Ende bricht das Lügenkonstrukt mit umso lauterem Gedöns in sich zusammen und die 8,9 entpuppt sich als unterdurchschnittliche 2,2. Was das für das ungeborene Baby zu bedeuten hat, lässt sich nur erahnen – regt aber mindestens zum Diskurs an.

La vita è bella – mit ordentlich Bodenhaftung

Dazwischen Hausmeister David (Pit-Jan Lößer). Fröhlich beschwingt schreitet er durchs Bühnenbild; immer frohen Mutes, immer mit einem erstaunlich resistenten Lächeln, immer irgendwie bekifft und die eine oder andere Weisheit auf den Lippen. Die Figur scheint die Lösung zu allen Problemen aus diesem gesellschaftlichen Dilemma zu bieten – ein überdurchschnittlicher High-Rater und trotzdem ohne Allüren. Vermutlich verzichtete die Ausstattung deshalb bei ihm auf die andernfalls obligatorische Trainingsklamotte. Stattdessen bietet David in robusten Pantoffeln einen soliden moralischen Gegenentwurf zum grassierenden Rating-Wahn mit ordentlich Bodenhaftung und dem einen oder anderen Laster. Die Zeichen werden ignoriert. Umso stärker dafür das Ende, in all seiner Stille.

 

Fotonachweis: Jan Friese

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