Leise Musik und das ferne Pulsieren eines Herzens bilden den Auftakt zu Anne Simons Inszenierung von Ferdinand Schmalz‘ DOSENFLEISCH – eine Koproduktion mit dem Théâtre National du Luxembourg (Ausstattung: Isabel Graf).
Der österreichische Autor, der eigentlich Matthias Schweiger heißt und seit seinem preisgekrönten Erstling AM BEISPIEL DER BUTTER als „Nachwuchsstar“ gefeiert wird, ist für seine Wortspiele und Metaphern bekannt. Da jubelt das Linguist*innenherz und freut sich der*die Wortfetischist*in. Welche Wunderdinge werden an diesem Abend wohl präsentiert? Welche Sprachschöpfungen und Wortbilder warten auf die aufgeregte Verfasserin?
Die Raststätte als Nicht-Ort. Niemand hält an, um zu verweilen. Ein bloßer Durchzugsraum, der kaum erreicht, bereits wieder verlassen wird. Es ist die Vergänglichkeit, die menschliche Unruhe und die Unfähigkeit zu rasten, das Eingezwängtsein in starre Regeln ohne Fluchtweg, in die irgendwann jeder gepresst wird; das – und vielleicht ein paar mehr – sind die philosophischen Aspekte von Schmalz‘ DOSENFLEISCH. Als Theater Thriller tituliert, ist das Stück zu komplex, um acht- oder atemlos konsumiert zu werden. Es wehrt sich, indem es die ganze Aufmerksamkeit und einiges an Reflexionsarbeit fordert. Gleichzeitig ist DOSENFLEISCH auf sprachlicher Ebene ein nicht eingehaltenes Versprechen. Die Sprachspiele sind präsent, in der Tat, auch die Metaphern; teilweise virtuos vorgeführt und bei wenigen ausgewählten Begriffen bis zum Exzess zelebriert, allerdings verliert sich an anderen Stellen die versprochene Sprachgewalt. Wie war das mit den „fetten Metaphern“ und der „deftigen Sprache“, die mit Ferdinand Schmalz einhergehen? Zumindest deftig wird es bisweilen, wenn auf sprachlicher Ebene in filmischer Präzision Motten auf Windschutzscheiben treffen, aufplatzen und quietschende Scheibenwischer gelbe Schlieren ziehen. Und dann ist da noch die Sache mit dem Fleisch, die auch für Nicht-Vegetarier- und Veganer*innen durchaus ungemütlich werden kann und sie nervös auf den Sitzen zappeln lässt.
Schaurig schön dafür die Besetzung der unheimlichen Figuren, die den Wortspielen und Textstellen von Schmalz einen tieferen, oft anzüglichen Sinn verleihen. Allen voran rolf (Moritz Grabbe), ein Versicherungsangestellter, der von der mysteriösen Unfallserie angezogen wird wie die Motten, die der fernfahrer (Marcus Marotte) in der Eingangsszene sprachlich noch so genüsslich gegen die Windschutzscheibe klatschen lässt. Die Raststättenchefin traut ihm nicht; was er hier wolle? Alle anderen bleiben nur kurz, eine Tankstelle lade nicht zum Verweilen ein. Doch rolf ist aus privaten Gründen hier. Er will einen Unfall sehen. Die Verletzungsbilder der vielen Toten mit den unappetitlichen Wunden wirken auf ihn erotisierend. Grabbe kreiert einen verstörenden, voyeuristischen rolf, einen Gaffer, der beim Anblick der Wund-Bilder Lust verspürt, einen sexuellen Kick und das ist ihm auch anzusehen. Eine Leidenschaft, die ins Pathologische geht; wunderbar zu beobachten bei rolfs Aufeinandertreffen mit jayne (Alexandra Sagurna). Ganz euphorisch und aufgeregt wird er. Ein richtig Fan, aber nicht weil jayne einmal Schauspielerin war, nein, weil sie ein berühmtes Unfallopfer ist. Ohne aufeinander zu hören, reden sich die beiden an einem Punkt sprichwörtlich in Ekstase, werfen sich immer häufiger, immer schneller und immer mehr abgedroschene, verbrauchte Floskeln um die Ohren und erklimmen gemeinsam einen Sprach-Höhepunkt, der darin kulminiert, dass rolf fleht, jaynes Narbe berühren zu dürfen, was sie dionysisch bejaht.
Doch mitunter verlaufen sich die Wörter, Metaphern und philosophischen Diskurse in sprachlichen Nicht-Orten. Sie verheddern sich ineinander oder verlieren an Konsequenz. Dem Himmel sei’s also gedankt für den hübsch entstellten fernfahrer (Marcus Marotte), Retter in der linguistischen Zuschauer*innennot. Das Verkehrsopfer resümiert bisweilen hilfreich oder bringt zumindest Licht in die narrative Dunkelheit. Erst an späterer Stelle schleicht sich der Verdacht ein, dass der fernfahrer gar kein Überlebender ist, kein Überlebender sein kann. Vielleicht weiß er deswegen so viel von den Autobahnen zu berichten, auf denen wir eingezwängt in Koservenbüchsen fahren, bis irgendwann ein Fleischhaufen auf der Fahrbahn liegt.
Musik à la „Kill Bill“ zwischendurch. Und Kettengerassel, das aufschreckt.
Dann ist da noch die Raststättenchefin beate (Susanne Wende), die mit ihrem ebenfalls deformierten Körper geschickt auf die falsche Spur führt oder zumindest von ihr abzulenken sucht. Erst als rolf ein toter Körper aus dem Eisschrank entgegenfällt, ahnt er, dass da etwas im Argen liegt. Alleine jetzt ist es zu spät.
Am Ende fallen die Eisenvorhänge mit lautem Getöse zu Boden (dieser Schreck!); sind das die Gitter, die uns einzwängen und erreicht zumindest rolf in diesem Moment Erkenntnis? Am Ende pulsiert auch wieder ganz sachte das Herz, während der fernfahrer philosophisch deklamiert: „Das ist das Ende. Das ist das Ende. Das ist das Ende… nicht!“ Eigentlich ein Happy End, oder?
Fotonachweis: Gregor Hofstätter
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