Warum man nicht arg- und willenlos den hohlen Versprechungen und Phrasen anderer folgen sollte: Horváths EIN KIND UNSERER ZEIT in der ARGEkultur.
Ich mag Ödon von Horváth und das nicht nur aufgrund seines ungewöhnlichen Todes, von dem ich anfangs dachte, es handle sich um einen Scherz. (Ich meine, auf der Champs-Élysées von einem herabstürzenden Ast erschlagen… ?!!!!). Ich mag ihn auch nicht nur, weil ich für einen Essay über den Schüler T aus „Jugend ohne Gott“ eine besonders gute Note erhalten habe. (Der mir heute übrigens bestimmt peinlich wäre). Ich mag Ödon von Horváth allerdings vor allem aufgrund seiner Fähigkeit, kritische und unbequeme Themen nicht einfach zu übersehen, sondern darauf aufmerksam zu machen. Horváth durchschaute seine Zeit. Er verpackte die Niedertracht und das Gemeine literarisch ansprechend und für jedermann zugänglich. Damit setzte er ein Zeichen. Sein Zeichen. Da das aber nicht systemkonform mit dem heranrückenden Nationalsozialismus war, wurden Horváths Theaterstücke alsbald verboten. Also verlegte sich der Schriftsteller eben auf Prosa. Mit dem Schreiben von „Ein Kind unserer Zeit“ begann er noch 1937 in Österreich, ehe er flüchtete und die Arbeit 1938 beendete. Der Text wurde noch im selben Jahr posthum in Amsterdam publiziert. Denn am 1. Juni 1938 traf Ödon von Horváth besagter abgebrochener Ast einer vermorschten Kastanie auf der Champs-Élysées in Paris.
In ein KIND UNSERER ZEIT gibt es diesen einen Satz, „es wächst ein Baum, ein toter Baum.“ Es ist die Kälte einer faschistoiden Zeit und der Fanatismus einer verlorenen Generation, die in Georg Büttels Inszenierung zum Ausdruck kommen (Musik: Thomas Unruh, Bühne: Michael Pfnür). Wo andere Regisseure allerdings auf drei Schauspieler setzen, hält Max Pfnür als Ich-Erzähler wacker alleine die Stellung und das auf höchst eindrückliche Art und Weise. Mit an einer Hand, oder okay, vielleicht auch an zwei, abzählbaren Requisiten und Teilen der Kulisse changiert Pfnür zum systemkonformen Soldaten, zum toten Baum; geboren zwischen zwei Kriegen und bereits von Geburt an zum ewigen Opfer prädestiniert, stehen ihm nicht allzu viele Möglichkeiten offen, zumal er schon früh feststellt, „durch das Denken kommt man auf ungesunde Gedanken“. Trotzdem frönt er ihm, dem Denken, wenn auch eingangs dem eher simplen. Bereits nach der Schule in die Arbeitslosigkeit gezwungen, sieht der Soldat im Faschismus seine Chance. Den Vater indes verachtet er für seinen Humanismus und neidet ihm gleichzeitig seine unbeschwerte Vorkriegszeit. Es wirkt dann auch ein wenig wie eine Geburt, wenn der fast nackte Schauspieler aus der Fötusstarre erwacht und seine ersten Worte über die Bühne brüllt: „I C H B I N S O L D A T“. Verbittert und gefühlskalt beginnt Pfnür zu monologisieren, weniger naiv als der literarische Ich-Erzähler, dafür aber umso vehementer.
Ich habe neulich in der ZEIT einen Artikel darüber gelesen, wie extreme Tendenzen entstehen. EIN KIND UNSERER ZEIT scheint das schon viel früher erkannt zu haben. Wunderbar und exemplarisch lässt sich verfolgen, wie sich extremistisches Gedankengut in frustrierten und vom Leben enttäuschten Köpfen festzusetzen vermag. Warum nur findet es so wenig Beachtung? Eigentlich sollte Horváths Text viel häufiger auf die Bühnen dieser Welt gehoben werden. Als Warnsignal. – Der Ich-Erzähler macht es auch an diesem Abend vor. Freudestrahlend erzählt er von der Anerkennung, die er im System erfährt. Er ist überzeugt davon, dass der Krieg sein Vater ist und hat sich von seinem leiblichen Erzeuger längst losgesagt. Bei seinen fanatischen Parolen möchte einem ganz anders werden und doch lässt sich der monologisierende Ich-Erzähler nicht aufhalten. Dabei entpuppt sich Pfnür als Tausendsasa, der in Windeseile in verschiedene Rollen und Bilder schlüpft und intensive Gespräche mit sich selbst führt. Irgendwann vergisst man gar, dass da eigentlich nur ein Schauspieler auf der Bühne steht.
Auf der Suche nach seiner Identität verläuft sich der Ich-Erzähler immer tiefer in einem faschistoiden System. Irgendwann scheint er allerdings zu bemerken, dass er den hohlen Sprüchen und Phrasen der Führer vielleicht doch nicht blindlings hätte folgen sollen. Langsames Umdenken. Nachdenken. Dazwischen die eingestreute und live kreierte Geräuschkulisse von Max Pfnür. Das schafft er nämlich auch noch, so quasi im Vorbeigehen. Und so marschieren die Soldaten, zwitschern die Vögel, brüllt der Soldat gleichzeitig durcheinander und stürmt der Schnee. Und immer noch steht eigentlich nur ein Schauspieler auf der Bühne.
EIN KIND UNSERER ZEIT ist ein gelungenes Plädoyer darauf, nicht wahllos irgendwelchen Versprechungen und Verlockungen zu folgen, sondern sich vorher doch lieber seines eigenen Verstandes zu bedienen. (Und sich vor toten Bäumen zu hüten, schadet vermutlich auch nicht; ganz unironisch gemeint, echt jetzt 😉 ).
Fotonachweis: Michael Groessinger
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