Über Kampfbeziehungen, das Erfrieren und andere Ehegräuel
Liegt es am Vornamen, dass ich Daniel Glattauer visuell persistent mit seinem gleichnamigen Kollegen Daniel Kehlmann verwechsle, auch wenn altersmäßig einige Jährchen zwischen den beiden Schreibern liegen? Am Stil vermutlich eher weniger. Bisher kannte ich von Glattauer ja nur das Büchlein mit dem Weihnachtshund, das mir Freundin K. vor Jahren zu Weihnachten geschenkt hat. Der Roman ist eigentlich ganz nett, die Pointe folgt auf der letzten Seite. Danach ist der Roman wirklich nett, also so in der Retrospektive. DIE WUNDERÜBUNG vom gleichen Erfolgsautor scheint nach einem sehr ähnlichen Muster gestrickt. In der Beziehungskomödie (übrigens sein erstes Theaterstück) dreht sich alles um die Eheprobleme eines resignierten Paares und derer haben Joana und Valentin wahrlich genug. 17 gemeinsame Jahre liegen bereits hinter ihnen, als sie am Tiefpunkt ihrer desaströsen Beziehung angekommen. Dank hervorragendem ehelichen Training haben sie mittlerweile die Kunst perfektioniert, sich die kreativsten, stilvollsten und gleichzeitig bösesten Beleidigungen an den Kopf zu werfen, während sie sich stimmgewaltig gegenseitig überschreien. Deshalb finden sie sich eines Tages in der Praxis eines Paartherapeuten ein, der ihnen aus ihrer Misere helfen soll. Doch woraus helfen, wenn sie sich selbst so gar keiner Schuld bewusst sind?
Das Publikum wird mit Stille konfrontiert. Auf der Bühne treffen Joana und Valentin auf ihren Therapeuten, niemand spricht. Nervöses Kichern der Frauen in den besten Jahren hinter und neben uns. Rasch kramt die eine noch ihr Handy aus der Handtasche, um es lautstark im Ton zu regulieren. Auf der Bühne schweigt man immer noch, der Therapeut wirft seinen Klienten bedeutungsvolle Blicke zu; die ignorieren ihn und klammern sich lieber an ihren Polstern fest. Bis dann doch einer der beiden das Schweigen bricht, natürlich mit Spitzen gegen die Angetraute beziehungsweise den Angetrauten. Und dann fliegen die Fetzen, aber so richtig. Ein verbaler Schlagabtausch sondergleichen wird losgetreten und steigert sich immer weiter in Ekstase. Das ist im 1. Akt streckenweise relativ amüsant, aber fast scheint es so, als ob nur das Gros des 45+ Publikums es wirklich zu schätzen weiß. Glattauers Zielpublikum? Offenbar liegt zumindest ein gewisses Identifikationspotential vor und je weiter das Stück voranschreitet, umso hysterischer werden die Lachanfälle der Damen in den besten Jahren neben und hinter uns. (Und das ist zugegebenermaßen sehr amüsant, auch für uns).
Aus dem Nähkästchen geplaudert. Die therapeutische Sitzungssituation wirkt unglaublich professionell. Das erstaunt spätestens dann nicht mehr, wenn man sich in Erinnerung ruft, dass Glattauer eine Ausbildung zum psychosozialen Berater absolviert und diese ihn zu seinem ersten Theaterstück inspiriert hat: Die Wunderübung.
Die Besetzung in der Inszenierung des Kleinen Theaters in Salzburg ist gelungen. Georg Clementi ist ein Meister des Mienenspiels und sein Therapeut gar köstlich anzusehen. Dafür genügt es, wenn er fragend von Joana zu Valentin blickt. Anita Köchl als Joana ist empathisch, wütend, amüsant und trägt ihre Gefühle sichtbar nach außen, die sie mit entsprechender Gestik nonchalant ergänzt. Weniger sicher Valentin (Edi Jäger), der sich etwas steif gegen Joana behauptet. Aber er läuft sich warm. Überhaupt läuft sich im Verlauf des 1. Aktes alles warm, sogar der Humor. Wenn die häufig auftretenden, absehbaren und stetig an der Oberfläche verharrenden Plattitüden DER WUNDERÜBUNG wahlweise beiseite gelassen, ignoriert oder akzeptiert werden, dann profitiert davon auch die aktuelle Inszenierung der Beziehungskomödie, die sich jetzt als wirklich amüsant entpuppt. Im 2. Akt gibt es von Zuschauerseite kein Halten mehr. Zumindest solange man sich nicht an ständig aufgewärmten Frauen-Männer-Beziehungsklischees und etwaigen Worthülsen stört. So kunstvoll wie sich Joana und Valentin gegenseitig herabsetzen, da keimt dann schon fast so etwas wie Bewunderung auf. Und den Therapeuten nicht zu vergessen, den G. Clementi so wunderbar präsentiert. Ständig am Handy, nutzt er die diversen therapeutischen Kniffe, um sich etwas Zeit zu verschaffen und wichtige Nachrichten zu schreiben, während seine Klienten an ihrer Beziehung arbeiten. Höchst amüsant übrigens der Rollentausch von Joana und Valentin; die von Valentin als schizophren bejammerte Situation bricht das persönliche Eis der Verfasserin und verhilft seinem Charakter zu plötzlicher Freiheit und textlicher Eleganz. Irgendwann resigniert dann auch der undurchschaubare, stille Therapeut und wird unvermutet mit seiner eigenen Ehesituation konfrontiert. Joana und Valentin sind ganz Feuer und Flamme und rührend um ihn bemüht. Voller Elan mischen sie sich jetzt zur Abwechslung in sein Privatleben ein und erteilen großzügig Ratschläge, bis die Situation eskaliert.
(c) kleines Theater, Haus der freien Szene
„Lieber dreimal explodieren als einmal erfrieren“, wirft Joana dem Therapeuten zornig an den Kopf. Tatsächlich gewinnt man nach diesem unbeschwerten Abend den Eindruck, dass die nicht-perfekte Beziehung von Joana und Valentin dann vielleicht genau die Sorte Beziehung ist, die länger halten wird. Reibung als Beziehungselixier.
Am Schluss ist sie dann doch wieder da, die „Glattauer’ische Pointe“. Die Schreiberin dieser Zeilen hat sie peinlicherweise allerdings nicht kommen sehen, Freundin M. schon. Das schockiert mich jetzt irgendwie, gleichzeitig adelt es vermutlich das Stück. Oder seine Inszenierung (Regie: Fabian Kametz). Und die Schauspieler (allen voran G. Clementi). Am Ende ist er mir nämlich plötzlich sehr suspekt, der „Herr Mag. Harald“. Beim Schlussapplaus steht dann natürlich unvermutet ein freundlich lächelnder Schauspieler auf der Bühne, oder um es in den Worten der Frau irgendwo hinter uns zu formulieren „unglaublich, plötzlich ist das ein ganz anderer“. Ziemlich unglaublich sogar. Auch diese eine, finale Wendung, diese Glattauer’ische Pointe. Und wie damals beim Weihnachtshund lässt sie das Stück sogar etwas nachwirken und bewahrt DIE WUNDERÜBUNG vermutlich davor, trotz Plattitüden und Klischees en masse bald wieder in Vergessenheit zu geraten.
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