Go, Else, Go!
In ‚Else (ohne Fräulein)‘ des theater.direkt an der ARGEkultur fliegen die Sätze und die Gefühle, dass es eine rasante Seelenschau ist – Wegsehen nicht möglich, Mitfühlen schon.
Das Fräulein hat Else im Studio der ARGEkultur abgelegt und kommt auch sonst, ganz autarkes Gretchen, ziemlich selbstbewusst daher. Doch der Schein trügt, denn tatsächlich plagen die halbwüchsige Frauenfigur sehr ähnliche Sorgen wie vor 99 Jahren. Damals schuf Arthur Schnitzler die Novelle um eine noch nicht volljährige junge Frau. Else gerät in einen moralischen Zwiespalt, als sie zufällig dem Richter ihres Vaters begegnet. Um dessen Prozess glimpflich ausgehen zu lassen, sieht sie sich genötigt, auf die Avancen des sehr viel älteren Rechtsvertreters zu reagieren.
Kess ist sie, diese vorlaute, aufmüpfige und lebensfrohe 15-Jährige, die sich in der Inszenierung von Michael Kolnberger und Helena May Heber (Regie) gerade in der Adoleszenz befindet. Noch nicht ganz Frau, aber auch nicht mehr wirklich Kind, schlagen die Gedanken und Handynachrichten der Figur Purzelbäume. Das erfährt das Publikum deshalb so genau, weil ‚Else (ohne Fräulein)‘ dem Schnitzler Original die Treue hält und auf inneren Monolog setzt (Dramaturgie: Michael Kolnberger). Dieser muss aber auch irgendwie nach außen getragen werden. In rasantem Tempo lassen die beiden Schauspielerinnen Johanna Klaushofer und Sophia Fischbacher den Worten freien Lauf. Sprechdurchfall ist es trotzdem keiner. Juvenil hibbelig und wohl temperiert verschmelzen die beiden zu einer Figur. Die sich, und das ist ein großes Kunststück, zugleich janusköpfig in weitere Charaktere wandelt.
Zwei für eine, eine für zwei – oder so ähnlich
Trotz der Diversität der Figuren, die alle aus den Mündern der beiden Schauspielerinnen sprudeln, ist klar, dass das Publikum hier keinem schizophrenen Anfall beiwohnt, sondern einem (so viel Anglizismus muss sein) Stream of Consciousness lauschen darf. Dem hat Autor Thomas Arzt einen sehr modernen Anstrich verliehen. Das beginnt bei der Verschrottung des redundanten Fräuleins. Nice, könnte man einwerfen, wäre aber eher peinlich, also vergessen wir das lieber wieder. Viel authentischer gelingt die Jugendsprache den beiden auf der Bühne, die den Zeitgeist einfangen und wertfrei präsentieren. Ganz ohne Seitenhiebe in die eine oder die andere Richtung und vor allem ohne große Requisiten. Ein schöner Zug der Inszenierung. Mindestens genauso begrüßenswert: Die vage gehaltene Schuldfrage. Ist es die Familie, die Else subtil zum Einsatz bringt, oder eben doch nicht? Was ihrer adoleszenten Imagination entspringt und was der Realität, bleibt unklar.
Fließende Übergänge bei „Else (ohne Fräulein)“
Dass das Überthema von ‚Else (ohne Fräulein)‘ höchst aktuell ist und (vermutlich) leider auch noch länger bleiben wird, ist klar. Zugleich werden auch humorvolle Momente eingestreut, wenn die Figur das hohe Alter des Richters thematisiert und sich herausstellt… er ist 35 Jahre alt. Was vordergründig sehr amüsant wirkt, kann im nächsten Moment Beklemmung auslösen. Denn 15 und 35, das harmoniert tatsächlich nicht. Hilflos sieht man dem Kind, das Else immer noch ist, auf der Bühne bei ihrem inneren Kampf zu. Der wird eingerahmt von einem Spiegel (Arthur Zgubic Bühne & Kostüme). Für die einen eine Metapher für die Seelenschau, für die anderen modernes Requisit, Referenz an die Psychoanalyse oder Szenenwechsel – die Möglichkeiten scheinen grenzenlos. Zugleich greift das den divergenten Charakter der Figuren auf. Genau wie diese lässt sich auch das Stück nicht festlegen und wechselt behände, je nach Gefühlslage, die Färbung. Sehr gelungen und sehr tragisch. Sollte man gesehen haben.
Fotonachweis: Piet Six
Artikel zum Download in PDF-Format by
30- bis 35jährig ist für Else der surfende Mann mit dem attraktiven Oberkörper. Er holt zweimal ihr Buch aus dem See, und sie hätte nichts dagegen, einmal von ihm aus dem Wasser gerettet zu werden.
Der glatzköpfige Richter ist tatsächlich viel älter: Auf den gemeinsamen Selfies hat er für Else das Alter eines Onkels, oder sogar ihres Opas…
Ja, eine sehr sehenswerte Inszenierung dieser interessanten Schnitzler-Überschreibung!
Hallo Johann,
lieben Dank für die Anmerkung. Tatsächlich hab ich immer noch die Erinnerung im Kopf, dass der in der Inszenierung erwähnte 30-35jährige der ältere Mann war. Und ich finde die Idee davon spannend bzw. das Paradox der Jugend. Ist ja auch so. Als 15jährige ist alles über 20 alt. Deshalb lasse ich es jetzt mal so, wie es ist, aber jede*r, der*die das hier liest, hat dann auch eine Alternative – und das ist gut so. Danke also nochmals
und liebe Grüße
Veronika