ELISABETH – Das Kult-Musical gastiert in Linz und der Tod ist unpässlich.
Neulich nach der Vorstellung ist es mir im Zug wie Schuppen von den Augen gefallen. ELISABETH ist eigentlich ein Beziehungs-Musical, das sich des diffizilen Themas „Schwiegertochter und Schwiegermutter“ angenommen hat. Im Laufe des Abends steigern sich Elisabeth und Erherzogin Sophie deshalb zu wahren Meisterinnen der Intrige, dass es für jeden auch nur halbwegs maliziös veranlagten Seelenmenschen eine wahre Freude ist, dabei zusehen zu dürfen.
Seit gestern Abend hat sich meine Beziehung zu ELISABETH maßgeblich verändert. Eigentlich war ich dem Stück immer skeptisch gegenüber eingestellt. Ich bin nicht unbedingt die Freundin von verdrehter und romantisierender Vergangenheitsvermusicalung (hübsches Wort, oder?!). Jetzt ist alles anders. Auf einmal erkenne auch ich das großartige Potential, das in der Levay/Kunze Produktion steckt, die als Tourneeproduktion wieder auf Vordermann gebracht und adrett herausgeputzt wurde. Vielleicht hat mich aber auch einfach nur die Reise in die eigene Vergangenheit nostalgisch gestimmt. Zum ersten Mal fallen mir jedenfalls die durchaus gelungenen und wahlweise rockigen oder poppigen Ansätze auf. Unerwünschter Rest wird verdrängt; auch die Tatsache, dass das Bühnenbild mitunter an eine Slide-Show aus dem letzten Familienurlaub erinnert. Ich muss gestehen, die jetzt in Linz gastierende Musical Produktion gefällt.
Roberta Valentini ist eine großartige Elisabeth, selbst wenn es ihr anfangs nicht ganz gelingt, das Kindliche aus der Eingangsszene abzustreifen. Spätestens im zweiten Akt läuft sie auch schauspielerisch zu Hochform auf; die Verbitterung der alternden Kaiserin wurde hervorragend in Szene gesetzt. Gelungen, aber rollenbedingt leider etwas im Hintergrund verharrend Max von Bayern (Wolfgang Postlbauer), Elisabeths Vater. Ein ähnliches Fatum ereilt allerdings naturgemäß auch andere Nebenfiguren. Marle Martens überzeugt dabei mit hervorragenden Leistungen als Herzogin Ludovika und Frau Wolf.
Und dann ist da noch die Überraschung des Abends. Nachdem die eigentliche 2. Besetzung des Todes (Máté Kamarás) krankheitsbedingt pausieren muss (gute Besserung), schlüpft Martin Markert in die morbide Rolle des unheimlichen Verehrers. Zumindest ist das vermutlich die Intention. Vokal erstaunlich an einen jungen Uwe Kröger und damit das bereits etablierte Todes-Ideal von ELISABETH erinnernd, vermag der Tod das damit eingegangen Versprechen nicht gänzlich einzuhalten. Schauspielerisch erwartet das Publikum dafür ein absolut neuer Ansatz: Der düstere Prinz will so gar nicht dunkel erscheinen. Lieber setzt er auf narzisstischen Disney-Charme und strahlendes Lächeln, das sich nicht abstreifen lässt und als konstanter Begleiter entpuppt. (Kleiner amüsanter Tipp am Rande: Einfach bei Gelegenheit Prinz Charming aus Shrek googeln und dann zum Vergleich bitten.) – Mit einiger Verwunderung wurde das mittlerweile vermutlich nicht mehr ganz so neue „Kein Kommen ohne Gehen“ zur Kenntnis genommen. Elisabeth und der Tod treiben dafür beinahe romantisch auf der morbiden Todes-Chaiselongue über den Starnberger See, während in Schlager-Manier „sinnige“ Textpassagen dargeboten werden „(…) ich will, dass du mich willst“ (wollen wir das nicht alle?). Dafür brillieren die temporeichen Ensemble-Nummern, die mit großartiger Euphorie und von einem fabelhaften Orchester dargeboten werden.
Wahrlich entzückend ist auch der Rudolf-Nachwuchs, der seinem erwachsenen Pendant (Thomas Hohler) optisch verblüffend ähnelt (Kompliment an das Casting-Team). Der erwachsene Kronprinz überzeugt mit seiner starken, voluminösen Stimme, die das Duett mit dem fröhlichen Tod dominiert. Anfangs vermag sich Rudolf noch dessen Schmeicheleien zu widersetzen, am Ende erliegt er allerdings der schwarz kolorierten Liebesszene. Das homoerotische Moment entgleitet, der Todeskuss erinnert an einen Verabschiedungskuss des Vaters an den Sohn. Etwas leidenschaftlicher agiert der Tod im Fall von Elisabeth; vielleicht sind es aber auch nur die Jahre der Entbehrung und des Wartens, die ihn entsprechend mit Leidenschaft beflügeln. Die verleiten ihn dann vermutlich auch dazu, nach vollbrachter Eroberung keck an den Bühnenrand zu stolzieren und dem Publikum ein triumphierendes Lächeln zu schenken.
Wirklich fabelhaft ist Michael Souschek als maliziös ironischer Luigi Lucheni. Energiegeladen und aggressiv begleitet er das Publikum provozierend durch „sein“ Stück und platziert die spitzen Pointen, die dem Abend seinen unvergleichlichen Charme verleihen. Unvermutet ändert sich allerdings kurz vor seinem Attentat die Stimmung und schwenkt ins Bedrohliche. Im pathologischen Wahn, das Gesicht entsprechend entstellt, stürzt sich der wandelbare Lucheni auf die ahnungslose Kaiserin. Dahin der Charmeur, der Mörder hat die Bühne betreten.
Das Ende ist abrupt, das Publikum begeistert. Und wir, wir stürmen zum Zug und nähern uns damit mit großen Schritten meiner genialischen Erkenntnis, die mit Sicherheit eine Bereicherung für die Forschung darstellt (nicht). 😉
PS: ich würde jetzt übrigens wirklich, WIRKLICH gerne Mark Seibert als Tod erleben dürfen. Den haben wir das letzte Mal vor Jahren in Wien nämlich versäumt. Und wenn ich mich richtig erinnere, dann war auch er damals krank. Was mich zu der Frage führt, warum eigentlich dauernd der Tod kränkelt? Oh du Ironie des Schicksals… 😉
Fotonachweis: Juliane Bischoff // Elisabeth – Das Musical
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Eine Anmerkung: „verdrehter und romantisierender Vergangenheitsvermusicalung“ – das war das Musical Elisabeth aber von Anfang an noch nie. Und ich denke esbspiegeln sich noch meher zwischenmenschliche Beziehungen darin als nur jene zur Schwiegermutter. Da passiert viel auf verschiedenen Ebenen, denke ich. Im Übrigen liebe ich die Biografie von Hamm über Elisabeth, denn sie geht durchaus hart ins Gericht mit ihr. Und das darf manbruhig. Die Frau war durchaus sehr egozentrisch aus Sicht eines 19.Jhdts. Oder besser gesagt zu modern für ihre Zeit. 🙂 Danke für die Interessante Kritik, freu mich auf mehr der Art 🙂
Wobei sie es zeitlich nicht ganz so eng sehen mit manchen Details. Und natürlich hast du recht. Es dreht sich nicht alles um den Schwiegermutter-tochter-Konflikt. Aber wie sehr das doch im Zentrum steht, ist mir erst diesmal aufgefallen. Freilich, im zweiten Teil rückt dann der Mann in den Fokus 😉
Danke, das ist sehr nett, ich freue mich über das nette Lob :). Und wenn ich einmal eine Biographie lesen möchte, dann behalte ich die im Auge :).